(aus: FMG-INFORMATION 87, Dezember 2007)
»„Hirntod“ ist nicht Tod!«
Organtransplantation und damit
verbunden die Akzeptanz oder Ablehnung des sog. Hirntodes ist auch im
kirchlichen Raum ein Thema, das Emotionen hervorruft und eigenartige
„Warnungen“, das Thema ja nicht zu „skandalisieren“. Wer den „Hirntod“ nicht
schluckt, betreibt angeblich „Agitation“. Warum mangelt es an der Bereitschaft,
sachlich und nüchtern zu urteilen bzw. warum werden auch in katholischen
Publikationen Fakten verschwiegen oder vernebelt – etwa, dass die
„Hirntodkriterien“ in der verschiedenen Ländern sehr unterschiedlich geregelt
sind?
Kann ein Handeln vor dem 5.
Gebot GOTTES bestehen, wenn es auch nur ein geringes Risiko in sich trägt, dass
ein lebender Mensch getötet wird? Und es ist mehr als nur ein „geringes
Risiko“, wie der folgende Essay als Bericht über eine Tagung der Päpstlichen
Akademie der Wissenschaften zeigt! Heiligt der Zweck die Mittel – d. h. erlaubt
die „gute Tat“ der Lebensverlängerung für einen Menschen, dass einem anderen
auch nur eine Sekunde seines Lebens genommen wird, oder darf dieser selber
seine Tötung wollen und in sie einwilligen, weil einem anderen dadurch das
Leben möglicherweise verlängert werden kann? Es ist ein grundlegender
moralischer Unterschied, sein Leben zur Rettung eines anderen zu riskieren
(etwa bei einem Brand oder einer Katastrophe) oder die eigene Tötung zu wollen
(selbst wenn der eigene Tod möglicherweise nahe bevorsteht).
Wichtig ist es, bei
Organtransplantationen den Unterschied zwischen „unpaarigen“ und „paarigen
Organen“ zu beachten – wenn eines von zwei paarigen Organen in einem großen
Dienst der Liebe einem Kranken gespendet wird, kann der Spender mit dem
verbleibenden Organ weiterleben (z. B. Niere) – im anderen Fall (z. B. Herz)
nicht.
Entscheidend ist also die
Frage, ob der Hirntod (mit seinen im Lauf der letzten Jahre veränderten und
nach Länder differierenden Kriterien!) wirklich den Tod eines Menschen
bedeutet. Dazu gibt der folgende Essay Informationen, die sehr nachdenklich
machen müssen.
von Paul A.
Byrne, Cicero G. Coimbra, Robert Spaemann und Mercedes Arzú Wilson«
»Am 3. und 4. Februar 2005 war die Päpstliche Akademie der Wissenschaften, in Zusammenarbeit mit der Weltorganisation für die Familie, Gastgeber eines Treffens im Vatikan zum Thema „Die Zeichen des Todes“. Dieser Essay basiert zum einen auf den Aufsätzen, die bei der Päpstlichen Akademie eingereicht wurden, zum andern auf den Diskussionen, die in diesen zwei Tagen stattgefunden haben.
Das Treffen wurde auf die Bitte von Papst Johannes Paul II. einberufen, um erneut die Zeichen des Todes einzuschätzen und auf rein wissenschaftlicher Basis die Gültigkeit der auf das Gehirn bezogenen Kriterien für den Tod zu verifizieren sowie um in die derzeitige Debatte der Wissenschaftler über dieses Thema einzutreten.
In einer Botschaft an die Päpstliche Akademie
der Wissenschaften, die anlässlich des Februartreffens veröffentlicht wurde,
sagte der Heilige Vater, dass die Kirche stets „die Praxis der
Organtransplantationen von toten Personen“ unterstützt hat. Er warnte jedoch,
dass Transplantationen nur akzeptabel seien, wenn sie in einer Weise
durchgeführt werden, die „den Respekt vor dem Leben und der menschlichen Person
garantieren“.
Der Papst zitierte seinen Vorgänger, Papst Pius XII., der gesagt hatte, dass „es Aufgabe des Arztes ist, eine klare und genaue Definition des Todes und des Zeitpunktes des Todes zu geben.“ Er ermutigte die Päpstliche Akademie, diese Aufgabe zu verfolgen, und versprach, die Wissenschaftler könnten sich auf die Unterstützung der vatikanischen Stellen verlassen, „vor allem auf die Kongregation für die Glaubenslehre“.
1968 wurde das „Harvard Kriterium“ zur Bestimmung des Hirntodes in der Zeitschrift der „American Medical Association“ veröffentlicht unter dem Titel „Eine Definition des irreversiblen (nicht umkehrbaren) Komas“. Dieser Artikel wurde ohne stichhaltige Fakten veröffentlicht, weder aus der wissenschaftlichen Forschung noch aus Fallstudien von Einzelpatienten. Aus diesem Grunde erklärte auch eine Mehrheit der Konferenzteilnehmer in Rom diese „Harvard Kriterien“ als wissenschaftlich ungültig.
2002 wurden in der Neurologie die Resultate
einer weltweiten Untersuchung veröffentlicht mit der Schlussfolgerung, dass der
Gebrauch des Begriffes „Hirntod“ weltweit zwar „akzeptierte Tatsache“ ist, dass
es „aber keine globale Übereinstimmung über die diagnostischen Kriterien
gab" und dass es noch „weltweit ungelöste Fragen“ gibt. Tatsächlich wurden
zwischen 1968 und 1978 mindestens 30 grundverschiedene Aufzählungen von
Hirntod-Kriterien veröffentlicht, und seitdem kamen noch viele weitere hinzu.
Jede neue Aufstellung von solchen Kriterien tendiert dazu, weniger streng zu
sein als frühere, und keine von ihnen ist gegründet auf wissenschaftliche
Beobachtungsmethoden und auf Hypothesen, die verifiziert wurden.
Versuche, die neueren Kriterien mit den im Lauf der Zeit erprobten und allgemein akzeptierten Kriterien für den Tod zu vergleichen – nämlich Stillstand des Kreislaufs, der Atmung und der Reflexe –, zeigen, dass diese Kriterien sich deutlich unterscheiden. Dies hatte für den medizinischen Beruf eine unglückliche Situation zur Folge. Viele Ärzte, die spüren, dass der Hippokratische Eid verletzt wird, wenn solch ungleichartige Kriterien akzeptiert werden, empfinden sie Notwendigkeit, dass die Falschheit des „Hirntods“ entlarvt wird, denn das hohe Ansehen des medizinischen Berufes steht auf dem Spiel.
In seiner Darlegung für die Päpstliche Akademie zitierte Robert Spaemann, ein bekannter ehemaliger Professor für Philosophie an der Universität München, die Worte Papst Pius’ XII., der erklärte, daß „menschliches Leben weiter existiert, wenn sich seine vitalen Funktionen zeigen, selbst mit Unterstützung künstlicher Prozesse“.
Professor Spaemann bemerkte: „Der Stillstand der Atmung und des Herzschlags, das ‚Erlöschen der Augen’, die Leichenstarre etc. sind die Kriterien, an denen die Menschen seit unvordenklichen Zeiten sahen und fühlten, dass ein menschlicher Gefährte tot ist.“ Doch die „Harvard Kriterien“ „veränderten grundlegend diese Wechselbeziehung zwischen der medizinischen Wissenschaft und der normalen zwischenmenschlichen Wahrnehmung“. Er stellte fest:
Wenn die Wissenschaft die Existenz der
Todeszeichen, wie sie der gesunde Menschenverstand wahrnimmt, in Frage stellt,
geht sie nicht mehr vom „normalen“ Verständnis von Leben und Tod aus. In der
Tat macht sie die normale menschliche Wahrnehmung ungültig, indem sie Menschen
für tot erklärt, die als noch lebend wahrgenommen werden.
Dieser neue Versuch, den Tod zu definieren,
sagte der deutsche Gelehrte, spiegelt andere Prioritäten wider:
Das Interesse des Sterbenden, zu vermeiden,
vorzeitig für tot erklärt zu werden, galt nicht mehr. Sondern es galt das
Interesse anderer Leute, eine sterbende Person so schnell wie möglich für tot
zu erklären. Zwei Gründe werden für diese Interessen Dritter genannt:
1. die gesetzliche Absicherung für die
Nicht-Fortführung lebenserhaltender Maßnahmen, die eine finanzielle und
persönliche Belastung für Familienmitglieder und die Gesellschaft darstellen
würden,
und
2. das Sammeln lebenswichtiger Organe, um das
Leben anderer Menschen durch Transplantationen zu retten.
Diese zwei Interessen sind
beide nicht die des Patienten, denn sie zielen darauf ab, ihn als Subjekt der
eigenen Interessen so bald wie möglich zu eliminieren.
Die Argumente gegen
die Anwendung des „Hirntods“ als Bestimmung des Todes werden, so Spaemann,
„nicht nur von Philosophen und – vor allem in meinem Land – von führenden
Juristen, sondern auch von Medizinwissenschaftlern“ vorgebracht. Er zitierte
die Worte eines deutschen Anästhesisten, der schrieb: „Hirntote Menschen sind
nicht tot, sondern sterbend“.
Dr. Paul Byrne, ein Neonatologe [Arzt für Neugeborene] aus Toledo, Ohio, bietet eine medizinische Perspektive an. Er bezeugt:
Wenn Organe von einem
„hirntoten“ Spender entnommen werden, sind alle vitalen Zeichen des „Spenders“
vor der Organentnahme noch vorhanden wie: normale Körpertemperatur und
Blutdruck; das Herz schlägt noch; die lebenswichtigen Organe wie Leber und
Niere funktionieren noch und der Spender atmet noch mit Unterstützung eines
Beatmungsgerätes.
Weiterhin sagte Byrne der
Akademie, dass dieses Vorgehen für die meisten Transplantationschirurgen
notwendig sei, denn lebenswichtige Organe verderben sehr rasch, nachdem der
Patient gestorben ist. „Nach dem wirklichen Tod“, sagte er, „können unpaarige
lebenswichtige Organe (besonders das Herz und die ganze Leber) nicht verpflanzt
werden.“
Die Transplantation von
unpaarigen lebenswichtigen Organen ist in den meisten westlichen Ländern legal,
einschließlich der USA, und in einigen Entwicklungsländern wie Brasilien. Die
wichtige Frage für jedermann aber ist: „Ist es moralisch zulässig, ein Leben zu
beenden, um ein anderes zu retten?“
Papst Johannes Paul II. hat wiederholt gesagt, wie kürzlich am 4.
Februar 2003 in seiner Botschaft zum „Welttag des Kranken“: „Es ist niemals erlaubt,
einen Menschen zu töten, um einen anderen Menschen zu retten.“ Der „Katechismus der Katholischen Kirche“
erklärt ausdrücklich (Nr. 2296): „Es ist sittlich unzulässig, die Invalidität
oder den Tod eines Menschen direkt herbeizuführen, selbst wenn dadurch der Tod
anderer Menschen hinausgezögert würde."
Byrne sagt: „In der Medizin
schützen, erhalten und verlängern wir Leben und schieben den Tod hinaus. Unser
Ziel ist, Körper und Seele vereinigt zu erhalten.“ Wenn ein lebenswichtiges
Organ seine Funktion einstellt, so argumentierte er, kann der Tod eintreten.
Andererseits kann ein medizinisches Eingreifen manchmal die Funktion des
geschädigten Organs wiederherstellen oder es können medizinische Apparate (wie
Herzschrittmacher und Herz-Lungen-Maschinen) Leben erhalten. Er sagte: „Die
Beobachtung eines Stillstandes der Gehirnfunktion oder eines anderen
Körperorgans zeigt noch nicht eine Zerstörung dieses Organs und noch viel
weniger den Tod dieser Person an.“
Einige Teilnehmer des Treffens im Februar (2005) verteidigten die Anwendung der „Hirntodkriterien“. Dr. Stewart Youngner von der „Case Western University“ in Ohio gab zu, dass „hirntote“ Spender [noch] leben, aber er führte an, dass dies nicht ein Hindernis für die Entnahme ihrer Organe sein sollte. Sein Argument war, dass die „Lebensqualität“ im „hirntoten“ Patienten so schlecht sei, dass es viel nützlicher sei, seine Organe zu entnehmen, um damit das Leben eines anderen zu verlängern, als das Leben des Organspenders fortzuführen.
Dr. Conrado Estol, ein Neurologe aus Buenos Aires, erklärte die Stufen,
die befolgt werden sollten, um den „Hirntod“ eines potentiellen Organspenders
festzustellen. Dr. Estol, der die Entnahme menschlicher Organe, um das Leben
eines anderen Patienten zu verlängern, sehr stark verteidigte, zeigte ein
dramatisches Video einer Person, die als „hirntot“ diagnostiziert wurde und die
versuchte, sich aufzurichten und ihre Arme zu verschränken; gleichwohl
versicherte Dr. Estol den Zuschauern, dass der Spender ein Leichnam sei. Dies
führte zu einer erschütterten Reaktion bei vielen Teilnehmern der Konferenz.
Ein französischer
Transplantationschirurg, Dr. Didier Houssin, gestand die Schwierigkeiten ein,
die angesichts der Diskrepanzen zwischen den verschiedenen Hirntot-Kriterien
bestehen. Er bemerkte, dass „der Tod eine medizinische Tatsache, ein
biologischer Prozess und eine philosophische Frage ist, aber auch eine soziale
Tatsache.“ Es würde für eine Gesellschaft schwierig sein, zuzugeben, dass ein
Mensch an dem einen Ort als lebendig und an einem anderen Ort als tot angesehen
wird. Doch als Befürworter von Transplantationen sagte er, es sei für die
Gesellschaft wichtig, dass sie Vertrauen zu den Ärzten habe.
Ein anderer französischer
Arzt, Dr. Jean-Didier Vincent vom „Institute Universitaire“, betonte, dass eine
„hirntote“ Person eine vollkommene und unwiderrufliche Zerstörung des Gehirns
erlitten habe. Dr. Vincent wurde sehr ausführlich befragt über den Fall einer
schwangeren Frau, die als hirntot diagnostiziert war und die ihre
Schwangerschaft – an einem lebensunterstützenden System – fortführte und sogar
Muttermilch für ihr ungeborenes Kind produzierte. Er gab zu, dass die Mutter
Milch produzierte, aber er betrachtet diese Produktion eher als verbliebenen
mechanischen Reflex denn als ein Zeichen eines fortdauernden Menschenlebens.
Als er daran erinnert wurde, dass die Produktion von Muttermilch von einem
Signal des vorderen Lappens der Hypophyse [im Gehirn] kommt, das die
Milchsekretion und möglicherweise auch das Brustwachstum anregt, also ein funktionierendes
Gehirn erfordert, antwortete er, es könnte wohl eine minimale Hormonproduktion
im Gehirn geben.
Dr. Cicero Coimbra, ein klinischer Neurologe von der „Federal University von Sao Paolo“, Brasilien, verurteilte in seiner Darlegung vor der Konferenz die Grausamkeit des „Apnea-Tests“, bei dem die mechanische Beatmungsunterstützung dem Patienten für bis zu 10 Minuten entzogen wird, um festzustellen, ob er unabhängig davon wieder zu atmen beginne. Dies ist ein Teil des Vorgehens, ehe ein gehirnverletzter Patient als „hirntot“ erklärt wird. Dr. Coimbra führte aus, dass dieser Test ausdrücklich die mögliche Gesundung eines gehirnverletzten Patienten wesentlich beeinträchtigt und sogar den Tod des Patienten verursachen kann. Er argumentierte:
- Viele gehirnverletzte
Patienten, sogar wenn sie in tiefem Koma liegen, können wieder gesund werden
und ein normales tägliches Leben führen; ihr Nervengewebe mag nur ruhen und
nicht unwiderruflich geschädigt sein in Folge einer teilweisen Verringerung der
Blutversorgung zum Gehirn. (Dieses Phänomen, das man unter dem Begriff
„ischemic penumbra“ kennt, war nicht bekannt, als vor 37 Jahren die ersten
neurologischen Kriterien für den Gehirntod aufgestellt wurden.) Der
„Apnea-Test“ jedoch (er gilt als die wichtigste Stufe zur Diagnose des
„Hirntodes“ oder des Hirnstamm-Todes) kann zu einem unwiderruflichen
intra-cranialen Kollaps der Blutzirkulation oder gar zu Herzstillstand führen,
wodurch eine neurologische Gesundung verhindert wird.
- Beim „Apnea-Test“ werden die Patienten daran
gehindert, Kohlendioxid (CO2) auszuatmen, was dann zu einem Gift für das Herz
wird, wenn die Kohlendioxidkonzentration im Blut ansteigt.
- Als Folge dieses Vorgehens
fällt der Blutdruck, die Versorgung des Gehirns mit Blut kommt unwiderruflich
zum Stillstand und verursacht dadurch – noch vor der Diagnose – einen
unwiderruflichen Gehirnschaden. Indem er den Blutdruck reduziert, reduziert der
„Test“ ferner die Blutzufuhr zu den Atmungszentren im Gehirn und hindert dabei
den Patienten während dieser Prozedur am Atmen. (Mit dem Atmen würde der
Patient zeigen, dass er am Leben ist.)
- Unwiderruflicher Herzstillstand (Tod),
Herzrhythmusstörungen, Myokardinfarkt [Herzinfarkt] und andere
lebensbedrohende schädliche Wirkungen können während dieses „Apnea-Tests“
eintreten. Deshalb kann ein unwiderruflicher Gehirnschaden auftreten vor,
während und am Ende dieses „Hirntod“-Diagnoseverfahrens.
Dr. Coimbra schloss mit der
Bemerkung, daß der „Apnea-Test“ als unethisch betrachtet und als inhumanes
medizinisches Verfahren für illegal erklärt werden sollte. Wenn
Familienangehörige von der Brutalität und dem Risiko dieses Verfahrens
informiert würden, so sagte er, verweigerten die meisten ihre Erlaubnis dazu.
Er stellte noch
folgendes fest: Wenn ein Herzanfall-Patient in die Notaufnahme eingeliefert
wird, dann wird er ja auch nie einem Stress-Test unterworfen, um
herauszufinden, ob er wirklich an einem Herzversagen leidet. Stattdessen wird
dem Patienten eine besondere Sorge zugewendet und er wird vor weiterer
Belastung des Herzens geschützt.
Im Gegensatz dazu wird ein hirnverletzter Patient dem „Apnea-Test“ unterworfen und dem schon verletzten Organ [Gehirn] wird ein noch größerer Stress zugefügt; und zusätzliche Schädigung kann das Leben des Patienten in Gefahr bringen. Dr. Yoshio Watanabe, ein Kardiologe aus Nagoya, Japan, war der gleichen Meinung. Er sagte, wenn ein Patient nicht einem „Apnea-Test“ unterworfen würde, hätte er wohl eine 60%ige Heilungschance zu einem normalen Leben, wenn er mit rechtzeitiger therapeutischer Hypothermie [Unterkühlung des Körpers] behandelt werde.
Die Frage der möglichen
Heilung eines gehirngeschädigten Patienten bewegte auch Dr. David Hill, einen
britischen Anästhesisten und Dozenten in Cambridge. Er sagte: „Es sollte zuerst
betont werden, dass man weithin zugibt: 1. Manche Funktionen oder wenigstens
einige Aktivitäten im Gehirn können noch weiterbestehen. 2. Der einzige Zweck,
einen Patienten lieber als tot denn als sterbend zu bezeichnen, ist,
lebensfähige Organe zur Transplantation zu entnehmen. Die Anwendung dieser
Kriterien, so schloss er, könne in keiner Weise als eine Wohltat für den
sterbenden Patienten interpretiert werden, sondern nur (im Gegensatz zu den
Hippokratischen Prinzipien) als eine potentielle Wohltat für den, der die
Organe des Patienten erhält.“
Dr. Hill erinnerte
daran, dass die ersten Versuche, lebenswichtige Organe zu verpflanzen, oft
scheiterten, weil die Organe, die von Leichnamen entnommen wurden, sich von der
dem Tod des Organspenders folgenden Ischämie [Blutleere, mangelnde Versorgung
einzelner Organe mit Blut] nicht mehr erholten. Die Annahme der
Hirntodkriterien löste dieses Problem, berichtete er, „indem man die Entnahme
lebenswichtiger Organe, bevor die Lebensunterstützung abgeschaltet wird,
erlaubte, ohne gesetzliche Konsequenzen befürchten zu müssen, die sonst mit
dieser Praxis verbunden gewesen wären.“
Zwar sei es
bemerkenswert ist, dass die Öffentlichkeit diese neuen Kriterien akzeptierte,
so stellte Dr. Hill fest, doch sei – so fügte er hinzu - diese Akzeptanz zu
einem großen Teil einer begünstigenden Darstellung der Organtransplantationen
in der Öffentlichkeit und teilweise einer öffentlichen Unwissenheit über die
Verfahren zuzuschreiben.
„Es wird im allgemeinen nicht
erkannt“, sagte er, „dass die Lebensunterstützung nicht entzogen wird, ehe die
Organe entnommen wurden; und es wird auch nicht erkannt, dass eine Form* von
Anästhesie notwendig ist, um den Spender zu kontrollieren, während die
Operation durchgeführt wird.“ Mit zunehmendem Wissen über dieses Verfahren, so
beobachte er, überrasche es nicht, dass - wie im Jahr 2004 in einer Britischen
Studie berichtet wird - die Rate der Ablehnung einer Organtransplantation durch
Verwandte von 30 Prozent im Jahr 1992 auf 44 Prozent im Jahr 2004 angestiegen
ist.“ Dr. Hill wies auch darauf hin, dass Angehörige, wenn sie mit ihren
eigenen Augen den Beweis sähen, dass ein potentieller Organspender noch am
Leben sei, genug Zweifel hegten und nicht bereit seien, einer Organentnahme zuzustimmen.
Im Vereinigten
Königreich [Großbritannien], so berichtete Dr. Hill, gibt es einen steigenden
Druck auf Personen, Spenderausweise zu unterzeichnen und sie jederzeit mit sich
zu führen, mit denen Ärzte bevollmächtigt werden, ihre lebenswichtigen Organe
zu entnehmen. Heute haben sich nur ungefähr 19 Prozent der Bevölkerung des
Landes als Organspender registrieren lassen, obwohl
Fahrzeugregistrierformulare, Führerscheinanträge und andere öffentliche
Dokumente Ankreuzkästchen aufweisen, wo Bürger im Voraus ihr Einverständnis [zu
einer Organentnahme] geben können; sogar Kinder ermutigt man, das anzukreuzen.
Alle diese Dokumente legen fest, dass Organe entnommen werden können nur „nach
meinem Tod“; es wird jedoch keine Erklärung gegeben, was dieser Begriff „Tod“
beinhaltet. Dr. Hill bemerkte erneut dazu, dass dieser Akzeptanz von
Transplantationen ein allgemeiner Mangel des Wissens über die Prozedur zugrunde
liegt. Und doch würden, so stellte er fest, „obwohl für jede andere
Vorgehensweise eine informierte Zustimmung erforderlich ist, für diese
endgültigsten Operationen weder eine Erklärung noch zwei Unterschriften
[Gegenzeichnung] verlangt; es ist auch keine Möglichkeit, die Frage der
Anästhesie zu besprechen.“
Bischof Fabian Bruskewitz von Lincoln, Nebraska, sprach das Thema der
Zustimmung des Spenders an. „So viel ich weiß“, sagte er zur Päpstlichen
Akademie, „hat kein angesehener, ausgebildeter und akzeptierter katholischer
Moraltheologe je gesagt, dass die Worte JESU bezüglich der Hingabe des eigenen
Lebens für seine Freunde (Joh 15,13) ein Befehl sei oder gar eine Erlaubnis zu
einer selbstmörderischen Zustimmung zur Wohltat, das irdische Leben eines
anderen zu verlängern.“
Der Bischof sagte ferner, dass die gegenwärtige
Technologie den Ärzten nur ermöglicht, Gehirnströme „in den äußeren ein oder
zwei Zentimetern des Gehirns“ zu kontrollieren. Er fragte: „Haben wir da
überhaupt moralische - unumstößlich zu nennende - Sicherheit bezüglich des
Vorhandenseins und erst recht bezüglich des Stillstands der Gehirntätigkeit?“
Aus der Sicht der katholischen Morallehre sagte der Bischof:
„Ob der Mensch Zygote, Blastozyt, Embryo, Fötus,
Neugeborener, Kind, Jugendlicher, Erwachsener, invalider oder behinderter
Erwachsener, betagter Erwachsener, Erwachsener im Koma oder (im sogenannten)
andauernden vegetativen Zustand usw. ist – seine Würde und Autonomie werden als
achtenswert angesehen (wie man es durch die ganze Geschichte der katholischen
Kirche hindurch tat); und sie haben Anspruch auf Schutz vor schädlichen menschlichen
Eingriffen, die eine Beendigung des Lebens in einem dieser Stadien bewirken.
Im Licht der ernsten
Fragen über die Gültigkeit der „Hirntod“-Kriterien" argumentierte
Professor Josef Seifert von der Internationalen Akademie für Philosophie in
Liechtenstein, dass Medizinethiker sich auf den wahren und einsichtigen
ethischen Grundsatz berufen sollten (der ausdrücklich von der gesamten
kirchlichen Tradition in der Morallehre gelehrt wird), dass wir - „wenn sogar
nur ein kleiner vernünftiger Zweifel besteht, dass unser Handeln eine lebende
menschliche Person tötet - diese Handlung unterlassen müssen.“
Hier die Beschlüsse, die nach der Untersuchung der gehirnbezogenen Kriterien für den Tod bei der Tagung der Päpstlichen Akademie der Wissenschaften erreicht wurden:
1. Auf der einen Seite erkennt die Kirche in
Übereinstimmung mit ihrer Tradition, dass die Heiligkeit allen menschlichen
Lebens von der Empfängnis bis zu ihrem natürlichen Ende absolut respektiert und
aufrecht erhalten werden muß. Auf der anderen Seite tendiert eine
säkularisierte Gesellschaft dazu, die Lebensqualität stärker zu betonen.
2. Die Katholische Kirche ist der Zerstörung des ungeborenen menschlichen Lebens durch Abtreibung immer entgegengetreten und sie verurteilt es in gleicher Weise, wenn das Leben eines unschuldigen Spenders vorzeitig beendet wird, um das Leben eines anderen Menschen durch eine Transplantation von unpaarigen lebenswichtigen Organen zu verlängern. „Es ist sittlich unzulässig, die Invalidität oder den Tod eines Menschen direkt herbeizuführen, selbst wenn dadurch der Tod anderer Menschen hinausgezögert würde.“ [KKK 2296] „Es ist nie gestattet, einen Menschen zu töten, um einen anderen zu retten.“
3. Wir können auch nicht schweigen angesichts anderer mehr heimlicher, aber nicht weniger ernster und realer Formen von Euthanasie. Dies könnte zum Beispiel geschehen, wenn, um die Verfügbarkeit von Organen für Transplantationen zu steigern, Organe entnommen werden, ohne objektive und angemessene Kriterien zu beachten, die den Tod des Spenders beweisen.
4. „Der Tod einer Person ist ein einmaliges Ereignis; er besteht im völligen Zerfall des einheitlichen und integrierten Ganzen, das das persönliche Selbst ist. Er resultiert aus der Trennung des Lebensprinzips (oder der Seele) von der körperlichen Wirklichkeit der Person.“ Papst Pius XII. verkündete die gleiche Wahrheit, als er erklärte, dass menschliches Leben weiter existiert, wenn sich seine vitalen Funktionen zeigen, selbst mit Unterstützung künstlicher Prozesse.
5. „Die Anerkennung der einzigartigen Würde der menschlichen Person hat eine weitere zugrundeliegende Konsequenz: Lebenswichtige Organe, die einzeln im menschlichen Körper vorkommen, können nur nach dem Tode entnommen werden, das heißt, aus dem Körper von jemandem, der mit Sicherheit tot ist. Diese Bedingung ist von selber einsichtig, denn handelte man anders, würde das bedeuten, bewusst den Tod des Spenders bei der Verfügung über seine Organe zu verursachen.“ Das Natürliche Moralgesetz schließt eine Entnahme von unpaarigen lebenswichtigen Organen zur Transplantation von einer Person, die nicht wirklich tot ist, aus. Die Erklärung des „Hirntodes“ ist unzureichend, um zu dem Schluss zu kommen, dass der Patient wirklich tot ist. Sie ist nicht einmal ausreichend, um eine moralische Gewissheit darüber zu erlangen.
6. Viele in der medizinischen und
wissenschaftlichen Gemeinschaft behaupten, dass gehirnspezifische Kriterien für
den Tod ausreichend seien, um eine moralische Gewissheit des Todes selbst
hervorzubringen. Weitergehender medizinischer und wissenschaftlicher Befund
widerspricht dieser Annahme. Neurologische Kriterien allein sind nicht genug,
eine moralische Sicherheit des Todes selbst zu erzeugen, und sind auch völlig
ungeeignet, um die physische Sicherheit zu erzeugen, dass der Tod eingetreten
ist.
7. Es ist nun offenkundig klar, dass es kein einziges sogenanntes neurologisches Kriterium gibt, das allgemein durch die internationale wissenschaftliche Gemeinschaft festgehalten wird, um den Tod sicher zu bestimmen. Es werden vielmehr viele verschiedene neurologische Kriterien benutzt ohne einen weltweiten Konsens.
8. Neurologische Kriterien sind nicht
ausreichend für die Bestimmung des Todes, wenn ein intaktes Herz-Lungensystem
funktioniert. Diese neurologischen Kriterien prüfen die Abwesenheit einiger
bestimmter Gehirnreflexe. Gehirnfunktionen, die nicht berücksichtigt werden,
sind Temperaturkontrolle, Blutdruck, Herzschlagfrequenz sowie der Salz- und
Wasserzustand. Wenn ein Patient an einem Beatmungsgerät als „hirntot“
bezeichnet wird, dann sind diese Funktionen nicht nur vorhanden, sondern auch
häufig noch aktiv.
9. Der „Apnea-Test“ - die Wegnahme einer Atmungsunterstützung - ist Teil der neurologischen Diagnose und wird paradoxerweise angewendet, um eine Unumkehrbarkeit festzustellen. Dies beeinträchtigt das Resultat erheblich oder verursacht sogar erst den Tod bei Patienten mit schweren Gehirnverletzungen.
10. Es gibt einen überwältigenden medizinischen
und wissenschaftlichen Befund, dass das vollständige und unwiderrufliche Ende
aller Gehirntätigkeit (im Großhirn, Kleinhirn und Hirnstamm) kein Beweis für
den Tod ist. Der vollkommene Stillstand von Gehirnaktivität kann nicht
hinreichend festgestellt werden. Irreversibilität ist eine Prognose und nicht eine
medizinisch feststellbare Tatsache. Wir behandeln heute viele Patienten mit
Erfolg, die in der jüngsten Vergangenheit als hoffnungslose Fälle betrachtet
worden waren.
11. Eine Diagnose des Todes durch neurologische Kriterien allein ist Theorie, keine wissenschaftliche Tatsache. Sie reicht nicht aus, die Lebensvermutung zu überwinden.
12. Kein Gesetz sollte überhaupt versuchen, einen Akt als legal hinzustellen, der in sich ein Übel ist. „Ich wiederhole noch einmal, dass ein Gesetz, welches das natürliche Recht zum Leben einer unschuldigen Person verletzt, ungerecht und als solches als Gesetz nicht gültig ist. Aus diesem Grund appelliere ich noch einmal dringend an alle politischen Führer, keine Gesetze zu beschließen, die unter Missachtung der Würde der Person sogar den Bestand der Gesellschaft unterminieren."
13. Das Beenden eines unschuldigen Lebens bei
dem Versuch, ein anderes Leben zu retten, wie es im Falle der Transplantation
von unpaarigen lebenswichtigen Organen geschieht, mildert nicht das Übel, einem
unschuldigen Menschen das Leben zu nehmen. Böses darf nicht getan werden, damit
Gutes daraus entstehen möge.
Unterzeichner:
J. A. Armour,
Arzt, University of Montreal – Hospital of the Sacred Heart, Montreal, Quebec
Fabian Bruskewitz, Bischof von Lincoln, Nebraska
Paul A. Byrne, ehemaliger Präsident der „Catholic Medical Association“, USA
Pilar Mercado Calva, Professor, Medizinische Fakultät, Anahuac University, Mexiko
Cicero
G. Coimbra, Professor für
Klinische Neurologie, Federal University, Sao Paolo, Brasilien
William F. Colliton, emerit. Professor für Geburtshilfe u. Gynäkologie, George Washington University, Medizin. Fakultät, Virginia
Joseph C. Evers, assoziierter Professor für Kinderheilkunde, Georgetown University, Medizinische Fakultät, Washington, DC
David Hill, emeritierter beratender Anästhesist am Addenbrooke Hospital, und assoziierter Dozent, Cambridge University, England
Ruth Oliver, Psychiaterin, Kingston, Ontario
Michael Potts, Direktor der Abteilung Religion und Philosophie, Methodist Colleg, Fayetteville, North Carolina
Josef Seifert, Professor für Philosophie an der Internationalen Akademie für Philosophie in Vaduz, Liechtenstein; Ehrenmitglied der Medizinischen Fakultät der Päpstlichen Katholischen Universität von Chile in Santiago, Chile
Robert Spaemann, emeritierter Professor der Philosophie an der Universität München, Deutschland
Robert F. Vasa, Bischof der Diözese Baker, Oregon
Yoshio Watanabe, beratender Kardiologe, Nagoya Tokushukai General Hospital, Japan
Mercedes Arzú Wilson, Präsidentin der „Family of the Americas Foundation“ und der „Weltorganisation für die Familie“
QUELLE: Essay - Das Treffen der Päpstlichen Akademie
der Wissenschaften, anfangs Februar 2005 - Dr. Paul Byrne, für „The
Compassionate Healthcare Network“, 29. März
2005, per E-Mail«
* In unsere Übersetzung vom September ist uns leider
an einer Stelle ein Übersetzungsfehler unterlaufen, auf den wir aufmerksam
gemacht wurden und der in der hier abgedruckten Fassung ausgebessert ist: Es
heißt im englischen Originaltext nicht, wie übersetzt: „Es wird im allgemeinen
nicht erkannt..., und dass auch keinerlei Form von Anästhesie notwendig
ist...“, sondern: „und [es wird] auch nicht [erkannt], dass [irgend] eine
Form von Anästhesie notwendig ist...“.
Angesichts der unterschiedlichen rechtlichen
Regelung in den verschiedenen Ländern kann man auch – etwa bei einem Unfall im
Ausland – ungewollt zum „Organspender“ werden:
1. In Deutschland gilt die sog. erweiterte
Zustimmungsregelung: der „hirntote“ Spender muss früher einer Organentnahme
zugestimmt haben (z. B. durch einen Organspendeausweis). Liegt keine Zustimmung
vor, können Angehörige über eine Entnahme entscheiden. Entscheidungsgrundlage
für sie ist der ihnen bekannte oder der mutmaßliche Wille des „Verstorbenen“.
Eine ähnliche Regelung wie in Deutschland gilt auch in Dänemark,
Griechenland, Großbritannien, Irland, Niederlande, Schweiz (in der Schweiz
haben die Kantone unterschiedliche Regelungen, in der Praxis wird aber die
erweiterte Zustimmungsregelung angewandt).
2. Andere Länder haben eine Widerspruchsregelung: Hat der
„Verstorbene“ einer Organentnahme zu Lebzeiten nicht ausdrücklich
widersprochen, z. B. in einem Widerspruchsregister, so können Organe zur
Transplantation entnommen werden. Dies gilt in Italien, Luxemburg,
Österreich, Portugal, Slowenien, Spanien, Tschechien und Ungarn. In einigen
Ländern haben die Angehörigen ein Widerspruchsrecht: Belgien, Finnland,
Norwegen.
Für Österreich kann man seinen Widerspruch gegen
eine Organentnahme beim „Österreichischen Bundesinstitut für Gesundheitswesen“,
A-1010 Wien, Stubenring 6, Telefon +43 1 515 61-175, Formular unter:
www.oebig.at. (Widerspruchsregister) registrieren lassen!
3. In anderen Ländern gibt es eine sog. Informationsregelung: Auch hier geht der Gesetzgeber grundsätzlich
von einer Bereitschaft zur Organspende bei fehlendem Widerspruch zu Lebzeiten
aus. Allerdings müssen die Angehörigen in jedem Fall über die geplante Entnahme
unterrichtet werden. Ein Einspruchsrecht steht den Angehörigen jedoch nicht zu.
Dies gilt in Frankreich und Schweden. (Quelle für diese Angaben:
www.organspende.de [Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung], vgl. auch
ADACmotorwelt 10/2005 S. 58).