FMG-INFORMATION 115, Dezember 2015

 

   

Gegen die Erosion des katholischen Glaubens in Deutschland

und den neuen Pelagianismus der Strukturen

 

Aus der übergebenen Ansprache von Papst Franziskus an die deutschen Bischöfe

(20. November 2015)

 

„Überall engagiert sich die Kirche professionell im sozialkaritativen Bereich und ist auch im Schulwesen überaus aktiv. Es ist darauf zu achten, dass in diesen Einrichtungen das katholische Profil gewahrt bleibt…

 

(Es) ist gerade in traditionell katholischen Gebieten ein sehr starker Rückgang des sonntäglichen GOTTESdienstbesuchs und des sakramentalen Lebens zu verzeichnen. Wo in den Sechziger Jahren noch weiträumig fast jeder zweite Gläubige regelmäßig sonntags zur heiligen Messe ging, sind es heute vielfach weniger als 10 %. Die Sakramente werden immer weniger in Anspruch genommen. Die Beichte ist vielfach verschwunden. Immer weniger Katholiken lassen sich firmen oder gehen das Sakrament der Ehe ein. Die Zahl der Berufungen für den Dienst des Priesters und für das GOTTgeweihte Leben hat drastisch abgenommen. Angesichts dieser Tatsachen ist wirklich von einer Erosion des katholischen Glaubens in Deutschland zu sprechen.

 

Was können wir dagegen tun? Zunächst einmal gilt es, die lähmende Resignation zu überwinden… Wir können uns vom Leben der ersten Christen inspirieren lassen. Denken wir nur an Priska und Aquila, die treuen Mitarbeiter des hl. Paulus. Als Ehepaar verkündeten sie mit überzeugenden Worten (vgl. Apg 18,26), vor allem aber mit ihrem Leben, dass die Wahrheit, die auf der Liebe CHRISTI zu Seiner Kirche gründet, wirklich glaubwürdig ist. Sie öffneten ihr Haus für die Verkündigung und schöpften aus dem Wort GOTTES Kraft für ihre Mission. Das Beispiel dieser ‚Ehrenamtlichen‘ mag uns zu denken geben angesichts einer Tendenz zu fortschreitender Institutionalisierung der Kirche. Es werden immer neue Strukturen geschaffen, für die eigentlich die Gläubigen fehlen. Es handelt sich um eine Art neuen Pelagianismus, der dazu führt, unser Vertrauen auf die Verwaltung zu setzen, auf den perfekten Apparat. Eine übertriebene Zentralisierung kompliziert aber das Leben der Kirche und ihre missionarische Dynamik, anstatt ihr zu helfen (vgl. Evangelii gaudium, 32)… Die Kirche ist lebendig, sie stellt sich den Menschen vor Ort, sie kann in Unruhe versetzen und anregen… Sie ist ein Leib, der sich bewegt, wächst und Empfindungen hat. Und der gehört JESUS CHRISTUS.

 

Das Gebot der Stunde ist die pastorale Neuausrichtung, also ‚dafür zu sorgen, dass die Strukturen der Kirche alle missionarischer werden, dass die gewöhnliche Seelsorge… die positive Antwort all derer begünstigt, denen JESUS Seine Freundschaft anbietet…

 

Es herrscht eine gewisse Weltlichkeit vor. Die Weltlichkeit verformt die Seelen, sie erstickt das Bewusstsein für die Wirklichkeit. Ein verweltlichter Mensch lebt in einer Welt, die er selbst geschaffen hat. Er umgibt sich gleichsam mit abgedunkelten Scheiben, um nicht nach außen zu sehen. Es ist schwer, solche Menschen zu erreichen. Auf der anderen Seite sagt uns unser Glaube, dass GOTT der immer zuerst Handelnde ist. Diese Gewissheit führt uns zunächst ins Gebet.

 

Wir beten für alle Männer und Frauen in unserer Stadt, in unserer Diözese, und wir beten auch für uns selbst, dass GOTT einen Lichtstrahl Seiner Liebe schicke und durch die abgedunkelten Scheiben hindurch die Herzen anrühre, dass sie Seine Botschaft verstehen. Wir müssen bei den Menschen sein mit der Glut derer, die als erste das Evangelium in sich aufgenommen haben… Auf diese Weise können sich alternative Wege und Formen von Katechese ergeben, die den jungen Menschen und den Familien helfen, den allgemeinen Glauben der Kirche authentisch und froh wiederzuentdecken.

 

In diesem Zusammenhang der neuen Evangelisierung ist es unerlässlich, dass der Bischof seine Aufgabe als Lehrer des Glaubens, des in der lebendigen Gemeinschaft der universalen Kirche überlieferten und gelebten Glaubens, in den vielfältigen Bereichen seines Hirtendienstes gewissenhaft wahrnimmt. Wie ein treu sorgender Vater wird der Bischof die theologischen Fakultäten begleiten und den Lehrenden helfen, die kirchliche Tragweite ihrer Sendung im Auge zu behalten. Die Treue zur Kirche und zum Lehramt widerspricht nicht der akademischen Freiheit, sie erfordert jedoch eine Haltung der Dienstbereitschaft gegenüber den Gaben GOTTES. Das sentire cum Ecclesia muss besonders diejenigen auszeichnen, welche die jungen Generationen ausbilden und formen…

 

Wenn wir ferner einen Blick auf die Pfarrgemeinden werfen, die Gemeinschaft, in der der Glaube am meisten erfahrbar und gelebt wird, so muss dem Bischof in besonderer Weise das sakramentale Leben am Herzen liegen. Hier seien nur zwei Punkte hervorgehoben: die Beichte und die Eucharistie. Das bevorstehende außerordentliche Jubiläum der Barmherzigkeit bietet die Gelegenheit, das Sakrament der Buße und der Versöhnung wieder neu zu entdecken. Die Beichte ist der Ort, wo einem GOTTES Vergebung und Barmherzigkeit geschenkt wird. In der Beichte beginnt die Umwandlung des einzelnen Gläubigen und die Reform der Kirche. Ich vertraue darauf, dass im kommenden Heiligen Jahr und darüber hinaus dieses für die geistliche Erneuerung so wichtige Sakrament in den Pastoralplänen der Diözesen und Pfarreien mehr Berücksichtigung findet.

 

Desgleichen ist es notwendig, die innere Verbindung von Eucharistie und Priestertum stets klar sichtbar zu machen. Pastoralpläne, die den geweihten Priestern nicht die gebührende Bedeutung in ihrem Dienst des Leitens, Lehrens und Heiligens im Zusammenhang mit dem Aufbau der Kirche und dem sakramentalen Leben beimessen, sind der Erfahrung nach zum Scheitern verurteilt. Die wertvolle Mithilfe von Laienchristen im Leben der Gemeinden, vor allem dort, wo geistliche Berufungen schmerzlich fehlen, darf nicht zum Ersatz des priesterlichen Dienstes werden oder ihn sogar als optional erscheinen lassen. Ohne Priester gibt es keine Eucharistie. Die Berufungspastoral beginnt mit der Sehnsucht nach dem Priester im Herzen der Gläubigen.

 

Ein nicht hoch genug zu einschätzender Auftrag des Bischofs ist schließlich der Eintritt für das Leben. Die Kirche darf nie müde werden, Anwältin des Lebens zu sein, und darf keine Abstriche darin machen, dass das menschliche Leben von der Empfängnis bis zum natürlichen Tod uneingeschränkt zu schützen ist. Wir können hier keine Kompromisse eingehen, ohne nicht selbst mitschuldig zu werden an der leider weit verbreiteten Kultur des Wegwerfens. Wie groß sind die Wunden, die unserer Gesellschaft durch die Aussonderung und das ‚Wegwerfen‘ der Schwächsten und Wehrlosesten – des ungeborenen Le­bens wie der Alten und Kranken – geschlagen werden! Wir alle sind Leidtragende davon.“

                            (OR dt. 27.11.2015)

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