Dietrich von Hildebrand

zur schulischen "Sexualerziehung"

 

Über den Autor

Der bedeutende Philosoph und katholische Denker Dietrich von Hildebrand wurde 1889 geboren als Sohn des berühmten Bildhauers Adolf von Hildebrand in Florenz. Als Fünfzehnjähriger las er die Dialoge Platons und schrieb später: "Ich entdeckte, dass mich nichts so anzieht wie die Erforschung der Wahrheit, und zwar der Fragen, auf die nur die Philosophie eine Antwort geben kann". Von Hildebrand studierte in München und Göttingen Philosophie, promovierte bei Edmund Husserl, sah in Adolf Reinach seinen eigentlichen, vorbildlichen Lehrer.

1914 führte ihn seine leidenschaftliche Wahrheitssuche in die katholische Kirche. Schon vor 1933 erhob er kompromisslos seine Stimme sowohl gegen Kommunismus wie Nationalsozialismus und musste daher im März 1933 aus München fliehen. Beim Einmarsch der deutschen Truppen gelang es ihm und seiner Frau, in letzter Minute über Pressburg und Florenz nach Freiburg in der Schweiz zu entkommen. Nach einer Lehrtätigkeit in Toulouse musste er im Juni 1940 weiter in abenteuerlicher Flucht über Lissabon und Rio de Janeiro in die USA emigrieren.

Über 20 Jahre hatte er dann eine Professur an der Jesuitenhochschule in New York inne. Nach seiner Emeritierung engagierte sich von Hildebrand mit vielbeachteten Büchern in der Kirchenkrise: "Das trojanische Pferd in der Stadt GOTTES" (1968) und "Der verwüstete Weinberg" (1972); er verteidigte 1968 in der Schrift "Die Enzyklika ‚Humanae vitae’ – ein Zeichen des Widerspruchs" mutig die Ehelehre Pauls VI. und nahm 1970 in "Zölibat und Glaubenskrise" Stellung. Von Hildebrand war zeitlebens Mittelpunkt eines großen Kreises von Freunden, Schülern und Anhängern; viele Menschen fanden durch ihn den Weg zur Kirche. Er starb am 26. Januar 1977 und wurde in New Rochelle im Staat New York beigesetzt.

Als sein bedeutsamstes Werk wird "Das Wesen der Liebe" bezeichnet, an dem er zwölf Jahre arbeitete. Dr. Karla Mertens schrieb in einer Würdigung anlässlich seines Heimgangs 1977: "Als einer der ersten trat Hildebrand, gestützt auf die Allocutiones Papst Pius’ XII., dem er in einer persönlichen Freundschaft verbunden war, dafür ein, die christliche Ehe in erster Linie als eine von GOTT gestiftete sakramentale Liebesgemeinschaft zu sehen, die ihren Sinn in sich trägt, noch vor ihrem Zweck und Auftrag der Nachkommenzeugung... Er (stellte) die Tugend der Reinheit in den Mittelpunkt seiner sexualethischen Vorträge und Schriften..." (vgl. "Der Fels", 1977, S. 70).

Prof. Josef Seifert würdigte von Hildebrand zum 25. Todestag in "Die Tagespost" (29. Januar 2002): "Seine großen und bahnbrechenden Entdeckungen des Wesens und der zentralen Rolle der Liebe in der Ehe, seine Analysen der Tugenden der Reinheit und christlicher Grundtugenden wie der Demut und der Caritas..., sowie seine unermüdliche Verteidigung und philosophische Begründung kirchlicher Morallehren wie ‚Humanae vitae’, sowie vor allem die glühende Liebe zur katholischen Kirche, die ihn auszeichnete, verdienen ihm unzweifelhaft den Titel eines Kirchenlehrers der Moderne."

Anlass der Stellungnahme Dietrich von Hildebrands

In den Sechzigerjahren drang in den Vereinigten Staaten die "Sexualerziehung" in die Schulen ein, als Teil eines ideologischen Plans. So schrieb Alan Guttmacher, seinerzeit Direktor von "Planned Parenthood" (PP), 1973 in der "Washington Post" ganz offen: "Der einzige Weg, auf dem PP die Schlacht [für die Freigabe der Abtreibung] gewonnen hat, ist die Sexualerziehung in den Schulen."

Auch die katholischen (Pfarr-)Schulen in den Vereinigten Staaten sind von solchen SE-Programmen verseucht, und dort setzen sich ansehnliche Organisationen wie "Catholics United for the Faith" [die Witwe von Hildebrands gehört zu den Beratern von CUF], "National Coalition for Clergy and Laity", "Human Life International" u. a. klarsichtig und entschieden ein. Auch die mächtige Homeschooling-Bewegung hat in der Gefährdung durch die SchulSE ein wesentliches Motiv.

Dietrich von Hildebrand hat sich in einer kämpferischen Stellungnahme - aufbauend auf seiner philosophischen Lehre über Reinheit und Geschlechtlichkeit – sehr deutlich und nachdrücklich zur Frage der "Sexualerziehung" in der Schule geäußert. Dieser Aufsatz wurde in deutscher Übersetzung von Dr. Inge Köck 1971 veröffentlicht ("Der Fels", 1971, S. 180-183, 240-242).

Wir geben die Stellungnahme Dietrich von Hildebrands mit nur einer geringfügigen Kürzung wieder. (Einteilung, Zwischentitel und Hervorhebungen im Text durch Fettdruck stammen von uns; vgl. FMG-INFORMATION 76, März 2002).

 

 

1. Von der Natur der Sexualität

- als Grundlegung zur Beurteilung der SchulSE

Wenn wir den durch die angebliche Sexualerziehung in der Schule den Seelen der Kinder zugefügten Schaden ermessen wollen – Schaden nicht nur vom sittlichen Gesichtspunkt, sondern auch von dem der Unversehrtheit des Menschen und der geistigen Gesundheit -, gilt es zunächst, die Natur der Sexualität selbst zu erfassen.

Sexualität unterscheidet sich radikal von anderen menschlichen Instinkten oder Begierden ("Strebungen")

Eine vorurteilsfreie Analyse des Phänomens der Sexualität zeigt deutlich seine radikale Verschiedenheit von anderen Instinkten. Es reicht in solche Tiefe wie kein anderer Instinkt, weder Hunger noch Durst noch Schlafbedürfnis noch irgendein Streben nach sonstiger körperlicher Erquickung.

Völlig verschieden ist die Art, in der unser persönliches Leben einerseits durch alle übrigen Instinkte, andererseits durch den Zauber des anderen Geschlechts, durch körperliches sexuelles Verlangen und sexuelle Lust beeinflusst wird. Diese sexuellen Kräfte haben etwas Geheimnisvolles; sie strahlen auf unser seelisches Leben aus in einer Weise, die bei dem Wunsch, zu essen oder zu trinken, und bei dem Vergnügen, das die Befriedigung dieser Wünsche begleitet, einfach nicht vorhanden ist. Vor allem reicht die sexuelle Ekstase wirklich in die Tiefe unserer körperlichen Existenz. In ihrer überwältigenden Macht ist sie etwas Außerordentliches, mit dessen Gewalt höchstens furchtbare körperliche Schmerzen verglichen werden können.

Die einzigartige Tiefe der Sexualität im Bereich des Körperlichen zeigt sich bereits in der einfachen Tatsache, dass die Haltung eines Menschen ihr gegenüber von unvergleichlich größerer sittlicher Bedeutung ist als seine Haltung gegenüber anderen körperlichen Strebungen. Die Auslieferung an das sexuelle Verlangen um seiner selbst willen bringt den Menschen in einer Weise herunter, wie es zum Beispiel bei der Trunksucht niemals der Fall ist. Und die angemessene Haltung zu dieser Sphäre, die Reinheit, steht im Rang viel höher als etwa die Nüchternheit.

Doch die Sexualität ist nicht nur vom sittlichen Gesichtspunkt aus wichtig. Die Haltung eines Menschen zu ihr ist von Bedeutung für seine gesamte Persönlichkeit, ja ist eines ihrer Hauptcharakteristika. Diese zentrale Stellung der sexuellen Sphäre hat zwei Gründe. Der erste ist, dass sich hier Körper und Seele in einmaliger Art begegnen, der zweite liegt in ihrer speziellen Intimität.

Die Intimität des Geschlechtlichen

Denn neben der Tiefe ist der Sexualität noch eine einzigartige Intimität eigen. Intime Dinge brauchen einen Schleier; sie verlangen Schamhaftigkeit. Dabei gilt es zu erkennen, dass Schamhaftigkeit nicht identisch mit "sich schämen" ist. Scham im Sinn von sich schämen ist die richtige Reaktion auf Dinge, die hässlich sind. Wir schämen uns bestimmter Handlungen, die nicht nur sittlich böse, sondern dazu noch ausgesprochen niedrig und gemein sind. Wir fürchten uns vor der Demütigung, die durch die Aufdeckung solcher Fehler vor anderen entsteht.

Durchaus entgegengesetzt diesem Sich-Schämen wegen negativen Dingen ist die "edle Scham" oder besser "heilige Scheu" oder Bescheidenheit. Sie bewegt einen Menschen dazu, seine Tugenden nach Möglichkeit zu verbergen und sich dem Lob der Menschen zu entziehen. Je demütiger und frömmer ein Mensch ist, desto stärker ist dies bei ihm entwickelt. Er versucht, seine Verdienste mit einem Schleier zu verhüllen. Das Vorhandensein dieser edlen Scham zeigt, wie verkehrt es wäre, etwas als negativ zu betrachten, weil man es nicht gern öffentlich zur Schau stellt oder sonst wie bekannt macht. Die Art des Beschämtseins ist in beiden Fällen radikal verschieden.

Wie es aber eine Schamhaftigkeit in Bezug auf Tugenden und andere positive Eigenschaften gibt, so gibt es eine noch spezifischere Schamhaftigkeit gegenüber gewissen positiven Dingen auf Grund ihrer Intimität. Die Intimität ist ein Phänomen eigener Art, und zwar ein sehr wichtiges. Menschen, die für dieses Phänomen keinen Sinn haben, sind ungeschliffene, oberflächliche und aufdringliche Leute.

Vor kurzem wurde in einem Fernsehvortrag ein sehr naiver Irrtum vorgebracht. Der Redner meinte, dass unser Zurückscheuen vor einer Zurschaustellung unseres nackten Körpers einfach davon komme, dass wir an Kleider gewöhnt sind. Hätten wir zum Beispiel, so meinte er, die Gewohnheit, unsere Ohren zu bedecken, so hätte das Aufdecken der Ohren die gleiche Wirkung auf uns wie unter den jetzigen Umständen die Zurschaustellung unseres nackten Körpers.

Dieser Mann ist anscheinend ein Eunuche, ohne das geringste Verständnis für die sexuelle Anziehung, die der weibliche Körper auf den Mann ausübt, und darüber hinaus ein vollkommen empfindungsunfähiger Mensch, der keinerlei Begriff von dem Phänomen der Intimität hat. Er vergisst, dass intime Dinge eine spezifische Qualität und einen spezifischen Charakter haben, dem gegenüber man zwar durch Gewohnheit blind werden kann, den aber andere Dinge niemals einfach dadurch erlangen können, dass sie uns ungewohnt sind.

Die Intimität ist vielmehr eine Eigenschaft bestimmter Objekte und Verhaltensweisen und gehört objektiv zu ihnen. Das beste Beispiel für Intimes aber ist die Sexualität. Jede Enthüllung der Sexualität ist die Offenbarung von etwas Intimem und Persönlichem, ja die Einweihung eines anderen in unser eigenstes Geheimnis. Denn in einem gewissen Sinn ist die Sexualität das Geheimnis des Individuums. Das ist der Grund dafür, dass der Bereich der Sexualität auch der Schamhaftigkeit in ihrem eigentlichen Sinn bedarf.

Sexualität – angelegt als Ausdruck der bräutlichen Liebe

Durch all diese Eigenschaften ist die Sexualität geeignet, ein Ausdruck der bräutlichen Liebe zu werden und eine letzte persönliche Vereinigung zu bewirken. Und zwar ist sie nicht nur dazu geeignet, sondern so gemeint. Sie ist dazu bestimmt, in diese Liebe eingebaut zu werden und der gegenseitigen Selbsthingabe zu dienen, nach der die bräutliche Liebe strebt.

Wenn wir die wahre Natur der Sexualität samt ihrem Sinn und Wert verstehen wollen, müssen wir von der großen und herrlichen Wirklichkeit der Liebe zwischen Mann und Frau ausgehen, der Liebe, von der das "Lied der Lieder" sagt: "Gäbe einer auch all sein Gut hin für die Liebe, für nichts würde er es erachten."

Dieser Liebe, die wir im Unterschied zu Elternliebe, Kindesliebe oder Freundesliebe als bräutliche Liebe bezeichnen möchten, ist die Sexualität so tief verbunden und zugeordnet, dass wir durch jede Isolierung der Sexualität von dieser Liebe sofort blind werden für ihre wahre Natur. Wir werden kläglich scheitern mit dem Versuch, die Natur der Sexualität zu verstehen, wenn wir sie von ihrer innigen Verbindung mit der bräutlichen Liebe – samt ihrer spezifischen Note des "Verliebtseins" – trennen. Nur diese Liebe gibt uns den Schlüssel zur wahren Natur der Sexualität. Dieser ihr wahrer Charakter wird offenbar, sobald jemand sich im wahren und echten Sinn des Wortes "verliebt". In seinem Wunsch nach körperlicher Vereinigung mit dem Geliebten erfasst er die einzigartige Intimität dieses Bereichs. Gerade dadurch, dass er eine letzte Einheit mit dem geliebten Menschen über alles erstrebt, anerkennt er eindeutig die Intimität und die Tiefe der sexuellen Sphäre. Und erkennt zugleich die Ausschließlichkeit dieser gegenseitigen Selbst-Schenkung wie ihren bindenden, unwiderruflichen Charakter.

Denn wenn sie ihren vollen Sinn entfalten soll, setzt die Sexualität nicht nur die bräutliche Liebe voraus, sondern auch den klaren und offen ausgesprochenen Willen, eine unwiderrufliche Einheit mit dem Geliebten zu gründen, also den Konsensus, die "Einwilligung", und damit die Handlung, in der die Ehe sich konstituiert.

Die Seele des sexuellen Aktes ist die personale Einheit mit dem Geliebten, die er bewirkt. Er ist der Ausdruck dieser Vereinigung, oder besser: er ist der Akt, der den Vollzug dieser letzten Einheit bedeutet.

Das müsste einem jeden klar sein, der jemals eine echte bräutliche Liebe erlebt hat. Aber auch ein Mensch, der selber noch keine große und tiefe Liebe erlebt hat, kann dennoch die Tiefe und das Geheimnis sowohl der Sexualität als der bräutlichen Liebe begriffen haben und dadurch zu der richtigen Ansicht von der Sexualität gelangt sein. Ich erinnere mich heute nach fünfzig Jahren noch an ein Gespräch, das ich einmal in meiner Studentenzeit an der Universität München mit einem anderen Studenten führte. Wir sprachen über voreheliche Beziehungen, und ich werde nie die Worte vergessen, mit denen er solche heftig zurückwies:

"Glaubst du, dass ich so töricht bin und mir das große, selige Erlebnis meiner Hochzeitsnacht zerstören will, wo sich mir in der Frau, die ich liebe, das Geheimnis der Weiblichkeit erschließen soll? Glaubst du, mir ist nicht klar, dass ich die Fülle und das Glück dieses Erlebnisses mit der Einen, die ich wirklich liebe, zerstörte, wenn ich jetzt damit spielen würde wie mit einem Spielzeug?"

Dieser junge Mann war nicht religiös; der Standpunkt, von dem aus er den Bereich der Sexualität betrachtete, war nicht in erster Linie ein sittlicher. Seine Worte kamen einfach aus seinem Verständnis für das Geheimnis der Sexualität. Er hatte seine wahre Bedeutung erfasst und seine Fähigkeit, eine Quelle tiefen Glückes zu werden.

Sexualität isoliert von der Liebe: Folge der Erbsünde

Der Umstand, dass es sexuelles Begehren oft auch ohne diese Einbettung in die bräutliche Liebe gibt und dass selbst diese von der Liebe isolierte Sexualität eine ungeheure Faszination ausüben kann, ist kein Argument gegen ihre tiefinnerliche Beziehung zu bräutlicher Liebe und Ehe. Es ist eine Folge der Erbsünde, dass der Bereich der Sexualität zu einer bloßen Verwirklichung der Begierlichkeit werden kann, wodurch er ein vollkommen anderes Aussehen erhält. Doch die Möglichkeit des Missbrauchs und der Perversion einer Sache ändert nichts an ihrer wahren Bedeutung und ihrem wahren Wesen – ebenso wenig, wie es ein Beweis gegen die Bestimmung unseres Verstandes zum Erfassen der Wahrheit wäre, dass viele die Verstandesarbeit nur als Betätigung ihrer geistigen Geschicklichkeit und als Befriedigung ihres Stolzes suchen.

Damit haben wir die wahre Natur der Sexualität untersucht, ihre Tiefe, ihre Intimität und ihre grundlegende Verknüpfung mit der bräutlichen Liebe, die einzigartige Einheit, die durch die gegenseitige Selbsthingabe entsteht – mit einem Wort das Geheimnis der Sexualität. Vor diesem Hintergrund zeigt sich der Gräuel der sogenannten "Schulsexualerziehung" in seinem ganzen Ausmaß.

 

2. Haltungen unserer Zeit begünstigen

die Idee einer schulischen Sexualerziehung

Man fragt sich wirklich, wie es möglich ist, dass eine derart unsinnige, allem gesunden Menschenverstand radikal widersprechende und noch nie da gewesene Idee auf einmal aus dem Boden schließen konnte. Wie lässt sich dieser scheinbar allgemeine – gewiss nicht bei den Eltern, aber bei Erziehern und Lehrern allgemeine – Enthusiasmus für die Sexualerziehung erklären?

Moderner Wissenschaftskult

Will man darauf eine Antwort finden, so gilt es zwei Grundirrtümer zu beachten, die in unserer Zeit in Kurs gekommen sind. Der eine besteht in der Fetischisierung der Wissenschaft, der zweite in einer Art "Reporter-Mentalität", welche nicht ruht, bis buchstäblich alles total "veröffentlicht" ist. Auf die Fetischisierung der Wissenschaft habe ich seit langer Zeit immer wieder hingewiesen. Heute möchte ich Ihre Aufmerksamkeit auf einen speziellen Aspekt dieses Fetischismus lenken, auf das Bestreben, aus der Wissenschaft eine Religion zu machen, ihr die Rolle eines Hauptnenners unseres Lebens zu geben – eine Rolle, die für den gläubigen Katholiken eigentlich nur der GOTTmensch CHRISTUS innehaben kann.

Liest man das Leben von Heiligen oder großen, mit beispielgebendem Glauben begabten Katholiken, so sieht man deutlich, dass sie alles im Licht und im Namen CHRISTI getan haben. Sie sahen alles im Lichte CHRISTI – alle echten natürlichen Güter und auch alle Übel. Sie wussten, dass Er der Schlüssel zu jedem Problem ist, der einzige Weg, um alles in seiner tiefsten Bedeutung zu erfassen.

Heute aber glauben die angeblich fortschrittlichen Katholiken, dass die Wissenschaft, speziell die Naturwissenschaft es ist, die uns die Augen für wahre und echte Wirklichkeit öffnet und uns die tiefere, objektive Natur und Wirklichkeit enthüllt. Jede Situation des Lebens ist ihrer Ansicht nach im Lichte wissenschaftlicher Erkenntnis anzugehen. Auch unsere Sprache haben wir nach ihrer Meinung immer mehr der Seite der Wirklichkeit anzupassen, die uns durch die Wissenschaft erschlossen wird; natürliche Worte sollen durch wissenschaftliche Termini ersetzt werden, oder genauer gesagt: durch wissenschaftlichen Jargon.

Diese Konfusion zu entwirren, ist nicht einmal schwierig. Es genügt, sich klar zu werden, dass die Wissenschaft uns von Natur aus niemals absolut sichere Erkenntnis verbürgen kann, sondern nur hochgradig wahrscheinliche. Die Wissenschaft entwickelt sich ständig weiter; frühere Ergebnisse werden durch neue ersetzt. Newtons Physik, für Kant noch das Beispiel für Gewissheit, hat heute anderen Theorien Platz gemacht. Wissenschaftliche Erkenntnis ist nie absolute Erkenntnis.

Die Religion hingegen, das heißt die uns durch die Offenbarung übermittelte Wahrheit, ist ihrem Wesen nach absolut, sofern die Offenbarung echt ist.

Die Naturwissenschaft zu einem Absolutum machen zu wollen, ist ein höchst unwissenschaftlicher und dilettantischer Anspruch. Nicht nur, weil die Wissenschaft niemals absolute metaphysische Gewissheit gibt – die Naturwissenschaft ist auch deshalb nicht absolut, weil sie sich nur mit einer bestimmten Schicht der Wirklichkeit beschäftigt und nicht einmal mit der tiefsten und wichtigsten.

Die Naturwissenschaft kann uns ihrem Wesen nach nur über die Welt der Materie etwas sagen, über die tote und die lebendige Materie, in letzterem Fall nur über ihren physiologischen Aspekt. Niemals kann sie uns Auskunft geben über die Natur der Person, über die Willensfreiheit, über Gut und Böse, Schönheit und Hässlichkeit, die Natur der Gemeinschaft, über Liebe und Glück, über unser Schicksal, über den Sinn unseres Lebens – und ebenso wenig über die menschliche Seite und den geistigen Gehalt der uns umgebenden Welt.

Der echte Naturwissenschaftler ist über die Grenzen seines Gegenstandes vollkommen im Bilde. So glänzend und hervorragend er auch auf seinem eigenen Feld sein mag, erhebt er doch niemals den Anspruch, über ethische, ästhetische oder metaphysische Realitäten – kurz, über alle geistigen Realitäten – mehr zu wissen, als jeder andere mittels seines gesunden Menschenverstandes weiß.

Begreifen wir so das Wesen der wirklichen Naturwissenschaft, so sehen wir ohne weiteres, was für ein großer Irrtum es ist, wenn man die der Naturwissenschaft zugängliche Schicht der Wirklichkeit für "realistischer", echter und ernsthafter hält als die vielen anderen Bereiche, die man nicht den Methoden der Naturwissenschaft unterwerfen kann. Eine solche Anschauung ist sogar ein ausgesprochenes Zeichen von Mittelmäßigkeit.

Ist das Leibliche "realer" als das Geistige?

Die eben beschriebene Mentalität ist verbunden mit dem Aberglauben, dass, je tiefer etwas metaphysisch rangiert, desto besser seine Realität gesichert sei. Daraus würde folgen, dass der wirkliche "Realist" das metaphysisch Niedrigere zur Grund-Realität zu machen haben, welche erst Licht auf alles übrige wirft. Ist von Instinkt die Rede, so gibt er gerne zu, dass das etwas Unbezweifelbares ist. Spricht man jedoch von einem geistigen Akt, zum Beispiel von einer Überzeugung oder einem Erkenntnisakt oder einer Wert-Antwort der Liebe oder Dankbarkeit, so denkt er, dass das etwas mehr oder weniger Nebulöses und Unsicheres ist, und ist sofort geneigt, es zu einer bloßen Funktion eines Instinktes oder gar eines in unserem Gehirn sich abspielenden chemischen Prozesses zu reduzieren.

Diese ganze Blickrichtung entbehrt jedoch jeder Grundlage; sie ist reiner Aberglaube. Im Gegenteil, das metaphysisch Höhere ist der Schlüssel für das Verständnis des Niedrigeren. Und deshalb kann die Bedeutung gewisser Instinkte nur im Licht der höherstehenden Akte der Person verstanden werden.

 

3. Argumente der Ablehnung der schulischen Sexualerziehung

Das jüngste und schlimmste Beispiel für diesen Wissenschafts-Aberglauben ist die Sexualerziehung. Bereits das Wort "Sexualerziehung" ist ein unsinniges Wort.

Erstens wird das Lehren in der Schule, also ein Unterricht, verwechselt mit Erziehung. Zweitens ist die Sexualität weder ein Gegenstand des Unterrichts noch des Studiums, außer für den Psychiater oder den Gynäkologen. Das wird deutlich, wenn wir etwa folgende komische Formulierung versuchen: "Ich mache mein zweites Examen in Algebra und mein erstes in Sexualität." Natürlich ist es gewissen Studenten sehr willkommen, dass heute "Sexualerziehung" als Gegenstand ernsthafter Forschung und Lehre genannt wird. Man kann voraussagen, dass viele rebellische Studenten, die heute den Doktorgrad abgeschafft sehen möchten, sehr rasch ihre Meinung ändern werden, falls ein Doktorat in "Sexualerziehung" möglich wird. Vor der "Explosion" dieses Faches kann einem heute schon angst werden!

Aufgabe der Eltern

Um die richtige Einstellung des Menschen zum Bereich der Sexualität zu erreichen, gibt es nur ein Mittel, nämlich dass die Aufklärung über dieses Geheimnis in großer Ehrfurcht und in einem streng persönlichen Gespräch zwischen dem Vater oder der Mutter und dem Kind geschieht. Absolut ausgeschlossen ist der pseudowissenschaftliche Unterricht über Sexualität im Schulzimmer, also in einer öffentlichkeitsgesättigten Atmosphäre stattfindet.

Die Eltern sind verantwortlich für die "Sexualerziehung" im wahren Sinn des Wortes. Sie müssen ihr Kind beschützen vor allen neutralisierenden Diskussionen über dieses Gebiet wie vor all den zahllosen verderblichen, unreinen Einflüssen unseres pornographischen Zeitalters. Die Eltern müssen in ihrem Kind die Ehrfurcht stärken, den Willen zur Reinheit, ja die Liebe zur Reinheit. Sie müssen das Kind darin üben, nicht zügellos jedem Begehren nachzugeben, welche Übung einen Teil der allgemeinen christlichen Erziehung ausmacht.

Sexualität: die biologistische Sicht ist eine Fehlinformation

Wir haben bereits gesehen, dass die Sexualität keineswegs nur ein biologischer Instinkt ist, sondern den Charakter der Tiefe und der Intimität hat, dass sie zum Ausdruck wahrer bräutlicher Liebe bestimmt ist und zur Herstellung einer letzten Einheit der Liebenden in dem heiligen Band der Ehe, und dass ihre wahre Natur und Bedeutung nur verstanden werden kann aus ihrer Aufgabe, eine letzte unwiderrufliche Selbstschenkung zu sein.

Vor diesem Hintergrund wird es klar, dass die sogenannte Sexualerziehung, bei der die Sexualität als bloßer biologischer Instinkt dargestellt und alles Gewicht auf anatomische und physiologische Prozesse gelegt wird auf Kosten einer geistigen Interpretation, in Wirklichkeit eine Verdrehung der Sexualität und eine Verfälschung ihres wahren Charakters darstellt. Es ist eine Fehlinformation, der die Kinder hier ausgesetzt werden. Es ist einfach eine Lüge, wenn man die Sexualität so beschreibt, als ob sie zu derselben biologischen Sphäre gehörte wie etwa die Verdauung. Eine solche Sexualerziehung ist grober Schwindel, so als ob Blinde von Farben sprächen. Was würde man wohl von einem Musikwissenschaftler sagen, der immer nur von Schwingungen spräche oder von Radiotechnik statt von der Musik von Bach, Mozart, Beethoven oder Wagner?

Was nützt Belehrung über Schwingungen angesichts der großen und leuchtenden Schönheitsrealität, die Musik verkörpern kann? Wir würden einen solchen "Musikwissenschaftler" für einen Einfaltspinsel oder einen Schwindler halten, wenn er vorgäbe, dabei über Musik zu sprechen.

"Sexualerziehung", die fast ausschließlich auf körperliche Vorgänge konzentriert, ist deshalb Fehlinformation und Lüge. Sie vermag nicht das Geringste auszusagen über die wahre Natur der Sexualität.

Die "Reporter-Mentalität" zerstört den Intimcharakter und das Geheimnis

Noch schlimmer aber ist das Zweite: Die Schulzimmer-Öffentlichkeit einer solchen "Erziehung" ist absolut unverträglich mit der Enthüllung einer Sphäre, die, wie wir sagten, in gewisser Weise das Geheimnis eines jeden Menschen ist.

Und damit berühren wir eine andere unselige Tendenz unserer Zeit, die in den Vereinigten Staaten besonders entwickelt ist: die Gier nach Veröffentlichung, die Reportage-Mentalität, die Tatsache, dass die Menschen sich um ihr Recht gebracht fühlen, wenn irgend etwas – sei es aus der Politik oder aus dem Privatleben einer Person – nicht sofort und schrankenlos einem jeden bekannt gemacht wird. Manchmal betätigt sich diese Reporter-Mentalität unter dem Banner der Göttin Wissenschaft, wie z. B. in den indiskreten Meinungsumfragen des Kinsey-Reports.

Die sogenannte Schulsexualerziehung behandelt die Sexualität als neutralen Gegenstand wie das Rechtschreiben und verdreht dadurch ihre wahre Natur, und zwar nicht nur durch die Verfälschung ihres Gehalts, sondern außerdem noch durch den Öffentlichkeits-Charakter, der sich für ein wirkliches, ehrfürchtiges Erfassen ihrer Natur verhängnisvoll auswirkt. Der Wissenschaftsaberglaube verbindet sich hier mit dem vollständigen Verlust jeglicher Diskretion, das heißt jenes Sinnes für die Intimität und Privatheit, welche bestimmte Gegenstände erfordern, und beide Verirrungen mitsammen produzieren jenes Monstrum namens Sexualerziehung.

Vergleich mit der "viktorianischen Prüderie"

Verglichen mit dieser systematischen Zerstörung des allein menschenwürdigen, gesunden und angemessenen Verhältnisses zum Sexuellen erscheint die viktorianische Prüderie recht harmlos. Gewiss war diese "Husch-husch"-Attitüde ungesund, weil sie auf einer puritanischen Ansicht von Sexus als etwas Schmutzigem beruhte. Aber durch dieses Ignorieren der sexuellen Sphäre, durch dieses Tun, als ob sie nicht existiere, wurde ihr Wesen bei weitem nicht so verfälscht wie durch die "wissenschaftliche" Neutralisierung. Das Sexuelle hat zwei Aspekte, einen positiven und einen negativen. Auf der positiven Seite steht sein einzigartiger Zauber, seine Intimität, seine tiefe Verbindung mit der bräutlichen Liebe, sein Wert als Bürgschaft für die unvergleichliche Einheit der Gatten in unwiderruflicher Hingabe. Auf der negativen Seite steht das Übel eines von wirklicher Liebe und unwiderruflicher Hingabe gelösten Sexus, ein giftiger Zaubertrank, der den Menschen auf die Ebene des Tieres herabzieht, eine Entheiligung des großen Geschenks des Sexus – kurz: ein "mysterium iniquitatis".

Die puritanische Einstellung, die den positiven, GOTTgewollten Aspekt des Sexuellen nicht zu sehen vermochte, sondern nur den negativen, war gewiss ein beklagenswerter Irrtum. Doch aus ihm einen bloßen biologischen Instinkt zu machen und es auf die gleiche Ebene zu stellen wie die Verdauung, ist ungleich schlimmer. Denn dadurch entsteht nicht nur eine Verzerrung infolge einseitiger Betrachtung, sondern ein komplettes und radikales Missverstehen seines Geheimnis-Charakters. Dieser Irrtum ist von Grund auf dumm und ungleich verheerender in seinen Folgen.

Die puritanische Einstellung führte vielleicht zu ungesunden Stauungen und förderte die Skrupulosität, aber sie ertötete wenigstens nicht jede Möglichkeit, den positiven Aspekt noch zu entdecken, sie nahm auf jeden Fall dem Sexuellen nicht den Charakter des Geheimnisses. Selbst in der dadurch entstandenen ungesunden Atmosphäre konnte der Liebende den echten Zauber dieser Sphäre noch ganz erleben, den Sinn des Sexuellen als letzter gegenseitiger Selbstschenkung der Gatten noch verstehen. Die ungesunde Geheimnistuerei zerstörte nicht den wahren Charakter des Sexuellen als eines Geheimnisses.

Aber die "Straßenaufklärung"!?

Von Vorkämpfern einer ausdrücklichen Sexualerziehung wird manchmal als Argument angeführt, dass Kinder, die in der Schule nichts vom Sexuellen erfahren, auf jeden Fall auf der Straße davon erfahren. Dieses Argument lässt sich jedoch nur anführen als Beweis dafür, dass es notwendig ist, dass die Eltern ihre Kinder in ehrfürchtiger und zurückhaltender Weise – und immer unter vier Augen – über das Sexuelle unterrichten. Niemals aber kann es als Argument zur Verteidigung der Schulsexualerziehung dienen, denn diese ist ungleich schlimmer, als Aufklärung auf der Straße sein kann.

Eine Sexualerziehung im Klasszimmer stellt eine autoritative Darstellung des Sexuellen dar, und zwar eine Fehldarstellung, da sie aus ihm einen bloßen biologischen Instinkt macht und da sie es neutralisiert und in eine Laboratmosphäre versetzt. Aufklärungen hingegen, die ein Bub einem anderen auf der Straße gibt, haben den Charakter eines zugeflüsterten Geheimnisses; jedenfalls erheben sie nicht den Anspruch, eine autoritative, adäquate Information zu sein. Dadurch wird der Geheimnis-Charakter des Sexuellen nicht in der Weise zerstört wie durch den Schulunterricht. "Aufklärung auf der Straße" mag grob und schmutzig sein, aber so schrecklich sie auch ist, durch sie wird das Sexuelle doch nicht in der Weise denaturiert, wie dies bei der neutralisierenden Schulaufklärung der Fall ist.

Und zweitens schafft diese Straßenaufklärung eher ein schlechtes Gewissen. Und das ist gut so, wenn, wie hier, das Sexuelle seines tiefen und edlen Charakters beraubt ist und, von Liebe und Ehe isoliert, an brutale Instinkte appelliert. Vergessen wir nicht, dass Amoral noch destruktiver für die ganze Persönlichkeit ist als Unmoral.

Bei der Schulsexualerziehung handelt es sich also um die Vermittlung einer Karikatur der Sexualität und um die Zerstörung von Ehrfurcht und Schamhaftigkeit bei der Jugend durch die neutralisierende Öffentlichkeit des Klasszimmers.

Nicht Bewahrung vor Unreinheit, sondern Förderung des Nachgebens gegen die Begierde

Wir müssen jedoch auch noch darauf eingehen, dass sie auch in sittlicher Beziehung die schlimmsten Folgen haben wird.

Die Verfasser von Texten für Sexualkurse und die Priester und Klosterfrauen, die unter anderem solche Kurse geben, meinen vielleicht, dass sie durch die Zerstörung des Geheimnis-Charakters der sexuellen Sphäre und ihrer Intimität die Kinder vor Unreinheit bewahren. Sie glauben, dass das Sexuelle, wenn sein einzigartiger Zauber zerstört ist, keine so gefährliche Versuchung für den Menschen mehr darstellt. Dieser Glaube ist schierer Nonsens.

Wer den geheimnisvollen Charakter des Sexuellen zerstört und es als einen rein biologischen Vorgang darstellt statt in seiner GOTTgewollten Verknüpfung mit der bräutlichen Liebe, mindert nicht nur nicht die Begierde nach brutaler sexueller Befriedigung, sondern fördert auch noch die Nachgiebigkeit gegen diese Begierde.

Was diese missleiteten Lehrer wirklich zerstören werden, ist nicht die Versuchung zur Unreinheit, sondern der Sinn für die Tiefe und das Geheimnis der Sexuellen und seine tiefe Verwobenheit mit der bräutlichen Liebe. Töten werden sie die wahre, echte, GOTTgewollte Anziehungskraft und den Zauber des Sexuellen, nicht aber die körperliche Begierde danach. Im Gegenteil, sie werden den Weg bahnen für eine Isolierung des Sexuellen, für die Entweihung des Geheimnisses, für den Gräuel der Unreinheit. Töten werden sie heilige Scheu, Anstand und Schamgefühl. Sie wollen, dass die Kinder über jede mögliche Perversität unterrichtet werden. Kann man sich noch etwas Dümmeres vorstellen? Haben sie vergessen, was der heilige Paulus gesagt hat, nämlich dass es Dinge gibt, die unter uns nicht einmal genannt werden sollen? Aber wie gesagt, diese sittlichen Folgen sind nicht der einzige Gesichtspunkt. Der Schulsexualunterricht ist schon vom bloßen menschlichen Standpunkt aus eine Perversion, denn er verdreht die Rolle, welche das Sexuelle im Leben des Menschen spielen sollte, und verbaut das große Glück, welches das Sexuelle einem Ehepaar als Ausdruck seiner Liebe und als Verwirklichung seiner Einheit bringen kann.

Ein Verbrechen an der Seele

Diese Sexualerziehung ist ein Verbrechen an der Seele eines jeden jungen Menschen. Sie zwingt seinem Geist ihre Labormentalität auf und verdammt ihn außerdem zu grenzenloser Langeweile. Es ist dies ein Beispiel für Gabriel Marcels "l’homme contre l’humain" – "der Mensch gegen das Menschliche". (...) Und das geschieht durch Priester und Klosterfrauen, die sich durch Dr. Mary Calderone beeindrucken lassen! Noch etwas gilt es zu bedenken. Wir müssen unterscheiden zwischen dem Sexuellen im engeren Sinn des Wortes und dem Sexuellen im weiteren Sinn. Das Letztere ist ein Faktor, der dem ganzen Lebensrhythmus eine Art Feuer und Glanz gibt, und dem Menschen selbst Lebhaftigkeit und Charme. Es gibt Menschen, die überhaupt keine Empfänglichkeit dafür haben und für das Mysterium dieser Sphäre blind sind, auch wenn sie die Sphäre selbst aus Erfahrung recht gut kennen.

Genau entgegengesetzt dieser Banausenmentalität ist die des reinen und keuschen Menschen. Er entbehrt keineswegs dieses Glanzes in seinem Temperament, dieser Empfänglichkeit, doch er sieht deutlich das Geheimnis des Sexus und seinen Charakter als einer Frucht, deren wir uns enthalten sollen, bis GOTT selbst sie uns erlaubt. In einem reinen Menschen ist die Geistigkeit so stark ausgeprägt, dass diese Sphäre nur mit großer Ehrfurcht und keuschem Zartgefühl betreten wird oder um des Reiches GOTTES willen versiegelt bleibt, wie es bei der geweihten Jungfrau der Fall ist.

Hier sehen wir noch einmal, wie falsch es wäre, nur von unten her auf die Welt zu schauen. Wer dies tut, versucht alle poetischen Aspekte des Lebens und den Charme der Empfänglichkeit dafür zu einem bloßen Beiprodukt des Sexuellen zu reduzieren. "All dies ist nichts als Sexualität, das Produkt unserer Hormone" usw. Er macht die Drüsen und Hormone (die eine rein dienende Funktion haben) zur einzigen entscheidenden Realität und zur Ursache alles Übrigen. Das ist ebenso unsinnig, wie wenn wir sagen wollten, alles, was wir sehen, sei nichts als das Produkt unserer Netzhaut und unserer Sehnerven. Gewiss sind bestimmte Drüsen und Hormone die Voraussetzung dafür, dass wir bestimmte objektive Aspekte der Welt entdecken, aber sie schaffen diese Aspekte, diese "poetischen Botschaften" nicht. Die wichtige Aufgabe des Geschlechts bei diesem Wahrnehmen des Poetischen wird vollkommen verfehlt, sobald wir in ihm nur ein maskiertes sexuelles Begehren erblicken wollen, wie es unbewusst viele Bereiche durchzieht.

Nun ist aber das Sexuelle in diesem weiteren Sinn nicht nur kein Gegenstand des Unterrichts, sondern es wird zerstört und ertötet werden, wenn die Jugend seiner künstlich bewusst gemacht wird, so dass sie es unter ständiger Selbstbeobachtung reflektiert und als eine bloß verkleidete brutale Sexualität betrachtet.

Vorrang der geheiligten Rechte der Familie

Sollte die Sexualerziehung in Volks- und höheren Schulen Pflichtfach für alle Kinder werden, so stünde das mit den heiligen Rechten der Familie in Widerstreit. Wie Papst Leo XIII. betonte, haben die Rechte der Familie einen Vorrang vor den Gesetzen des Staates. Die Familie ist eine ältere und vornehmere Gemeinschaft. Jeder Übergriff auf die geheiligten Rechte der Familie ist der Ausdruck einer totalitären und absolut undemokratischen Mentalität.

Aber noch schlimmer ist es, wenn katholische Schulen allen Kindern, und zwar gegen den Willen der Eltern, die Praxis der Sexualerziehung im Klasszimmer aufzwingen. Wenn der Staat dem Totalitarismus zum Opfer fällt, so war das bereits in der gefährlichen Tendenz der "Staatsräson" angelegt. Wenn jedoch Vertreter der Kirche, die die großen Beschützer der heiligen Rechte des Individuums und der Familie sein sollten, selbst in totalitärer Weise vorgehen (und dabei einen Klerikalismus schlimmster Art bekunden), so ist das einfach Verrat, einen Verleugnung des Geistes der Kirche und des Geistes CHRISTI, eine totale Abdankung vor dem Geist der Welt.

Widerstand leisten

Unsere klare Pflicht als Katholiken ist es, dieser totalitären Versklavung Widerstand zu leisten und vor allem die Seelen unserer Kinder vor dem Schaden zu bewahren, der ihnen droht. Wenn die Antwort auf die heute triumphierende Unreinheit und Schamlosigkeit, auf den barbarischen Mord an der Reinheit darin besteht, dass man in katholischen Schulen diesen sogenannten Sexualunterricht einführt, dann müssen wir dagegen mit allen verfügbaren Mitteln protestieren! Wir müssen unnachgiebig kämpfen an allen katholischen Schulen, die diese Praxis einführen. Nicht einen Pfennig dürfen wir einem Pfarrer geben, der so etwas Schauderhaftes duldet oder einführt. Ich bin kein Freund des Streikens und lehne diese Art von "Demonstration" durchaus ab. Doch wenn etwas so Wichtiges auf dem Spiel steht wie die Seelen unserer Kinder, dann sind auch solche Demonstrationen legitim und sogar notwendig. Wir müssen die Bischöfe pausenlos mit Protesten überschwemmen, so dass sie, wenn – was GOTT verhüte – wir ihnen wirklich nicht die Augen über den Gräuel eines Sexualkundeunterrichts zu öffnen vermögen, doch schließlich dem Druck der wirklich katholischen Eltern nachgeben. Ich meine jene Eltern, die fest an das Credo Pauls VI. glauben, die an die Unfehlbarkeit der Kirche in Sachen des Glaubens und der Sitte glauben und, anders als die kleine, aber laute Gruppe der Avantgardisten, gehorsam und liebend die Lehre von "Humanae vitae" annehmen. Diese schweigenden Millionen sind es, deren Elternrechte man usurpiert. Ihre Kinder sind es, deren Seelen in Gefahr sind.

Ein Bischof tat, jede persönliche Verantwortung für das Sexualerziehungsprogramm in seiner Diözese ablehnend, folgenden Ausspruch: "Wir, die wir im Stand des Zölibats leben, sind keine Experten auf dem Gebiet des Sexuellen und können deshalb zur Sexualerziehung nicht Stellung nehmen." Das ist eine Haltung, die wir weder akzeptieren können noch wollen. Es ist die heilige Pflicht der Bischöfe, zum mindesten die totalitäre Überspielung der geheiligten Elternrechte zu verhindern, wenn sie schon den furchtbaren, den Seelen der Kinder zugefügten Schaden nicht erkennen sollten. Mögen alle Bischöfe, die Schüchternen, die sich Zurückziehenden, die in sexuellen Dingen Unsicheren sich bestärkt und ermahnt fühlen durch die Worte des HERRN: "Wer aber eines von diesen Kleinen, die an mich glauben, ärgert, dem wäre es besser, wenn ihm ein Mühlstein um den Hals gehängt und er in die Tiefe des Meeres versenkt würde."

 

Anmerkung des FMG dazu:

Von Hildebrand nimmt natürlich Bezug auf die amerikanischen Verhältnisse um 1970.

Nichtsdestoweniger trifft seine Kritik auch die durch den Staat erzwungene "Schulsexualerziehung" hierzulande (und viele kirchliche Schulen gehen hier ja denselben Weg!). Die Problematik vermindert sich nicht dadurch, dass bei uns die "Sexualerziehung" (SE) kein eigenes Unterrichtsfach, sondern "fächerübergreifendes Unterrichtsprinzip" ist, eher im Gegenteil.

Und die Kritik von Hildebrands an der biologistischen Pseudowissenschaftlichkeit der SchulSE bleibt auch gültig, wenn – etwa aus kirchlicher Perspektive – versucht wird, "Werte" einzubringen, da der Weg des öffentlichen, kollektiven Unterrichtens den Geheimnischarakter, den von Hildebrand sehr hervorhebt, zerstört und damit den notwendigen Zugang zum eigentlichen Wesen der Geschlechtlichkeit verbaut.

Wenn der Autor damals andeutete, manche Befürworter der SE würden vielleicht die gutgemeinte Absicht haben, der Versuchung zur Unreinheit begegnen zu können, so ist heute eine solche Intention kaum mehr zu erwarten, da sich das Ziel der SchulSE offensichtlich einzig auf das Bemühen reduziert, Schwangerschaften zu verhindern – aber nicht auf dem Weg der Keuschheit, sondern durch eine extensive Verhütungsmentalität.

Die prophetische Vorhersage von Hildebrands, es könne einem vor der "Explosion" dieses Faches angst werden, hat sich leider voll erfüllt.

Im Übrigen treffen sich die Ausführungen von Hildebrands etwa über die Geschlechtlichkeit als Ausdruck der bräutlichen Liebe, über das Elternrecht und die Ablehnung der "öffentlichen", kollektiven Behandlung des Themas, das in den geschützten Raum der Familie gehört, mit der Lehre der Kirche, wie sie der Päpstliche Rat für die Familie 1995 im Dokument "Menschliche Sexualität: Wahrheit und Bedeutung" vorgelegt hat.

[Fotonachweis: Archiv Freundeskreis Maria Goretti e.V.]

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