(aus: FMG-INFORMATION 87, Dezember 2007)

 

»„Hirntod“ ist nicht Tod!«

 

Organtransplantation und damit verbunden die Akzeptanz oder Ablehnung des sog. Hirntodes ist auch im kirchlichen Raum ein Thema, das Emotionen hervorruft und eigenartige „Warnungen“, das Thema ja nicht zu „skandalisieren“. Wer den „Hirntod“ nicht schluckt, betreibt angeblich „Agitation“. Warum mangelt es an der Bereitschaft, sachlich und nüchtern zu urteilen bzw. warum werden auch in katholischen Publikationen Fakten verschwiegen oder vernebelt – etwa, dass die „Hirntodkriterien“ in der verschiedenen Ländern sehr unterschiedlich geregelt sind?

Kann ein Handeln vor dem 5. Gebot GOTTES bestehen, wenn es auch nur ein geringes Risiko in sich trägt, dass ein lebender Mensch getötet wird? Und es ist mehr als nur ein „geringes Risiko“, wie der folgende Essay als Bericht über eine Tagung der Päpstlichen Akademie der Wissenschaften zeigt! Heiligt der Zweck die Mittel – d. h. erlaubt die „gute Tat“ der Lebensverlängerung für einen Menschen, dass einem anderen auch nur eine Sekunde seines Lebens genommen wird, oder darf dieser selber seine Tötung wollen und in sie einwilligen, weil einem anderen dadurch das Leben möglicherweise verlängert werden kann? Es ist ein grundlegender moralischer Unterschied, sein Leben zur Rettung eines anderen zu riskieren (etwa bei einem Brand oder einer Katastrophe) oder die eigene Tötung zu wollen (selbst wenn der eigene Tod möglicherweise nahe bevorsteht).

Wichtig ist es, bei Organtransplantationen den Unterschied zwischen „unpaarigen“ und „paarigen Organen“ zu beachten – wenn eines von zwei paarigen Organen in einem großen Dienst der Liebe einem Kranken gespendet wird, kann der Spender mit dem verbleibenden Organ weiterleben (z. B. Niere) – im anderen Fall (z. B. Herz) nicht.

Entscheidend ist also die Frage, ob der Hirntod (mit seinen im Lauf der letzten Jahre veränderten und nach Länder differierenden Kriterien!) wirklich den Tod eines Menschen bedeutet. Dazu gibt der folgende Essay Informationen, die sehr nachdenklich machen müssen.

 

»Essay von einer Tagung der Päpstlichen Akademie der Wissenschaften, Februar 2005

von Paul A. Byrne, Cicero G. Coimbra, Robert Spaemann und Mercedes Arzú Wilson«

 

»Am 3. und 4. Februar 2005 war die Päpstliche Akademie der Wissenschaften, in Zusammenarbeit mit der Weltorganisation für die Familie, Gastgeber eines Treffens im Vatikan zum Thema „Die Zeichen des Todes“. Dieser Essay basiert zum einen auf den Aufsätzen, die bei der Päpstlichen Akademie eingereicht wurden, zum andern auf den Diskussionen, die in diesen zwei Tagen stattgefunden haben.

Das Treffen wurde auf die Bitte von Papst Johannes Paul II. einberufen, um erneut die Zeichen des Todes einzuschätzen und auf rein wissenschaftlicher Basis die Gültigkeit der auf das Gehirn bezogenen Kriterien für den Tod zu verifizieren sowie um in die derzeitige Debatte der Wissenschaftler über dieses Thema einzutreten.

In einer Botschaft an die Päpstliche Akademie der Wissenschaften, die anlässlich des Februartreffens veröffentlicht wurde, sagte der Heilige Vater, dass die Kirche stets „die Praxis der Organtransplantationen von toten Personen“ unterstützt hat. Er warnte jedoch, dass Transplantationen nur akzeptabel seien, wenn sie in einer Weise durchgeführt werden, die „den Respekt vor dem Leben und der menschlichen Person garantieren“.

Der Papst zitierte seinen Vorgänger, Papst Pius XII., der gesagt hatte, dass „es Aufgabe des Arztes ist, eine klare und genaue Definition des Todes und des Zeitpunktes des Todes zu geben.“ Er ermutigte die Päpstliche Akademie, diese Aufgabe zu verfolgen, und versprach, die Wissenschaftler könnten sich auf die Unterstützung der vatikanischen Stellen verlassen, „vor allem auf die Kongregation für die Glaubenslehre“.

 

Hintergrund

1968 wurde das „Harvard Kriterium“ zur Bestimmung des Hirntodes in der Zeitschrift der „American Medical Association“ veröffentlicht unter dem Titel „Eine Definition des irreversiblen (nicht umkehrbaren) Komas“. Dieser Artikel wurde ohne stichhaltige Fakten veröffentlicht, weder aus der wissenschaftlichen Forschung noch aus Fallstudien von Einzelpatienten. Aus diesem Grunde erklärte auch eine Mehrheit der Konferenzteilnehmer in Rom diese „Harvard Kriterien“ als wissenschaftlich ungültig.

2002 wurden in der Neurologie die Resultate einer weltweiten Untersuchung veröffentlicht mit der Schlussfolgerung, dass der Gebrauch des Begriffes „Hirntod“ weltweit zwar „akzeptierte Tatsache“ ist, dass es „aber keine globale Übereinstimmung über die diagnostischen Kriterien gab" und dass es noch „weltweit ungelöste Fragen“ gibt. Tatsächlich wurden zwischen 1968 und 1978 mindestens 30 grundverschiedene Aufzählungen von Hirntod-Kriterien veröffentlicht, und seitdem kamen noch viele weitere hinzu. Jede neue Aufstellung von solchen Kriterien tendiert dazu, weniger streng zu sein als frühere, und keine von ihnen ist gegründet auf wissenschaftliche Beobachtungsmethoden und auf Hypothesen, die verifiziert wurden.

Versuche, die neueren Kriterien mit den im Lauf der Zeit erprobten und allgemein akzeptierten Kriterien für den Tod zu vergleichen – nämlich Stillstand des Kreislaufs, der Atmung und der Reflexe –, zeigen, dass diese Kriterien sich deutlich unterscheiden. Dies hatte für den medizinischen Beruf eine unglückliche Situation zur Folge. Viele Ärzte, die spüren, dass der Hippokratische Eid verletzt wird, wenn solch ungleichartige Kriterien akzeptiert werden, empfinden sie Notwendigkeit, dass die Falschheit des „Hirntods“ entlarvt wird, denn das hohe Ansehen des medizinischen Berufes steht auf dem Spiel.

 

Philosophische Überlegungen

In seiner Darlegung für die Päpstliche Akademie zitierte Robert Spaemann, ein bekannter ehemaliger Professor für Philosophie an der Universität München, die Worte Papst Pius’ XII., der erklärte, daß „menschliches Leben weiter existiert, wenn sich seine vitalen Funktionen zeigen, selbst mit Unterstützung künstlicher Prozesse“.

Professor Spaemann bemerkte: „Der Stillstand der Atmung und des Herzschlags, das ‚Erlöschen der Augen’, die Leichenstarre etc. sind die Kriterien, an denen die Menschen seit unvordenklichen Zeiten sahen und fühlten, dass ein menschlicher Gefährte tot ist.“ Doch die „Harvard Kriterien“ „veränderten grundlegend diese Wechselbeziehung zwischen der medizinischen Wissenschaft und der normalen zwischenmenschlichen Wahrnehmung“. Er stellte fest:

Wenn die Wissenschaft die Existenz der Todeszeichen, wie sie der gesunde Menschenverstand wahrnimmt, in Frage stellt, geht sie nicht mehr vom „normalen“ Verständnis von Leben und Tod aus. In der Tat macht sie die normale menschliche Wahrnehmung ungültig, indem sie Menschen für tot erklärt, die als noch lebend wahrgenommen werden.

Dieser neue Versuch, den Tod zu definieren, sagte der deutsche Gelehrte, spiegelt andere Prioritäten wider:

Das Interesse des Sterbenden, zu vermeiden, vorzeitig für tot erklärt zu werden, galt nicht mehr. Sondern es galt das Interesse anderer Leute, eine sterbende Person so schnell wie möglich für tot zu erklären. Zwei Gründe werden für diese Interessen Dritter genannt:

1. die gesetzliche Absicherung für die Nicht-Fortführung lebenserhaltender Maßnahmen, die eine finanzielle und persönliche Belastung für Familienmitglieder und die Gesellschaft darstellen würden,

und

2. das Sammeln lebenswichtiger Organe, um das Leben anderer Menschen durch Transplantationen zu retten.

Diese zwei Interessen sind beide nicht die des Patienten, denn sie zielen darauf ab, ihn als Subjekt der eigenen Interessen so bald wie möglich zu eliminieren.

Die Argumente gegen die Anwendung des „Hirntods“ als Bestimmung des Todes werden, so Spaemann, „nicht nur von Philosophen und – vor allem in meinem Land – von führenden Juristen, sondern auch von Medizinwissenschaftlern“ vorgebracht. Er zitierte die Worte eines deutschen Anästhesisten, der schrieb: „Hirntote Menschen sind nicht tot, sondern sterbend“.

 

Medizinische Begründung

Dr. Paul Byrne, ein Neonatologe [Arzt für Neugeborene] aus Toledo, Ohio, bietet eine medizinische Perspektive an. Er bezeugt:

Wenn Organe von einem „hirntoten“ Spender entnommen werden, sind alle vitalen Zeichen des „Spenders“ vor der Organentnahme noch vorhanden wie: normale Körpertemperatur und Blutdruck; das Herz schlägt noch; die lebenswichtigen Organe wie Leber und Niere funktionieren noch und der Spender atmet noch mit Unterstützung eines Beatmungsgerätes.

Weiterhin sagte Byrne der Akademie, dass dieses Vorgehen für die meisten Transplantationschirurgen notwendig sei, denn lebenswichtige Organe verderben sehr rasch, nachdem der Patient gestorben ist. „Nach dem wirklichen Tod“, sagte er, „können unpaarige lebenswichtige Organe (besonders das Herz und die ganze Leber) nicht verpflanzt werden.“

Die Transplantation von unpaarigen lebenswichtigen Organen ist in den meisten westlichen Ländern legal, einschließlich der USA, und in einigen Entwicklungsländern wie Brasilien. Die wichtige Frage für jedermann aber ist: „Ist es moralisch zulässig, ein Leben zu beenden, um ein anderes zu retten?“  Papst Johannes Paul II. hat wiederholt gesagt, wie kürzlich am 4. Februar 2003 in seiner Botschaft zum „Welttag des Kranken“: „Es ist niemals erlaubt, einen Menschen zu töten, um einen anderen Menschen zu retten.“  Der „Katechismus der Katholischen Kirche“ erklärt ausdrücklich (Nr. 2296): „Es ist sittlich unzulässig, die Invalidität oder den Tod eines Menschen direkt herbeizuführen, selbst wenn dadurch der Tod anderer Menschen hinausgezögert würde."

Byrne sagt: „In der Medizin schützen, erhalten und verlängern wir Leben und schieben den Tod hinaus. Unser Ziel ist, Körper und Seele vereinigt zu erhalten.“ Wenn ein lebenswichtiges Organ seine Funktion einstellt, so argumentierte er, kann der Tod eintreten. Andererseits kann ein medizinisches Eingreifen manchmal die Funktion des geschädigten Organs wiederherstellen oder es können medizinische Apparate (wie Herzschrittmacher und Herz-Lungen-Maschinen) Leben erhalten. Er sagte: „Die Beobachtung eines Stillstandes der Gehirnfunktion oder eines anderen Körperorgans zeigt noch nicht eine Zerstörung dieses Organs und noch viel weniger den Tod dieser Person an.“

 

Verteidigung der Kriterien

Einige Teilnehmer des Treffens im Februar (2005) verteidigten die Anwendung der „Hirntodkriterien“. Dr. Stewart Youngner von der „Case Western University“ in Ohio gab zu, dass „hirntote“ Spender [noch] leben, aber er führte an, dass dies nicht ein Hindernis für die Entnahme ihrer Organe sein sollte. Sein Argument war, dass die „Lebensqualität“ im „hirntoten“ Patienten so schlecht sei, dass es viel nützlicher sei, seine Organe zu entnehmen, um damit das Leben eines anderen zu verlängern, als das Leben des Organspenders fortzuführen.

Dr. Conrado Estol, ein Neurologe aus Buenos Aires, erklärte die Stufen, die befolgt werden sollten, um den „Hirntod“ eines potentiellen Organspenders festzustellen. Dr. Estol, der die Entnahme menschlicher Organe, um das Leben eines anderen Patienten zu verlängern, sehr stark verteidigte, zeigte ein dramatisches Video einer Person, die als „hirntot“ diagnostiziert wurde und die versuchte, sich aufzurichten und ihre Arme zu verschränken; gleichwohl versicherte Dr. Estol den Zuschauern, dass der Spender ein Leichnam sei. Dies führte zu einer erschütterten Reaktion bei vielen Teilnehmern der Konferenz.

Ein französischer Transplantationschirurg, Dr. Didier Houssin, gestand die Schwierigkeiten ein, die angesichts der Diskrepanzen zwischen den verschiedenen Hirntot-Kriterien bestehen. Er bemerkte, dass „der Tod eine medizinische Tatsache, ein biologischer Prozess und eine philosophische Frage ist, aber auch eine soziale Tatsache.“ Es würde für eine Gesellschaft schwierig sein, zuzugeben, dass ein Mensch an dem einen Ort als lebendig und an einem anderen Ort als tot angesehen wird. Doch als Befürworter von Transplantationen sagte er, es sei für die Gesellschaft wichtig, dass sie Vertrauen zu den Ärzten habe.

Ein anderer französischer Arzt, Dr. Jean-Didier Vincent vom „Institute Universitaire“, betonte, dass eine „hirntote“ Person eine vollkommene und unwiderrufliche Zerstörung des Gehirns erlitten habe. Dr. Vincent wurde sehr ausführlich befragt über den Fall einer schwangeren Frau, die als hirntot diagnostiziert war und die ihre Schwangerschaft – an einem lebensunterstützenden System – fortführte und sogar Muttermilch für ihr ungeborenes Kind produzierte. Er gab zu, dass die Mutter Milch produzierte, aber er betrachtet diese Produktion eher als verbliebenen mechanischen Reflex denn als ein Zeichen eines fortdauernden Menschenlebens. Als er daran erinnert wurde, dass die Produktion von Muttermilch von einem Signal des vorderen Lappens der Hypophyse [im Gehirn] kommt, das die Milchsekretion und möglicherweise auch das Brustwachstum anregt, also ein funktionierendes Gehirn erfordert, antwortete er, es könnte wohl eine minimale Hormonproduktion im Gehirn geben.

 

Der „Apnea-Test“

Dr. Cicero Coimbra, ein klinischer Neurologe von der „Federal University von Sao Paolo“, Brasilien, verurteilte in seiner Darlegung vor der Konferenz die Grausamkeit des „Apnea-Tests“, bei dem die mechanische Beatmungsunterstützung dem Patienten für bis zu 10 Minuten entzogen wird, um festzustellen, ob er unabhängig davon wieder zu atmen beginne. Dies ist ein Teil des Vorgehens, ehe ein gehirnverletzter Patient als „hirntot“ erklärt wird. Dr. Coimbra führte aus, dass dieser Test ausdrücklich die mögliche Gesundung eines gehirnverletzten Patienten wesentlich beeinträchtigt und sogar den Tod des Patienten verursachen kann. Er argumentierte:

- Viele gehirnverletzte Patienten, sogar wenn sie in tiefem Koma liegen, können wieder gesund werden und ein normales tägliches Leben führen; ihr Nervengewebe mag nur ruhen und nicht unwiderruflich geschädigt sein in Folge einer teilweisen Verringerung der Blutversorgung zum Gehirn. (Dieses Phänomen, das man unter dem Begriff „ischemic penumbra“ kennt, war nicht bekannt, als vor 37 Jahren die ersten neurologischen Kriterien für den Gehirntod aufgestellt wurden.) Der „Apnea-Test“ jedoch (er gilt als die wichtigste Stufe zur Diagnose des „Hirntodes“ oder des Hirnstamm-Todes) kann zu einem unwiderruflichen intra-cranialen Kollaps der Blutzirkulation oder gar zu Herzstillstand führen, wodurch eine neurologische Gesundung verhindert wird.

- Beim „Apnea-Test“ werden die Patienten daran gehindert, Kohlendioxid (CO2) auszuatmen, was dann zu einem Gift für das Herz wird, wenn die Kohlendioxidkonzentration im Blut ansteigt.

- Als Folge dieses Vorgehens fällt der Blutdruck, die Versorgung des Gehirns mit Blut kommt unwiderruflich zum Stillstand und verursacht dadurch – noch vor der Diagnose – einen unwiderruflichen Gehirnschaden. Indem er den Blutdruck reduziert, reduziert der „Test“ ferner die Blutzufuhr zu den Atmungszentren im Gehirn und hindert dabei den Patienten während dieser Prozedur am Atmen. (Mit dem Atmen würde der Patient zeigen, dass er am Leben ist.)

- Unwiderruflicher Herzstillstand (Tod), Herzrhythmus­störungen, Myokardinfarkt [Herzinfarkt] und andere lebensbedrohende schädliche Wirkungen können während dieses „Apnea-Tests“ eintreten. Deshalb kann ein unwiderruflicher Gehirnschaden auftreten vor, während und am Ende dieses „Hirntod“-Diagnoseverfahrens.

Dr. Coimbra schloss mit der Bemerkung, daß der „Apnea-Test“ als unethisch betrachtet und als inhumanes medizinisches Verfahren für illegal erklärt werden sollte. Wenn Familienangehörige von der Brutalität und dem Risiko dieses Verfahrens informiert würden, so sagte er, verweigerten die meisten ihre Erlaubnis dazu.

Er stellte noch folgendes fest: Wenn ein Herzanfall-Patient in die Notaufnahme eingeliefert wird, dann wird er ja auch nie einem Stress-Test unterworfen, um herauszufinden, ob er wirklich an einem Herzversagen leidet. Stattdessen wird dem Patienten eine besondere Sorge zugewendet und er wird vor weiterer Belastung des Herzens geschützt.

Im Gegensatz dazu wird ein hirnverletzter Patient dem „Apnea-Test“ unterworfen und dem schon verletzten Organ [Gehirn] wird ein noch größerer Stress zugefügt; und zusätzliche Schädigung kann das Leben des Patienten in Gefahr bringen. Dr. Yoshio Watanabe, ein Kardiologe aus Nagoya, Japan, war der gleichen Meinung. Er sagte, wenn ein Patient nicht einem „Apnea-Test“ unterworfen würde, hätte er wohl eine 60%ige Heilungschance zu einem normalen Leben, wenn er mit rechtzeitiger therapeutischer Hypothermie [Unterkühlung des Körpers] behandelt werde.

Die Frage der möglichen Heilung eines gehirngeschädigten Patienten bewegte auch Dr. David Hill, einen britischen Anästhesisten und Dozenten in Cambridge. Er sagte: „Es sollte zuerst betont werden, dass man weithin zugibt: 1. Manche Funktionen oder wenigstens einige Aktivitäten im Gehirn können noch weiterbestehen. 2. Der einzige Zweck, einen Patienten lieber als tot denn als sterbend zu bezeichnen, ist, lebensfähige Organe zur Transplantation zu entnehmen. Die Anwendung dieser Kriterien, so schloss er, könne in keiner Weise als eine Wohltat für den sterbenden Patienten interpretiert werden, sondern nur (im Gegensatz zu den Hippokratischen Prinzipien) als eine potentielle Wohltat für den, der die Organe des Patienten erhält.“

 

„Die Täuschung“

Dr. Hill erinnerte daran, dass die ersten Versuche, lebenswichtige Organe zu verpflanzen, oft scheiterten, weil die Organe, die von Leichnamen entnommen wurden, sich von der dem Tod des Organspenders folgenden Ischämie [Blutleere, mangelnde Versorgung einzelner Organe mit Blut] nicht mehr erholten. Die Annahme der Hirntodkriterien löste dieses Problem, berichtete er, „indem man die Entnahme lebenswichtiger Organe, bevor die Lebensunterstützung abgeschaltet wird, erlaubte, ohne gesetzliche Konsequenzen befürchten zu müssen, die sonst mit dieser Praxis verbunden gewesen wären.“

Zwar sei es bemerkenswert ist, dass die Öffentlichkeit diese neuen Kriterien akzeptierte, so stellte Dr. Hill fest, doch sei – so fügte er hinzu - diese Akzeptanz zu einem großen Teil einer begünstigenden Darstellung der Organtransplantationen in der Öffentlichkeit und teilweise einer öffentlichen Unwissenheit über die Verfahren zuzuschreiben.

„Es wird im allgemeinen nicht erkannt“, sagte er, „dass die Lebensunterstützung nicht entzogen wird, ehe die Organe entnommen wurden; und es wird auch nicht erkannt, dass eine Form* von Anästhesie notwendig ist, um den Spender zu kontrollieren, während die Operation durchgeführt wird.“ Mit zunehmendem Wissen über dieses Verfahren, so beobachte er, überrasche es nicht, dass - wie im Jahr 2004 in einer Britischen Studie berichtet wird - die Rate der Ablehnung einer Organtransplantation durch Verwandte von 30 Prozent im Jahr 1992 auf 44 Prozent im Jahr 2004 angestiegen ist.“ Dr. Hill wies auch darauf hin, dass Angehörige, wenn sie mit ihren eigenen Augen den Beweis sähen, dass ein potentieller Organspender noch am Leben sei, genug Zweifel hegten und nicht bereit seien, einer Organentnahme zuzustimmen.

Im Vereinigten Königreich [Großbritannien], so berichtete Dr. Hill, gibt es einen steigenden Druck auf Personen, Spenderausweise zu unterzeichnen und sie jederzeit mit sich zu führen, mit denen Ärzte bevollmächtigt werden, ihre lebenswichtigen Organe zu entnehmen. Heute haben sich nur ungefähr 19 Prozent der Bevölkerung des Landes als Organspender registrieren lassen, obwohl Fahrzeugregistrierformulare, Führerscheinanträge und andere öffentliche Dokumente Ankreuzkästchen aufweisen, wo Bürger im Voraus ihr Einverständnis [zu einer Organentnahme] geben können; sogar Kinder ermutigt man, das anzukreuzen. Alle diese Dokumente legen fest, dass Organe entnommen werden können nur „nach meinem Tod“; es wird jedoch keine Erklärung gegeben, was dieser Begriff „Tod“ beinhaltet. Dr. Hill bemerkte erneut dazu, dass dieser Akzeptanz von Transplantationen ein allgemeiner Mangel des Wissens über die Prozedur zugrunde liegt. Und doch würden, so stellte er fest, „obwohl für jede andere Vorgehensweise eine informierte Zustimmung erforderlich ist, für diese endgültigsten Operationen weder eine Erklärung noch zwei Unterschriften [Gegenzeichnung] verlangt; es ist auch keine Möglichkeit, die Frage der Anästhesie zu besprechen.“

Bischof Fabian Bruskewitz von Lincoln, Nebraska, sprach das Thema der Zustimmung des Spenders an. „So viel ich weiß“, sagte er zur Päpstlichen Akademie, „hat kein angesehener, ausgebildeter und akzeptierter katholischer Moraltheologe je gesagt, dass die Worte JESU bezüglich der Hingabe des eigenen Lebens für seine Freunde (Joh 15,13) ein Befehl sei oder gar eine Erlaubnis zu einer selbstmörderischen Zustimmung zur Wohltat, das irdische Leben eines anderen zu verlängern.“

Der Bischof sagte ferner, dass die gegenwärtige Technologie den Ärzten nur ermöglicht, Gehirnströme „in den äußeren ein oder zwei Zentimetern des Gehirns“ zu kontrollieren. Er fragte: „Haben wir da überhaupt moralische - unumstößlich zu nennende - Sicherheit bezüglich des Vorhandenseins und erst recht bezüglich des Stillstands der Gehirntätigkeit?“ Aus der Sicht der katholischen Morallehre sagte der Bischof:

„Ob der Mensch Zygote, Blastozyt, Embryo, Fötus, Neugeborener, Kind, Jugendlicher, Erwachsener, invalider oder behinderter Erwachsener, betagter Erwachsener, Erwachsener im Koma oder (im sogenannten) andauernden vegetativen Zustand usw. ist – seine Würde und Autonomie werden als achtenswert angesehen (wie man es durch die ganze Geschichte der katholischen Kirche hindurch tat); und sie haben Anspruch auf Schutz vor schädlichen menschlichen Eingriffen, die eine Beendigung des Lebens in einem dieser Stadien bewirken.

Im Licht der ernsten Fragen über die Gültigkeit der „Hirntod“-Kriterien" argumentierte Professor Josef Seifert von der Internationalen Akademie für Philosophie in Liechtenstein, dass Medizinethiker sich auf den wahren und einsichtigen ethischen Grundsatz berufen sollten (der ausdrücklich von der gesamten kirchlichen Tradition in der Morallehre gelehrt wird), dass wir - „wenn sogar nur ein kleiner vernünftiger Zweifel besteht, dass unser Handeln eine lebende menschliche Person tötet - diese Handlung unterlassen müssen.“

 

Anzeichen für den Tod

Hier die Beschlüsse, die nach der Untersuchung der gehirnbezogenen Kriterien für den Tod bei der Tagung der Päpstlichen Akademie der Wissenschaften erreicht wurden:

1. Auf der einen Seite erkennt die Kirche in Übereinstimmung mit ihrer Tradition, dass die Heiligkeit allen menschlichen Lebens von der Empfängnis bis zu ihrem natürlichen Ende absolut respektiert und aufrecht erhalten werden muß. Auf der anderen Seite tendiert eine säkularisierte Gesellschaft dazu, die Lebensqualität stärker zu betonen.

2. Die Katholische Kirche ist der Zerstörung des ungeborenen menschlichen Lebens durch Abtreibung immer entgegengetreten und sie verurteilt es in gleicher Weise, wenn das Leben eines unschuldigen Spenders vorzeitig beendet wird, um das Leben eines anderen Menschen durch eine Transplantation von unpaarigen lebenswichtigen Organen zu verlängern. „Es ist sittlich unzulässig, die Invalidität oder den Tod eines Menschen direkt herbeizuführen, selbst wenn dadurch der Tod anderer Menschen hinausgezögert würde.“ [KKK 2296] „Es ist nie gestattet, einen Menschen zu töten, um einen anderen zu retten.“

3. Wir können auch nicht schweigen angesichts anderer mehr heimlicher, aber nicht weniger ernster und realer Formen von Euthanasie. Dies könnte zum Beispiel geschehen, wenn, um die Verfügbarkeit von Organen für Transplantationen zu steigern, Organe entnommen werden, ohne objektive und angemessene Kriterien zu beachten, die den Tod des Spenders beweisen.

4. „Der Tod einer Person ist ein einmaliges Ereignis; er besteht im völligen Zerfall des einheitlichen und integrierten Ganzen, das das persönliche Selbst ist. Er resultiert aus der Trennung des Lebensprinzips (oder der Seele) von der körperlichen Wirklichkeit der Person.“ Papst Pius XII. verkündete die gleiche Wahrheit, als er erklärte, dass menschliches Leben weiter existiert, wenn sich seine vitalen Funktionen zeigen, selbst mit Unterstützung künstlicher Prozesse.

5. „Die Anerkennung der einzigartigen Würde der menschlichen Person hat eine weitere zugrundeliegende Konsequenz: Lebenswichtige Organe, die einzeln im menschlichen Körper vorkommen, können nur nach dem Tode entnommen werden, das heißt, aus dem Körper von jemandem, der mit Sicherheit tot ist. Diese Bedingung ist von selber einsichtig, denn handelte man anders, würde das bedeuten, bewusst den Tod des Spenders bei der Verfügung über seine Organe zu verursachen.“ Das Natürliche Moralgesetz schließt eine Entnahme von unpaarigen lebenswichtigen Organen zur Transplantation von einer Person, die nicht wirklich tot ist, aus. Die Erklärung des „Hirntodes“ ist unzureichend, um zu dem Schluss zu kommen, dass der Patient wirklich tot ist. Sie ist nicht einmal ausreichend, um eine moralische Gewissheit darüber zu erlangen.

6. Viele in der medizinischen und wissenschaftlichen Gemeinschaft behaupten, dass gehirnspezifische Kriterien für den Tod ausreichend seien, um eine moralische Gewissheit des Todes selbst hervorzubringen. Weitergehender medizinischer und wissenschaftlicher Befund widerspricht dieser Annahme. Neurologische Kriterien allein sind nicht genug, eine moralische Sicherheit des Todes selbst zu erzeugen, und sind auch völlig ungeeignet, um die physische Sicherheit zu erzeugen, dass der Tod eingetreten ist.

7. Es ist nun offenkundig klar, dass es kein einziges sogenanntes neurologisches Kriterium gibt, das allgemein durch die internationale wissenschaftliche Gemeinschaft festgehalten wird, um den Tod sicher zu bestimmen. Es werden vielmehr viele verschiedene neurologische Kriterien benutzt ohne einen weltweiten Konsens.

8. Neurologische Kriterien sind nicht ausreichend für die Bestimmung des Todes, wenn ein intaktes Herz-Lungensystem funktioniert. Diese neurologischen Kriterien prüfen die Abwesenheit einiger bestimmter Gehirnreflexe. Gehirnfunktionen, die nicht berücksichtigt werden, sind Temperaturkontrolle, Blutdruck, Herzschlagfrequenz sowie der Salz- und Wasserzustand. Wenn ein Patient an einem Beatmungsgerät als „hirntot“ bezeichnet wird, dann sind diese Funktionen nicht nur vorhanden, sondern auch häufig noch aktiv.

9. Der „Apnea-Test“ - die Wegnahme einer Atmungsunterstützung - ist Teil der neurologischen Diagnose und wird paradoxerweise angewendet, um eine Unumkehrbarkeit festzustellen. Dies beeinträchtigt das Resultat erheblich oder verursacht sogar erst den Tod bei Patienten mit schweren Gehirnverletzungen.

10. Es gibt einen überwältigenden medizinischen und wissenschaftlichen Befund, dass das vollständige und unwiderrufliche Ende aller Gehirntätigkeit (im Großhirn, Kleinhirn und Hirnstamm) kein Beweis für den Tod ist. Der vollkommene Stillstand von Gehirnaktivität kann nicht hinreichend festgestellt werden. Irreversibilität ist eine Prognose und nicht eine medizinisch feststellbare Tatsache. Wir behandeln heute viele Patienten mit Erfolg, die in der jüngsten Vergangenheit als hoffnungslose Fälle betrachtet worden waren.

11. Eine Diagnose des Todes durch neurologische Kriterien allein ist Theorie, keine wissenschaftliche Tatsache. Sie reicht nicht aus, die Lebensvermutung zu überwinden.

12. Kein Gesetz sollte überhaupt versuchen, einen Akt als legal hinzustellen, der in sich ein Übel ist. „Ich wiederhole noch einmal, dass ein Gesetz, welches das natürliche Recht zum Leben einer unschuldigen Person verletzt, ungerecht und als solches als Gesetz nicht gültig ist. Aus diesem Grund appelliere ich noch einmal dringend an alle politischen Führer, keine Gesetze zu beschließen, die unter Missachtung der Würde der Person sogar den Bestand der Gesellschaft unterminieren."

13. Das Beenden eines unschuldigen Lebens bei dem Versuch, ein anderes Leben zu retten, wie es im Falle der Transplantation von unpaarigen lebenswichtigen Organen geschieht, mildert nicht das Übel, einem unschuldigen Menschen das Leben zu nehmen. Böses darf nicht getan werden, damit Gutes daraus entstehen möge.

 

Unterzeichner:

J. A. Armour, Arzt, University of Montreal – Hospital of the Sacred Heart, Montreal, Quebec

Fabian Bruskewitz, Bischof von Lincoln, Nebraska

Paul A. Byrne, ehemaliger Präsident der „Catholic Medical Association“, USA

Pilar Mercado Calva, Professor, Medizinische Fakultät, Anahuac University, Mexiko

Cicero G. Coimbra, Professor für Klinische Neurologie, Federal University, Sao Paolo, Brasilien

William F. Colliton, emerit. Professor für Geburtshilfe u. Gynäkologie, George Washington University, Medizin. Fakultät, Virginia

Joseph C. Evers, assoziierter Professor für Kinderheilkunde, Georgetown University, Medizinische Fakultät, Washington, DC

David Hill, emeritierter beratender Anästhesist am Addenbrooke Hospital, und assoziierter Dozent, Cambridge University, England

Ruth Oliver, Psychiaterin, Kingston, Ontario

Michael Potts, Direktor der Abteilung Religion und Philosophie, Methodist Colleg, Fayetteville, North Carolina

Josef Seifert, Professor für Philosophie an der Internationalen Akademie für Philosophie in Vaduz, Liechtenstein; Ehrenmitglied der Medizinischen Fakultät der Päpstlichen Katholischen Universität von Chile in Santiago, Chile

Robert Spaemann, emeritierter Professor der Philosophie an der Universität München, Deutschland

Robert F. Vasa, Bischof der Diözese Baker, Oregon

Yoshio Watanabe, beratender Kardiologe, Nagoya Tokushukai General Hospital, Japan

Mercedes Arzú Wilson, Präsidentin der „Family of the Americas Foundation“ und der „Weltorganisation für die Familie“

 

 

QUELLE: Essay - Das Treffen der Päpstlichen Akademie der Wissenschaften, anfangs Februar 2005 - Dr. Paul Byrne, für „The Compassionate Healthcare Network“, 29. März 2005, per E-Mail«

Der englische Originaltext unter: www.chninternational.com/brain_death_is_not_death_byrne_paul_md.html.

Deutsche Fassung: FMG, Sept./Nov. 2005.

Die FMG-Übersetzung vom September ist als Broschüre auch zu beziehen als Nr. 24 der Schriftenreihe der Aktion Leben e. V., Postfach 61, D-69518 Abtsteinach, E-Mail post@aktion-leben.de.

* In unsere Übersetzung vom September ist uns leider an einer Stelle ein Übersetzungsfehler unterlaufen, auf den wir aufmerksam gemacht wurden und der in der hier abgedruckten Fassung ausgebessert ist: Es heißt im englischen Originaltext nicht, wie übersetzt: „Es wird im allgemeinen nicht erkannt..., und dass auch keinerlei Form von Anästhesie notwendig ist...“, sondern: „und [es wird] auch nicht [erkannt], dass [irgend] eine Form von Anästhesie notwendig ist...“.


 

Angesichts der unterschiedlichen rechtlichen Regelung in den verschiedenen Ländern kann man auch – etwa bei einem Unfall im Ausland – ungewollt zum „Organspender“ werden:

1. In Deutschland gilt die sog. erweiterte Zustimmungsregelung: der „hirntote“ Spender muss früher einer Organentnahme zugestimmt haben (z. B. durch einen Organspendeausweis). Liegt keine Zustimmung vor, können Angehörige über eine Entnahme entscheiden. Entscheidungsgrundlage für sie ist der ihnen bekannte oder der mutmaßliche Wille des „Verstorbenen“. Eine ähnliche Regelung wie in Deutschland gilt auch in Dänemark, Griechenland, Großbritannien, Irland, Niederlande, Schweiz (in der Schweiz haben die Kantone unterschiedliche Regelungen, in der Praxis wird aber die erweiterte Zustimmungsregelung angewandt).

2. Andere Länder haben eine Widerspruchsregelung: Hat der „Verstorbene“ einer Organentnahme zu Lebzeiten nicht ausdrücklich widersprochen, z. B. in einem Widerspruchsregister, so können Organe zur Transplantation entnommen werden. Dies gilt in Italien, Luxemburg, Österreich, Portugal, Slowenien, Spanien, Tschechien und Ungarn. In einigen Ländern haben die Angehörigen ein Widerspruchsrecht: Belgien, Finnland, Norwegen.

Für Österreich kann man seinen Widerspruch gegen eine Organentnahme beim „Österreichischen Bundesinstitut für Gesundheitswesen“, A-1010 Wien, Stubenring 6, Telefon +43 1 515 61-175, Formular unter: www.oebig.at. (Widerspruchsregister) registrieren lassen!

3. In anderen Ländern gibt es eine sog. Informationsregelung:  Auch hier geht der Gesetzgeber grundsätzlich von einer Bereitschaft zur Organspende bei fehlendem Widerspruch zu Lebzeiten aus. Allerdings müssen die Angehörigen in jedem Fall über die geplante Entnahme unterrichtet werden. Ein Einspruchsrecht steht den Angehörigen jedoch nicht zu. Dies gilt in Frankreich und Schweden. (Quelle für diese Angaben: www.organspende.de [Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung], vgl. auch ADACmotorwelt 10/2005 S. 58).

 

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