Erfahrungen mit der Schulsexual„erziehung“

  

Aus: FMG-INFORMATION 106, August 2012

 

 

Der bedeutende Philosoph und katholische Denker Dietrich von Hildebrand (1889-1977) – als dessen wichtigstes Werk das Buch „Das Wesen der Liebe“ bezeichnet wird – warnte schon vor vier Jahrzehnten, als in den Vereinigten Staaten die SchulSE-Programme auch die katholischen Schulen erfassten, in einer Stellungnahme sehr nachdrücklich:

 

„Es wird klar, dass die sogenannte Sexualerziehung, bei der die Sexualität als bloßer biologischer Instinkt dargestellt und alles Gewicht auf anatomische und physiologische Prozesse gelegt wird auf Kosten einer geistigen Interpretation, in Wirklichkeit eine Verdrehung der Sexualität und eine Verfälschung ihres wahren Charakters darstellt. Es ist eine Fehlinformation, der die Kinder hier ausgesetzt werden. Es ist einfach eine Lüge, wenn man die Sexualität so beschreibt, als ob sie zu derselben biologischen Sphäre gehörte wie etwa die Verdauung. Eine solche Sexualerziehung ist grober Schwindel, so als ob Blinde von Farben sprächen. Was würde man wohl von einem Musikwissenschaftler sagen, der immer nur von Schwingungen spräche oder von Radiotechnik statt von der Musik von Bach, Mozart, Beethoven oder Wagner? „Sexualerziehung“, die sich fast ausschließlich auf körperliche Vorgänge konzentriert, ist deshalb Fehlinformation und Lüge. Sie vermag nicht das Geringste auszusagen über die wahre Natur der Sexualität.

Noch schlimmer aber ist das Zweite: Die Schulzimmer-Öffentlichkeit einer solchen „Erziehung“ ist absolut unverträglich mit der Enthüllung einer Sphäre, die… in gewisser Weise das Geheimnis eines jeden Menschen ist. Und damit berühren wir eine andere unselige Tendenz unserer Zeit…: die Gier nach Veröffentlichung, die Reporter-Mentalität, die Tatsache, dass die Menschen sich um ihr Recht gebracht fühlen, wenn irgend etwas – sei es aus der Politik oder aus dem Privatleben einer Person – nicht sofort und schrankenlos einem jeden bekannt gemacht wird.

Die sogenannte Schulsexualerziehung behandelt die Sexualität als neutralen Gegenstand wie das Rechtschreiben und verdreht dadurch ihre wahre Natur, und zwar nicht nur durch die Verfälschung ihres Gehalts, sondern außerdem noch durch den Öffentlichkeits-Charakter, der sich für ein wirkliches, ehrfürchtiges Erfassen ihrer Natur verhängnisvoll auswirkt. Der Wissenschaftsaberglaube verbindet sich hier mit dem vollständigen Verlust jeglicher Diskretion, das heißt jenes Sinnes für die Intimität und Privatheit, welche bestimmte Gegenstände erfordern, und beide Verirrungen mitsammen produzieren jenes Monstrum namens Sexualerziehung.“ (vgl. FMG-INFORMATION 76, März 2002)

 

 

1. Ist der Bischof damit einverstanden?

Nordrhein-Westfalen, 4. Klasse, „katholische Grundschule“

Ein Mutter wandte sich an uns, weil den Kindern der Klasse ihres Sohnes im Unterricht eine 35-seitige Mappe zur Sexual­„erziehung“ ausgeteilt worden war: „Ich werde erwachsen…“. Die Aufmachung dieses teilweise comic-artigen Heftes (Spiralheftung, schwarz-weiß, DIN A 4) lässt eine Eigenproduktion irgendeiner obskuren Quelle vermuten, da auch keinerlei Verfasser oder Herausgeber angegeben ist. 

Das Heft ist durchsetzt von Schamlosigkeit, Hinführung zu sexueller Praxis und Verhütung (Nacktzeichnungen von Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen, mehrere große Zeichnungen eines Paares beim Geschlechtsverkehr [S. 18, 19, 32] usw.). Geschildert wird in Text und Zeichnungen, „was beim Geschlechtsverkehr passiert“ [18ff]. Zugleich wird Ehebruch als normal vorgestellt: „Mein Vater kriegt ein Kind… mit seiner Freundin“ [19]. Ebenso wird zur Verhütung verführt (Kondom, Antibabypille): „Liebe will man oft - Babys nicht immer“ [32]. - „Jeder Junge sollte deshalb, bevor er zum ersten Mal mit einem Mädchen schläft, sich so ein Kondom in Ruhe anschauen und versuchen, es überzuziehen. Wer ein bißchen übt, wird bald ganz gut damit umgehen können“ [33]. - „Die Antibabypille ver­schreibt der Frauenarzt… Die Eltern müssen nicht um Erlaubnis gefragt werden… Die Pille ist das sicherste Verhütungsmittel, auch für junge Mädchen…“ [34]. Der Grundtenor:  „Ich will eben alles wissen über Sex, denn das ist Liebe, Freude, Spaß und Zärtlichkeit und nicht nur… Kinderkriegen!“ [35].

Die entsetzte Mutter nahm das Heft an sich, ihr Sohn sollte es nicht weiter in der Hand haben. Sie ging zur Lehrerin, um ihre Ablehnung mitzuteilen. Die Lehrerin behauptete, das Heft selber nicht gelesen zu haben. Als sie dann im Unterricht merkte, dass dieser Bub das Heft nicht hatte („Meine Mama hat es mir weggenommen“), gab sie ihm sogleich wieder ein Exemplar, das er nicht mit nach Hause nehmen sollte. Die Lehrerin gab aber der Mutter gegenüber zu, sie habe bemerkt, dass es dem Buben peinlich war.

Die von der Mutter angesprochene Schulleiterin verweigerte eine Befreiung der Kinder vom SE-Unterricht, der sich über zwei Wochen erstreckte.

Die Verweigerungshaltung der Schule ist allerdings gedeckt durch die Haltung des Bischofs, die deutlich wird aus zwei der Mutter übergebenen Schreiben des (früheren] Essener Bischofs Dr. Felix Genn – an die Eltern der „Katholischen Bekenntnisschulen im Bistum Essen“ und an die „Schulleitungen der Kath. Grundschulen im Bistum Essen“ vom 26. Juni 2008.

Darin wird darauf verwiesen, dass SE zum staatlichen Bildungs- und Erziehungsauftrag“ gehöre; „einen Rechtsanspruch auf Befreiung von der Sexualkunde gibt es demnach nicht“. Laut den SE-Richtlinien von NRW müssten „Bedenken von Erziehungsberechtigten aus kulturellen oder religiösen Gründen… besonders ernst“ genommen werden und „die für den Unterricht vorgesehenen Materialien und Medien mit den Eltern abgestimmt werden“. Dann wird im Brief des Bischofs (den 2008 wohl gleichlautend auch die übrigen Bischöfe von NRW-Bistümern herausgegeben haben), behauptet „bei den katholischen Bekenntnisschulen“ gehe „die Einflussmöglichkeit der Eltern weiter als bei den Gemeinschaftsgrundschulen“ (ohne dass dafür irgendeine Handhabe angegeben wird!). Es wird weiter behauptet, dass von den katholischen Bekennt­nisschulen „erwartet werden muss, dass bei der SE… nur Inhalte vermittelt werden, die mit den Grundsätzen der kath. Kirche übereinstimmen“. Die Bischöfe seien mit der Landesregierung über das „Katholische Büro NRW“ „stets im Gespräch“, doch habe „der Bischof rechtlich keine Eingriffsmöglichkeit, da es sich… auch bei den kath. Bekenntnisschulen um öffentliche Schulen handelt“. Vielmehr werden die Eltern „ermutigt“, sie sollten von ihren „Mitwirkungsmöglichkeiten Gebrauch machen“, da ja der Staat anerkenne, dass die SE ein „zutiefst persönlich geprägter Bereich des schulischen Unterrichts“ sei, „der nicht der familiären Erziehungsintention zuwider laufen“ solle. Und im Brief des Bischofs an die Schulleitungen der Kath. Grundschulen heißt es u. a., dass in der SE „nur solche Inhalte vermittelt werden, die mit den Grundsätzen der kath. Kirche übereinstimmen“; „SE in einer Kath. Bekenntnisschule“ solle „junge Menschen im Licht des kath. Glaubens zu einem verantwortungsvollen Umgang mit der Sexualität befähigen“.

 

[Zur Verdeutlichung: In NRW gibt es – im Unterschied zu anderen Bundesländern – neben sog. „Gemeinschaftsgrund­schulen“ auch „Bekenntnisgrundschulen“, die in kommunaler Trägerschaft sind; aber es wird in ihnen „nach den Grundsätzen der betreffenden Bekenntnisse unterrichtet und erzogen“ (§ 6 Abs. 3 SchulG). Im Internet findet man dazu eine Grundsatzbroschüre der Bischöfe der Diözesen Köln, Paderborn, Aachen, Essen und Münster, wo es heißt, dass „Richtlinien und Lehrpläne so umgesetzt und angewendet (werden), dass die Grundsätze des Bekenntnisses sowohl im Unterricht aller Fächer als auch im Schulleben insgesamt zur Geltung kommen“. DieseBekenntnisschulen nehmen nicht nur Kinder auf, die der entsprechenden Konfession angehören, sondern auch alle Kinder, deren Eltern ausdrücklich die Unterrichtung und Erziehung im Sinne der Konfession der Schule wünschen“, so heißt es in den entsprechenden „Grundsätzen“ dieser Bi­schöfe (vgl. www. erzbistum-koeln.de/export/sites/erzbistum/schule-hochschule/religions paedagogik/_galerien/download/Broschuere_KGS_Web.pdf).]

Kommentar: Die „katholische Grundschule“ im konkret geschilderten Fall [und viele andere „katholische“ Schulen in NRW wohl genauso!] sieht offenbar das in dieser Klasse verwendete, oben geschilderte Heft von diesen bischöflichen Aussagen gedeckt und lässt die Sorge von Eltern ins Leere laufen; ihr Elternrecht wird brutal missachtet. Wir haben beim neuen Bischof von Essen (Franz-Josef Overbeck; Bischof Genn ist seit 2009 Bischof von Münster) angefragt, ob er das gutheißt oder – wenn (hoffentlich!) nicht –, was er zu tun gedenkt, dass die schönen Worte von „Übereinstimmung mit dem katholischen Glauben“ durchgesetzt werden und katholische Kinder nicht weiterhin der Verführung ausgeliefert sind.

 

2. „Ich mag es nicht, wie drüber gesprochen wird“

Bayern, 4. Klasse, Grundschule

Eine Mutter hatte schon früher die Lehrerin wegen der Befreiung ihres Kindes von der SchulSE angesprochen und war hart abgefertigt worden: Selbst Muslime müssten an der SE teilnehmen. Dann, als SE durchgeführt wurde, kam ihr Sohn vom Unterricht nach Hause und klagte weinend über die gerade stattfindende Behandlung des Geschlechtsverkehrs: „Ich mag es nicht, wie drüber gesprochen wird!“ Die Mutter bat den FMG um Rat; das Gespräch und übermittelte schriftliche Argumentationshilfen bestärkten sie zu einem neuerlichen Vorstoß bei der Lehrerin. Bei diesem Telefongespräch teilte die Mutter der Lehrerin die Reaktion des Kindes mit. Es kam zu einem wirklichen Gespräch. Die Lehrerin erwähnte z B., dass die nächste SE-Einheit zwischen Fahrradprüfung und dem Unterricht über Müllentsorgung vorgesehen sei, worüber sich die Mutter sehr befremdet äußerte: Das Thema sei doch viel zu kostbar, so auf die gleiche Ebene gestellt (und banalisiert) zu werden. Die Mutter unterstrich, sie sei zuhause geblieben, um für ihre Kinder dazusein und sie spüre, was ihren Kindern guttue. Sie gab auch zu erkennen, dass es ihr nicht darauf ankäme, mit der Lehrerin zu kämpfen; sie schätze deren Unterricht sonst. Sie wisse, dass in Baden-Württemberg eine Freistellung vom Sexualunterricht funktioniere. Die Lehrerin bezeichnete die Situation als „Ausnahmezustand“ und zeigte sich bereit, den Buben von der SE zu befreien, wenn er ihr selber sagen würde, dass er in dieser Zeit in eine andere Klasse möchte. Der Bub war froh über diese erkämpfte Zusage: „Ich sag es der Lehrerin leicht!“ – Die berichtende Mutter äußerte uns gegenüber ihre Überzeugung, dass der HL. GEIST ihr beigestanden habe. Sie wolle auch zum Ende des Schuljahres der Lehrerin schreiben und ihr die Zusammenfassung des Dokumentes des Pp. Rates für die Familie „Menschliche Sexualität: Wahrheit und Bedeutung“ übergeben.

 

3. Früherer Vorstoß zeigt doch noch Wirkung

Niedersachsen, 4. Klasse, Grundschule

Bei älteren Kindern hatte die Mutter vor ein paar Jahren schon gegen ein „Pro-Familia“-Aufklärungsprojekt Widerspruch erhoben und war gescheitert; allerdings führte ein gesundheitlicher Vorfall dann zur Nichtteilnahme (vgl. FMG-INFORMA­TION 98, S. 5, Nr. 5). Bei einem weiteren Kind stand nun in der 4. Klasse SE-Unterricht an. Und hier kam es nun zu einer Nichtteilnahme des Kindes, nachdem die Lehrerin selber die Mutter angesprochen hatte: Es sei ihr bekannt geworden, dass sie die SchulSE ablehne.

 

4. Die Toilette als Ausweg?

Hessen, 4. Klasse, Grundschule

Bei einem Elternabend wurde ein Zeichentrickfilm mit Darstellung des Geschlechtsverkehrs von mehreren Eltern kritisiert und seine Verwendung im Unterricht daraufhin unterlassen. Einzelne Mütter sagten, dass ihre Kinder nichts von der SE in der Schule wissen wollten. Dennoch machte die uns berichtende Mutter die Erfahrung, dass die meisten Mütter die SchulSE gut finden. Früher hatte sie schon erfolgreich mit mehreren Müttern zusammen gegen die SchulSE gekämpft.

Einige Zeit danach führte die Mutter ein Gespräch mit der Lehrerin, die nach Berichten aus dem Vorjahr als nicht aufge­schlossen galt, die sich aber diesmal ein bisschen entgegenkommender zeigte. Die Mutter übergab das Dokument des Pp. Rates für die Familie „Menschliche Sexualität: Wahrheit und Bedeutung“ und zur Information die Dissensregelung von Baden-Württemberg. Die Lehrerin zeigte die Möglichkeit auf, dass der Bub bei SE-Stunden die Klasse verlassen könne, um zur Toilette zu gehen, und dann den Rest der Stunde draußen bleiben könne. Auch das erfordert natürlich einigen Mut von einem Kind. - Nach Abschluss der SE erfuhren wir, dass der Junge diese Möglichkeit, die Klasse zu verlassen, manchmal wahrgenommen hat.

 

5. Großer Einsatz der Eltern

Nordrhein-Westfalen, 4. Klasse, Grundschule

Bei einem Elternabend wurde SE-Material gezeigt, über das die uns berichtenden Eltern und eine weitere Familie schockiert waren: „noch schlimmer als früher“ (ob dieses Material in der Klasse des Kinder der uns berichtenden Eltern verwendet wurde oder nur in der Parallelklasse, wie ein Lehrer sagte, geht aus dem Bericht nicht klar hervor). Angekündigt wurde, dass die Verhütungsmittel durchgenommen würden (für Neun-/Zehnjährige!), dass wahrscheinlich eine Hebamme über Geburt sprechen werde.

In einem Gespräch mit Lehrer und Schulleiterin erklärte diese, der Bub müsse an der SchulSE teilnehmen, es gebe keine Befreiung. Bei bestimmten Themen (Zeugung, Geschlechtsverkehr) könne er in eine andere Klasse kommen. Die Eltern könnten diese Themen schriftlich mitteilen, worauf die Mutter sagte, sie wollte „das nicht, was die Kirche nicht will“.

Die Eltern versuchten daraufhin mit der Zusammenfassung des Dokuments des Pp. Rates für die Familie die kirchliche Sicht zur SE aufzuzeigen und mit einem Gutachten eines Facharztes für Psychotherapie eine Befreiung zu erreichen. Die Schule lehnte „nach Rücksprache mit der zuständigen Schulaufsicht“ den Antrag ab; das fachärztliche Gutachten wie die kirchliche Darlegung wurde übergangen, „da die rechtliche Einschätzung eindeutig“ sei; die fehlende Zustimmung der Eltern könne laut Bundesverfassungsgericht bei fächerübergreifendem Unterricht „keine Befreiung zur Folge haben“, und die Eltern hätten „kein Mitbestimmungsrecht bei der Ausgestaltung der schulischen SE“. Eine zweite fachärztliche Stellungnahme konnte die Schulleiterin ebenfalls nicht umstimmen.

Als die SE-Stunden dann stattfanden, haben zwei Schüler das erste SE-Arbeitsblatt nicht bearbeitet und sind in der zweiten SE-Stunde aus eigener Initiative rausgegangen. Später wurden sie dann beim Thema „Zeugung“ von der Lehrkraft selber aus dem Klassenzimmer entlassen. Allerdings erzählte anschließend ein Mitschüler, was beim Thema Zeugung durchgenommen wurde; der Sohn fand das „eklig“.

 

6. Ein deutscher Schulleiter

Ein Schulleiter aus einem nördlichen Bundesland erzählte uns, dass die Inhalte des SE-Lehrplans vorgeschrieben seien; wenn Eltern – das seien Freikirchler oder Baptisten - eine Befreiung wollten, spreche er aber mit den Lehrern und gebe die Befreiung. – Als Rat für Eltern bei Gesprächen mit den Lehrern erwähnte er, Eltern sollten kein Misstrauen gegenüber dem Unterricht des Lehrers äußern und argumentieren, dass sie die SE bei ihren Kindern selber in die Hand nehmen würden.

 

                                          

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