FMG-INFORMATION 104, November 2011

 

1. Glaube und Kirche

 

Schule des Gebetes

„Seit einiger Zeit handeln meine Katechesen vom Gebet und suchen eine Schule des Gebetes zu entfalten. Dabei habe ich mich zunächst mit einigen großen Betern des Alten Bundes befasst: Mose, vorher Abraham, Elija. Heute möchte ich nun das Gebetbuch des Volkes GOTTES aufschlagen – das Buch der Psalmen. Die 150 Psalmen drücken die menschliche Erfahrung GOTT gegenüber mit ihrem ganzen Facettenreich­tum aus. Durch sie haben sich die Beter in Lobpreis und Bitte an GOTT gewandt. Auch uns wollen die Psalmen beten lehren. In ihnen wird das Wort GOTTES zum Gebetswort. Wir beten sozusagen mit GOTTES eigenen Worten, die Er uns gibt, damit wir lernen, zu Ihm zu sprechen und eine Sprache mit Ihm zu finden.

… (Die Psalmen) sind uns von GOTT gegeben, damit wir Wörter haben, damit wir lernen, uns an GOTT zu wenden und mit Ihm zu sprechen, so dass diese Worte, die Er uns gegeben hat, allmählich und immer mehr unsere eigenen Worte werden. Indem wir uns Seine Worte zu eigen machen, lernen wir, GOTT zu kennen und uns zu erkennen, lernen wir das Mensch-Sein. Wir lernen, uns in Trübsal und in Schmerz zu Ihm zu wenden – auch mit der Klage und mit der Beschwernis –, aber immer in der Gewissheit, dass Er, der Ferne, uns nahe ist, und dass Er, der uns vergessen zu haben scheint, uns hört, dass wir letztlich immer auf Ihn zählen dürfen und dass wir in letztlich keiner Not allein gelassen sind, sondern immer noch zu Ihm schreien können und wissen dürfen: Er hört mich. So ist im Letzten in der Bitte und in der Klage immer schon der Dank und die Gewissheit, dass GOTT mich liebt, mitenthalten. Der Mensch mag weinen, flehen, bitten; aber er betet im Bewusstsein, dass er dem Licht und dem endgültigen Lobpreis entgegengeht. So wollen wir den HERRN bitten, dass Er uns wahrhaft beten lehrt, dass Er uns lehrt, Seine Kinder zu sein und mit Ihm im Familiendialog, im Dialog der Kinder zum Vater zu stehen und damit rechte Menschen zu werden…“

Generalaudienz, 22.6.2011 (Ansprache auf Deutsch)

Rückblick auf die Gnade der Priesterweihe

„‚Nicht mehr Knechte nenne ich euch, sondern Freunde’ (vgl. Joh 15,15). Liebe Brüder und Schwestern, 60 Jahre nach dem Tag meiner Priesterweihe höre ich inwendig wieder, wie am Ende der Weihezeremonie unser greiser Erzbischof Kardinal Faulhaber mit etwas brüchiger gewordener und doch fester Stimme dieses Wort JESU uns Neupriestern zusprach. Nach der liturgischen Ordnung jener Zeit damals bedeutete dieser Zuruf die ausdrückliche Zuweisung der Vollmacht der Sünden­vergebung an die neugeweihten Priester… Ich wusste: In die­ser Stunde sagt Er selbst, der HERR, es jetzt zu mir ganz per­sönlich. In der Taufe und in der Firmung hatte Er uns schon an sich gezogen, uns in die Familie GOTTES aufgenommen. Aber was nun geschah, war doch noch einmal mehr. Er nennt mich Freund. Er nimmt mich in den Kreis derer auf, die Er da­mals angeredet hatte im Abendmahlsaal. In den Kreis derer, die Er auf ganz besondere Weise kennt und die Ihn so in besonderer Weise kennenlernen. Er gibt mir die fast er­schreckende Vollmacht zu tun, was nur Er, der SOHN GOTTES, sagen und tun kann und darf: Ich vergebe dir deine Sünden. Er will, dass ich – von Ihm bevollmächtigt – mit Sei­nem Ich ein Wort sagen kann, das nicht nur Wort ist, son­dern Handeln, das im Tiefsten des Seins etwas verändert. Ich weiß, dass hinter diesem Wort Sein Leiden um uns und für uns steht. Dass die Vergebung ihren Preis hat: In Seinem Lei­den ist Er hinabgestiegen in den dunklen, schmutzigen Grund unserer Sünde. Er ist hinabgestiegen in die Nacht unserer Schuld, und nur so kann sie umgewandelt werden. Und Er lässt mich durch die Vollmacht der Vergebung hineinschauen in den Abgrund des Menschen und in die Größe Seines Leidens um uns Menschen, die mich die Größe Seiner Liebe ahnen lässt. Er vertraut sich mir an: ‚Nicht mehr Knechte, sondern Freunde’. Er vertraut mir das Wort der Verwandlung in der Eucharis­tie an. Er traut mir zu, dass ich Sein Wort verkünde, es recht auslegen und zu den Menschen bringen kann. Er vertraut sich mir an. Ihr seid nicht mehr Knechte, sondern Freunde: Dies ist ein Wort einer großen inneren Freude, das einen zugleich schaudern machen kann in seiner Größe, über die Jahrzehnte und mit all den Erfahrungen der eigenen Schwachheit und Seiner nicht zu erschöpfenden Güte…

Das Wort JESU von der Freundschaft steht im Zusammenhang mit der Rede vom Weinstock… (Joh 15,16). Der erste Auftrag an die Jünger – an die Freunde – ist das Aufbrechen, das Her­ausgehen aus dem Eigenen zu den anderen hin…

Nun müssen wir doch fragen: Was ist das für eine Frucht, die der HERR von uns erwartet? Der Wein ist ein Bild für die Liebe: Sie ist die eigentliche, die bleibende Frucht, die GOTT von uns will. Aber vergessen wir dabei nicht, dass im Alten Testament der erwartete Wein aus den edlen Trauben vor allem Bild für die Gerechtigkeit ist, die in einem Leben wächst, das GOTTES Gesetz entsprechend gelebt wird. Und sagen wir nicht, dies sei alttestamentarisch und nun überwunden – nein, das bleibt immer wahr. Der wahre Inhalt des Gesetzes, seine Summe, ist die Liebe zu GOTT und zum Nächsten. Aber diese doppelte Liebe ist nicht bloß Süßes. Sie trägt in sich die Fracht der Geduld, der Demut, des Reifwer­dens in der Einformung unseres Willens in den Willen GOTTES, in den Willen JESU CHRISTI, des Freundes. Nur so, in dem Wahrwerden und Rechtwerden unseres ganzen Seins ist auch die Liebe wahr, nur so ist sie reife Frucht. Ihr innerer Ausdruck, die Treue zu CHRISTUS und Seiner Kirche, will immer auch erlitten sein. Gerade so wächst die wahre Freude. Zutiefst deckt sich das Wesen der Liebe, der wahren Frucht, mit dem Wort vom Aufbrechen, vom Hingehen: Sie bedeutet das Sich-verlassen, das Sich-hingeben; sie trägt in sich das Zeichen des Kreuzes. Gregor der Große hat in diesem Zusammenhang einmal gesagt: Wenn ihr zu GOTT strebt, sorgt dafür, nicht allein zu Ihm zu gelangen – ein Wort, das uns als Priester jeden Tag vor der Seele stehen muss…“

Predigt am Hochfest Peter und Paul, 29.6.2011

GOTT zeigt sich in der Begegnung von Person zu Person, nicht als Objekt des Experiments

„Die eigentliche Frage… lautet: Ist das wahr, was wir glauben, oder nicht? In der Theologie geht es um die Frage nach der Wahrheit; sie ist ihr letzter und eigentlicher Grund… Wenn CHRISTUS der Logos, die Wahrheit ist, dann muss der Mensch Ihm mit seinem eigenen Logos, mit seiner Vernunft entsprechen. Er muss, um zu CHRISTUS zu kommen, auf dem Weg zur Wahrheit sein. Er muss sich dem Logos öffnen, der schöpferischen Vernunft, von der seine eigene Vernunft her­kommt und auf den sie ihn verweist. Von da aus versteht man, dass der christliche Glaube von seinem eigenen Wesen her Theologie hervorbringen musste, auch wenn natürlich der Be­griff Vernunft und derjenige der Wissenschaft viele Dimensionen umfassen und damit das konkrete Wesen des Zusam­menhangs von Glaube und Vernunft immer neu ausgelotet werden musste und muss…

Der hl. Bonaventura hat im Prolog zu seinem ‚Sentenzen-Kommentar’ von einem zweifachen Gebrauch der Vernunft gesprochen – von einem Gebrauch, der mit dem Wesen des Glaubens unvereinbar ist und von einem, der gerade zu sei­nem Wesen gehört. Es gibt – so sagt man – die ‚violentia rationis’, die Selbstherrlichkeit der Vernunft, die sich zum obersten und letzten Richter über alles macht. Diese Art von Ver­nunftgebrauch ist freilich im Bereich des Glaubens unmög­lich. Was meint er damit? Ein Wort aus Psalm 95,9 kann uns zeigen, worum es geht. Hier sagt GOTT zu Seinem Volk: ‚Dort – in der Wüste – haben eure Väter mich versucht, haben mich auf die Probe gestellt, obgleich sie doch meine Werke gesehen hatten.’ Zweierlei Begegnung mit GOTT ist hier angesagt: Sie haben ‚gesehen’. Aber das reicht ihnen nicht. Sie stellen GOTT ‚auf die Probe’. Sie wollen Ihn dem Experiment unterwerfen. Er wird gleichsam ins Verhör genommen und muss sich einem experimentellen Prüfungsvorgang unterziehen. Diese Weise des Vernunftgebrauchs ist in der Moderne im Bereich der Na­turwissenschaft zu ihrer vollen Entfaltung gekommen. Die ex­perimentelle Vernunft erscheint heute weithin als die einzige wissenschaftlich erklärte Form von Vernünftigkeit. Was nicht experimentell verifiziert oder falsifiziert werden kann, fällt aus dem wissenschaftlichen Bereich heraus. Mit diesem Ansatz ist Großartiges geleistet worden, wie wir wissen; dass er im Bereich der Erkenntnis der Natur und ihrer Gesetze rich­tig und notwendig ist, wird niemand im Ernst bestreiten. Aber es gibt eine Grenze dieses Vernunftgebrauchs: GOTT ist kein Objekt des menschlichen Experimentierens. Er ist Subjekt, und nur in der Begegnung von Person zu Person zeigt Er sich: Dies gehört zum Wesen von Person.

So benennt Bonaventura dann einen zweiten Gebrauch der Vernunft, der für den Bereich des Personalen, für die großen Fragen des Menschseins selber gilt. Die Liebe will den besser kennenlernen, den sie liebt. Liebe, wirkliche Liebe, macht nicht blind, sondern sehend. Zu ihr gehört gerade der Durst nach Erkenntnis, nach wirklichem Kennen des anderen… Der rechte Glaube leitet die Vernunft an, sich dem GÖTTlichen zu öffnen, um GOTT unter der Führung der Liebe zur Wahrheit näher kennenzulernen. Die Initiative für diesen Weg liegt bei GOTT, der dem Menschen das Suchen nach Seinem Angesicht ins Herz gelegt hat. So gehört zur Theologie zum einen die Demut, die sich von GOTT anrühren lässt, andererseits die Zucht, die sich an die Ordnung der Vernunft bindet, die Liebe vor Blindheit hütet und ihre sehende Kraft entfalten hilft…“

Ansprache bei der Verleihung des ‚Benedikt XVI.-Preises’ an drei Theologen, 30.6.2011

Treue notwendiger denn je

„Schließlich will ich euch alle der Jungfrau Maria anvertrauen. Ich weiß, dass sie in eurer Vereinigung als ‚Virgo Fidelis’ verehrt wird. Heute ist Treue notwendiger denn je! Wir leben in einer Gesellschaft, die diesen Wert verloren hat. Hochgepriesen wird das Verhalten ständiger Veränderung, die ‚Mobilität’, die ‚Flexibilität’, auch aus legitimen wirtschaftli­chen und organisatorischen Gründen. Aber die Qualität einer menschlichen Beziehung erkennt man an der Treue! Die Heilige Schrift zeigt, dass GOTT treu ist. Durch Seine Gnade und die Hilfe Mariens seid ihr also CHRISTUS und der Kirche treu und bereit, mit Demut und Geduld den Preis, den das einschließt, zu ertragen. Die ‚Virgo Fidelis’ erhalte euch den Frieden in euren Familien, wie auch aus ihnen echte christliche Berufungen zu Ehe, zum Priestertum und zum ge­weihten Leben erwachsen mögen…“

Ansprache an die „Vereinigung der hll. Petrus und Paulus“, 25.6.2011

Das „hörende Herz“

„(Salomo) bat also GOTT, ihm ein ‚hörendes Herz’ zu gewäh­ren. Was bedeutet dieser Ausdruck? Wir wissen, dass das ‚Herz’ in der Bibel nicht nur einen Körperteil anzeigt, sondern den Mittelpunkt der Person, den Sitz ihrer Absichten und Ur­teile. Wir könnten sagen: das Gewissen. Ein ‚hörendes Herz’ bedeutet also ein Gewissen, das zu hören vermag, das für die Stimme der Wahrheit empfänglich und daher fähig ist, das Gute vom Bösen zu unterscheiden. Im Fall Salomons ist die Bitte von der Verantwortung motiviert, ein Volk zu regieren, Israel, das Volk, das GOTT erwählt hat, um der Welt Seinen Heilsplan zu offenbaren. Der König Israels muss daher versu­chen, immer mit GOTT in Einklang zu sein und auf dessen Wort zu hören, um das Volk auf den Wegen des HERRN, auf dem Weg der Gerechtigkeit und des Friedens zu leiten. Doch das Beispiel Salomons gilt für jeden Menschen.

Ein jeder von uns hat ein Gewissen, um in einem gewissen Sinn ‚König’ zu sein, das heißt um der großen menschlichen Würde zu entsprechen, gemäß dem rechten Gewis­sen zu handeln und so das Gute zu tun und das Böse zu meiden. Das Gewissen setzt die Fähigkeit voraus, die Stimme der Wahrheit zu hören, ihren Weisungen gegenüber fügsam zu sein. Die Menschen, die zur Regierungsverantwortung berufen sind, stehen natürlich in einer weitereren Verantwortung und bedürfen – wie Salomo lehrt – noch mehr der Hilfe GOTTES. Doch ein jeder muss seinen Teil dazu beitragen, in der kon­kreten Situation, in der er steht. Eine falsche Denkhaltung suggeriert uns, GOTT um nützliche Dinge oder Umstände zu bitten; tatsächlich hängt die wahre Qualität unseres Lebens und des gesellschaftlichen Lebens vom rechten Gewissen eines jeden ab, von der Fähigkeit eines jeden Einzelnen, das Gute zu erkennen, es vom Bösen zu unterscheiden und gedul­dig zu versuchen, es in die Tat umzusetzen und so seinen Beitrag zu Gerechtigkeit und Frieden zu leisten…“

Angelus-Ansprache in Castel Gandolfo, 24.7.2011

GOTTES Nähe in Stürmen

„Wir wissen wohl, dass wir in unserem Leben mit vielfachen Schwierigkeiten konfrontiert sind, die Stürmen ähneln können. Bisweilen ist es für uns schwer zu erkennen, dass GOTT auf dem hin- und hergeworfenen Boot unseres Daseins gegenwärtig ist. In diesen heiklen Augenblicken oder in den Augenblicken des Zweifels rufen wir wie Petrus zu GOTT: ‚HERR, rette mich!’ GOTT ist da! Er verlässt uns nie. Vergessen wir nie, jeden Tag zu Ihm zu beten. Wir müssen immer Zeit für das Gebet haben. Es führt uns von der Angst zur Liebe. Es lässt uns das strahlende Antlitz GOTTES sehen, wie es in JESUS bei der Verklärung offenbar geworden ist…

Oftmals finden auch wir uns als Gefangene der Winde und des Sturmes vor, die uns mit Furcht erfüllen, doch JESUS versichert uns, dass wir nichts zu befürchten haben, wenn wir unser Vertrauen einfach auf Ihn setzen…“

Angelus-Ansprache in Castel Gandolfo, 7.8.2011

Im Vertrauen auf GOTT findet der Mensch Leben und Wahrheit

„Ich möchte in der ‚Schule des Gebets’, die wir in diesen Mitt­wochsaudienzen gemeinsam erleben, mit der Betrachtung einiger Psalmen beginnen, die… das ‚Gebetbuch’ schlechthin darstellen… Es handelt sich um Psalm 3, den die jüdische Überlieferung David zuschreibt, der vor seinem Sohn Abschalom flieht… Die gefährliche Lage und die Angst, die David er­lebt, ist also der Hintergrund dieses Gebets… Im Hilferuf des Psalmisten kann jeder Mensch die Empfindungen des Schmerzes, der Verbitterung und gleichzeitig des Vertrau­ens auf GOTT wiedererkennen

Die Widersacher sind viele, sie nehmen überhand, während der Beter seinen Bedrängern allein und wehrlos ausgeliefert ist. Dennoch ist ‚HERR’ das erste Wort, das der Psalmist spricht… Der Beter lässt sich angesichts des Todes nicht unterkriegen. Er hält die Beziehung zum GOTT des Lebens aufrecht und wendet sich als Erstes hilfesuchend an Ihn. Aber die Feinde versuchen auch, dieses Band mit GOTT zu zerreißen und dem Glauben ihres Opfers Schaden zuzufügen. Sie unterstellen, dass der HERR nicht eingreifen kann, und behaupten, dass nicht einmal GOTT ihn retten kann. Es ist also nicht nur ein physischer Angriff, sondern er berührt die geistliche Dimension. ‚Er findet keine Hilfe bei GOTT’, sagen sie. Damit wird der Psalmist tief im Innern seines Herzens angegriffen. Es ist die höchste Versuchung, der der Gläubige unterworfen ist, es ist die Versuchung, den Glauben, das Vertrauen in GOTTES Nähe zu verlieren. Der Gerechte besteht die letzte Prüfung, er bleibt standhaft im Glauben und in der Gewissheit um die Wahrheit und im vollen Vertrauen auf GOTT, und so findet er das Leben und die Wahrheit. Mir scheint, dass der Psalm uns hier ganz persönlich berührt: In vielen Problemen sind wir versucht zu meinen, dass vielleicht auch GOTT mich nicht rettet, mich nicht kennt, vielleicht nicht die Möglichkeit dazu hat. Die Versuchung gegen den Glauben ist der letzte Angriff des Feindes, und ihm müssen wir widerstehen: So finden wir GOTT und finden wir das Leben

Der Psalm 3 hat uns eine vertrauensvolle und trostreiche Bitte vor Augen gestellt… GOTT ist immer nahe, auch in den Schwierigkeiten, in den Problemen, in den finsteren Stunden des Lebens. Er erhört, antwortet und rettet auf Seine Weise. Aber man muss Seine Gegenwart erkennen und Seine Wege annehmen können…“

Generalaudienz, 7.9.2011

Von GOTT sprechen, Seiner Hoheit eingedenk sein

„Die zweite Lesung ist der Beginn des Ersten Briefes an die Thessalonicher, und bereits dies ist sehr eindrucksvoll, da es sich um den ältesten uns überlieferten Brief des größten Verkündigers des Evangeliums aller Zeiten handelt, des Apostels Paulus. Er sagt uns vor allem, dass man nicht allein evangelisiert: auch er hatte nämlich Silvanus und Timotheus (vgl. 1 Thess 1,1) und viele andere als Mitarbeiter. Und sofort fügt er noch etwas sehr Wichtiges hinzu: der Verkündigung muss immer das Gebet vorausgehen, es muss sie begleiten und ihr folgen. Er schreibt dazu: „Wir danken GOTT für euch alle, sooft wir in unseren Gebeten an euch denken’ (V. 2). Der Apostel erklärt dann, dass er sich der Tatsache wohl bewusst ist, dass nicht er die Mitglieder der Gemeinde erwählt hat, sondern GOTT: ‚Wir wissen, von GOTT geliebte Brüder, dass ihr erwählt seid’, sagt er (V. 4). Jeder Missionar des Evangeliums muss sich stets diese Wahrheit vor Augen halten: Es ist der HERR, der mit Seinem Wort und mit Seinem Geist die Herzen anrührt und die Menschen zum Glauben und zur Gemeinschaft der Kirche beruft. Schließlich hinterlässt uns Paulus eine sehr kostbare Lehre, die seiner Erfahrung entspringt. Er schreibt: ‚Denn wir haben euch das Evangelium nicht nur mit Worten verkündet, sondern auch mit Macht und mit dem HL. GEIST und mit voller Gewissheit’ (V. 5). Um wirk­sam zu sein, bedarf die Evangelisierung der Kraft des HL. GEISTES, der die Verkündigung beseelt und in den, der ver­kündet, jene ‚volle Gewissheit’ ausgießt, von der der Apostel spricht. Dieser Begriff ‚Gewissheit’, ‚volle Gewissheit’ lautet im griechischen Original ‚plerophoría’: ein Wort, das nicht so sehr den subjektiven, psychologischen Aspekt zum Ausdruck bringt als vielmehr die Fülle, die Treue, die Vollendung – in diesem Fall der Verkündigung CHRISTI…

Verweilen wir nun einen Moment beim Abschnitt aus dem Evangelium. Es handelt sich um den Text über die Recht­mäßigkeit der an den Kaiser zu entrichtenden Steuern, der die berühmte Antwort JESU enthält: ‚Gebt dem Kaiser, was dem Kaiser gehört, und GOTT, was GOTT gehört!’ (Mt 22,21)… JESUS antwortet mit einem überraschenden politischen Realis­mus, der mit dem Theozentrismus der prophetischen Tradition in Verbindung steht. Die Steuern an den Kaiser müssen gezahlt werden, da das Bild auf der Geldmünze das seine ist; doch der Mensch, jeder Mensch, trägt in sich ein anderes Bild, das Bild GOTTES, und daher ist Er es, und zwar Er allein, dem jeder sein Dasein schuldet. Wenn die Kirchenväter von der Tatsache ausgehen, dass sich JESUS auf das Bild des Kaisers bezieht, das in die Münze für die Steuern eingeprägt ist, haben sie diesen Abschnitt im Licht des Grundbegriffs der GOTTebenbildlichkeit des Menschen gedeutet, der im 1. Kapitel des Buches Genesis enthalten ist… Der hl. Augustinus hat mehr­mals diesen Bezug in seinen Predigten benutzt: ‚Wenn der Kaiser fordert, dass sein Bild auf die Münze geprägt wird’, so sagt er, ‚wird GOTT nicht vom Menschen das in ihn eingeprägte GÖTTliche Bild fordern?’ (En. In Ps., Psalm 94,2). Und weiter: ‚Wie dem Kaiser die Münze erstattet wird, so erstattet man GOTT die erleuchtete und vom Licht Seines Antlitzes ge­prägte Seele… CHRISTUS nämlich wohnt im Inneren des Menschen’ (ebd., Psalm 4,8)… Die Sendung der Kirche besteht wie die Sendung CHRISTI im Wesentlichen darin, von GOTT zu sprechen, Seiner Hoheit eingedenk zu sein, alle, vor allem die Christen, die ihre Identität verloren haben, an das Recht GOTTES über das zu erinnern, was Ihm gehört, das heißt unser Leben. Um der Sendung der ganzen Kirche einen neuen Impuls zu geben, die Menschen aus der Wüste, in der sie sich oft befinden, hin zum Ort des Lebens zu führen, zur Freund­schaft mit CHRISTUS, der uns das Leben in Fülle schenkt, möchte ich… meinen Entschluss ankündigen, ein ‚Jahr des Glaubens’ auszurufen…

Predigt bei der Eucharistiefeier für die Neuevangelisierung mit Ankündigung des „Jahres des Glaubens“, 16.10.2011

Gewissheit, dass das Wort GOTTES sich ausbreitet

„Auf welchen Boden trifft das Wort GOTTES? Wie damals so kann es auch heute auf Verschlossenheit und Ablehnung, auf Denk- und Lebensweisen stoßen, die von der Suche nach GOTT und der Wahrheit weit entfernt sind. Der moder­ne Mensch ist häufig ratlos und vermag auf so viele Fragen zum Sinn des Lebens, die sein Denken bewegen, und die Fragen, die tief in seinem Herzen wohnen, nicht zu antworten. Der Mensch kann diesen Fragen, die seinen eigenen und den Sinn der Wirklichkeit betreffen, nicht ausweichen, er kann nicht nur in einer Dimension leben! Er wird jedoch nicht selten von der Suche nach dem Wesentlichen im Leben abgebracht, während ihm ein flüchtiges Glück angeboten wird, das ihn einen Augenblick lang befriedigt, aber sehr bald Traurigkeit und Unzufriedenheit zurücklässt. Doch trotz dieser Situation des heutigen Menschen können wir noch immer wie in den Anfangszeiten des Christentums mit Gewissheit behaupten, dass das Wort GOTTES weiter wächst und sich ausbreitet. Warum? Ich möchte auf wenigstens drei Gründe dafür hinwei­sen. Der erste ist, dass die Kraft des Wortes nicht zualler­erst von unserer Tätigkeit, von unseren Mitteln, von unse­rem ‚Tun’, sondern von GOTT abhängt, der Seine Stärke unter den Zeichen der Schwachheit verbirgt…, die sich am Holz des Kreuzes offenbart. Wir sollen immer an die demütige Macht des Wortes GOTTES glauben und GOTT handeln las­sen! Der zweite Grund ist, dass – wie das Gleichnis vom Sämann im Evangelium erzählt – das Samenkorn des Wortes noch immer auf einen guten Boden fällt, der es aufnimmt und Frucht bringt… Auch wenn das Böse immer mehr Lärm macht, gibt es auf der Welt noch immer den guten Boden. Der dritte Grund ist, dass die Botschaft des Evangeliums tatsäch­lich bis an die Grenzen der Erde gelangt ist und dass auch heute inmitten von Gleichgültigkeit, Unverständnis und Verfolgung nach wie vor viele mutig Herz und Geist öffnen, um die Einladung CHRISTI, Ihm zu begegnen und Seine Jünger zu werden, anzunehmen. Sie erregen kein Aufsehen, aber sie sind gleichsam das Senfkorn, das zum Baum wird, der Sauerteig, der die Masse aufgehen lässt, das Weizenkorn, das zerbricht, um die Ähre wachsen zu lassen…

Die heutige Welt braucht Menschen, die verkünden und davon Zeugnis geben, dass es CHRISTUS ist, der uns die Kunst zu leben, den Weg zur wahren Glückseligkeit lehrt, weil Er selbst der Weg des Lebens ist; Menschen, die vor allem selber den Blick fest auf JESUS, den SOHN GOTTES, gerichtet halten: das Wort der Verkündigung muss immer in eine innige Begeg­nung mit Ihm, in ein intensives Gebetsleben eingebunden sein. Und wir müssen auch immer daran erinnern, dass JESUS die Welt nicht mit schönen Worten oder auffälligen Mitteln, sondern durch Sein Leiden und Seinen Tod erlöst hat. Das Gesetz des Weizenkorns, das in der Erde stirbt, gilt auch heute; wir können nicht anderen Leben geben, ohne unser Leben hinzugeben…“

Audienz für die Teilnehmer am Kongress zur Neuevangelisierung, 15.10.2011

Das gesamte Glaubensgeheimnis mit Verstand und Willen annehmen

„Wie man feststellen kann, ist die Kenntnis der Glaubensinhalte wesentlich, um die eigene Zustimmung zu geben, das heißt um sich dem, was von der Kirche vorgelegt wird, mit Verstand und Willen völlig anzuschließen. Die Kenntnis des Glaubens führt in das Ganze des von GOTT offenbarten Heilsgeheimnisses ein. Die gegebene Zustimmung schließt also ein, dass man, wenn man glaubt, freiwillig das gesamte Glaubensgeheimnis annimmt, denn der Bürge für Seine Wahrheit ist GOTT selbst, der sich offenbart und es ermöglicht, Sein Geheimnis der Liebe zu erkennen… Um zu einer systematischen Kenntnis der Glaubensgeheimnisse zu gelangen, können alle im Katechismus der Katholischen Kirche ein wertvolles und unentbehrliches Hilfsmittel zu finden… (Es) soll das Jahr des Glaubens einen einhelligen Einsatz für die Wiederentdeckung und das Studium der grundlegenden Glaubensinhalte zum Ausdruck bringen…

Vertrauen wir der Mutter GOTTES, die ‚selig’ gepriesen wird, weil sie ‚geglaubt hat’ (Lk 1,45), diese Zeit der Gnade an.“

Aus dem Motu proprio „Porta fidei“ zur Ausrufung des Jahres des Glaubens, vom 11.10.2011

Die Schönheit jeder Berufung

„Der Mönch, der alles verlässt, geht sozusagen ein Risiko ein: Er setzt sich der Einsamkeit und der Stille aus, um nur vom Wesentlichen zu leben, und gerade dadurch findet er auch zu einer tiefen Gemeinschaft mit den Brüdern, mit jedem Men­schen. Mancher könnte vielleicht meinen, es genüge, hierher zu kommen, um diesen ‚Sprung’ zu vollziehen. Aber dem ist nicht so. Diese Berufung findet wie jede Berufung ihre Ant­wort in einem Weg, in einer Suche, die ein ganzes Leben lang dauert. Es genügt nämlich nicht, sich an einen Ort wie diesen zurückzuziehen, um das Verweilen in der Gegenwart GOTTES zu lernen. Wie es bei der Hochzeit nicht genügt, das Sakrament zu feiern, um tatsächlich eins zu werden, sondern gilt, die Gnade GOTTES wirksam werden zu lassen, um gemeinsam durch den Alltag des Ehelebens zu gehen, so erfordert das Mönchwerden Zeit, Übung, Geduld, ‚indem man in einem dauernden Wachsein für das GÖTTliche’ – wie der hl. Bruno sagt – ‚auf die Wiederkunft des HERRN wartet, um Ihm sogleich die Tür zu öffnen’ (Brief an Rodolphe,4); und gerade darin besteht die Schönheit jeder Berufung in der Kirche: GOTT Zeit zu geben, durch Seinen Geist zu wirken, und dem eigenen Menschsein Zeit geben, sich zu formen, nach dem Maßstab der Reife CHRISTI in jenem besonderen Lebensstand zu wachsen. In CHRISTUS ist das Ganze, die Fülle vorhanden; wir brauchen Zeit, um uns eine der Dimensionen Seines Geheimnisses anzueignen. Wir könnten sagen, dass dies ein Weg der Verwandlung ist, auf dem sich das Geheimnis der Auferstehung CHRISTI in uns er­füllt und offenbar wird…

Ich bin hierhergekommen, liebe Brüder, die ihr die Kartäuser­kommunität von Serra San Bruno bildet…, um euch zu sagen, dass die Kirche euch braucht und dass ihr die Kirche braucht… Keine Berufung im Volk GOTTES ist nebensächlich: Wir sind ein einziger Leib, in dem jedes Glied wichtig ist und dieselbe Würde besitzt und untrennbar vom Ganzen ist…“

Predigt im Kartäuserkloster in Serra San Bruno, 9.10.2011

 

 

2. Deutschland-Besuch

 

 „Freiheit braucht die Rückbindung an eine höhere Instanz. Dass es Werte gibt, die durch nichts und niemand manipulier­bar sind, ist die eigentliche Gewähr unserer Freiheit… Freiheit entfaltet sich nur in der Verantwortung vor einem höheren Gut. Dieses Gut gibt es nur für alle gemeinsam; deshalb muss ich immer auch meinen Mitmenschen im Blick haben. Freiheit kann nicht in Beziehungslosigkeit gelebt werden.“

Ansprache bei der offiziellen Begrüßung durch den Bundesprä­sidenten, Schloss Bellevue Berlin, 22.9.2011

Ein hörendes Herz:  erkennen, was recht ist

„… Die Bibel will uns mit dieser Erzählung (1 Kön 3,9) sagen, worauf es für einen Politiker letztlich ankommen muss. Sein letzter Maßstab und der Grund für seine Arbeit als Politiker darf nicht der Erfolg und schon gar nicht materieller Gewinn sein. Die Politik muss Mühen um Gerechtigkeit sein und so die Grundvoraussetzung für Friede schaffen. Natürlich wird ein Politiker den Erfolg suchen, ohne den er überhaupt nicht die Möglichkeit politischer Gestaltung hätte. Aber der Erfolg ist dem Maßstab der Gerechtigkeit, dem Willen zum Recht und dem Verstehen für das Recht untergeordnet. Erfolg kann auch Verführung sein und kann so den Weg auftun für die Ver­fälschung des Rechts, für die Zerstörung der Gerechtigkeit. ‚Nimm das Recht weg – was ist dann ein Staat noch anderes als eine große Räuberbande’, hat der hl. Augustinus einmal gesagt. Wir Deutschen wissen es aus eigener Erfahrung, dass diese Worte nicht ein leeres Schreckgespenst sind. Wir haben erlebt, dass Macht von Recht getrennt wurde, dass Macht ge­gen Recht stand, das Recht zertreten hat und dass der Staat zum Instrument der Rechtszerstörung wurde – zu einer gut organisierten Räuberbande, die die ganze Welt bedrohen und an den Rand des Abgrunds treiben konnte. Dem Recht zu dienen und der Herrschaft des Unrechts zu wehren ist und bleibt die grundlegende Aufgabe des Politikers. In einer historischen Stunde, in der dem Menschen Macht zugefallen ist, die bisher nicht vorstellbar war, wird diese Aufgabe beson­ders dringlich. Der Mensch kann die Welt zerstören. Er kann sich selbst manipulieren. Er kann sozusagen Menschen ma­chen und Menschen vom Menschsein ausschließen. Wie er­kennen wir, was recht ist? Wie können wir zwischen Gut und Böse, zwischen wahrem Recht und Scheinrecht unter­scheiden? Die salomonische Bitte bleibt die entscheidende Frage, vor der der Politilker und die Politik auch heute stehen.

In einem Großteil der rechtlich zu regelnden Materien kann die Mehrheit ein genügendes Kriterium sein. Aber dass in den Grundfragen des Rechts, in denen es um die Würde des Menschen und der Menschheit geht, das Mehrheitsprinzip nicht ausreicht, ist offenkundig. Jeder Verantwortliche muss sich bei der Rechtsbildung die Kriterien seiner Orientierung suchen. Im 3. Jahrhundert hat der große Theologe Origenes den Widerstand der Christen gegen bestimmte geltende Rechtsordnungen so begründet: ‚Wenn jemand sich bei den Skythen befände, die gottlose Gesetze haben, und gezwungen wäre, bei ihnen zu leben…, dann würde er wohl sehr vernünftig handeln, wenn er im Namen des Gesetzes der Wahrheit, das bei den Skythen ja Gesetzwidrigkeit ist, zusammen mit Gleich­gesinnten auch entgegen der bei jenen bestehenden Ordnung Vereinigungen bilden würde…’ Von dieser Überzeugung her haben die Widerstandskämpfer gegen das Naziregime und gegen andere totalitäre Regime gehandelt und so dem Recht und der Menschheit als ganzer einen Dienst erwiesen. Für diese Menschen war es unbestreitbar evident, dass geltendes Recht in Wirklichkeit Unrecht war. Aber bei den Entscheidun­gen eines demokratischen Politikers ist die Frage, was nun dem Gesetz der Wahrheit entspreche, was wahrhaft recht sei und Gesetz werden könne, nicht ebenso evident…

Wie erkennt man, was recht ist? In der Geschichte sind Rechtsordnungen fast durchgehend religiös begründet worden: Vom Blick auf die Gottheit her wird entschieden, was unter Menschen rechtens ist. Im Gegensatz zu anderen großen Reli­gionen hat das Christentum dem Staat und der Gesellschaft nie ein Offenbarungsrecht, nie eine Rechtsordnung aus Offen­barung vorgegeben. Es hat stattdessen auf Natur und Ver­nunft als die wahren Rechtsquellen verwiesen – auf den Zusammenklang von objektiver und subjektiver Vernunft, der freilich das Gegründetsein beider Sphären in der schöpferi­schen Vernunft GOTTES voraussetzt…

Für die Entwicklung des Rechts und für die Entwicklung der Humanität war es entscheidend, dass sich die christlichen Theologen gegen das vom Götterglauben geforderte religiöse Recht auf die Seite der Philosophie gestellt, Vernunft und Natur in ihrem Zueinander als die für alle gültige Rechtsquelle aner­kannt haben. Diesen Entscheid hatte schon Paulus im Brief an die Römer vollzogen, wenn er sagt: ‚Wenn Heiden, die das Gesetz (die Tora Israels) nicht haben, von Natur aus das tun, was im Gesetz gefordert ist, so sind sie… sich selbst Gesetz. Sie zeigen damit, dass ihnen die Forderung des Gesetzes ins Herz geschrieben ist; ihr Gewissen legt Zeugnis davon ab…’ (Röm 2,14f). Hier erscheinen die beiden Grundbegriffe Natur und Gewissen, wobei Gewissen nichts anderes ist als das hörende Herz Salomons, als die der Sprache des Seins geöffnete Vernunft

Der Gedanke des Naturrechts gilt heute als eine katholische Sonderlehre, über die außerhalb des katholischen Raums zu diskutieren nicht lohnen würde… Wo die positivistische Ver­nunft sich allein als die genügende Kultur ansieht und alle anderen kulturellen Realitäten in den Status der Subkultur verbannt, da verkleinert sie den Menschen, ja sie bedroht seine Menschlichkeit… Die sich exklusiv gebende positivisti­sche Vernunft, die über das Funktionieren hinaus nichts wahr­nehmen kann, gleicht den Betonbauten ohne Fenster, in denen wir uns Klima und Licht selber geben, beides nicht mehr aus der weiten Welt GOTTES beziehen wollen… Die Fenster müssen wieder aufgerissen werden, wir müssen wieder die Weite der Welt, den Himmel und die Erde sehen und all dies recht gebrauchen lernen… Ich würde sagen, dass das Auftre­ten der ökologischen Bewegung in der deutschen Politik seit den 70er Jahren zwar wohl nicht Fenster aufgerissen hat, aber ein Schrei nach frischer Luft gewesen ist und bleibt…

Wenn in unserem Umgang mit der Wirklichkeit etwas nicht stimmt, dann müssen wir alle ernstlich über das Ganze nachdenken und sind alle auf die Frage nach den Grundlagen unserer Kultur überhaupt verwiesen…

Ich möchte nachdrücklich einen Punkt ansprechen…: Es gibt auch eine Ökologie des Menschen. Auch der Mensch hat eine Natur, die er achten muss und die er nicht beliebig mani­pulieren kann. Der Mensch ist nicht nur sich selbst machende Freiheit. Der Mensch macht sich nicht selbst. Er ist Geist und Wille, aber er ist auch Natur, und sein Wille ist dann recht, wenn er auf die Natur achtet, sie hört und sich annimmt als der, der er ist und der sich nicht selbst gemacht hat. Ge­rade so und nur so vollzieht sich wahre menschliche Freiheit…

…Ist es wirklich sinnlos zu bedenken, ob die objektive Vernunft, die sich in der Natur zeigt, nicht eine schöpferische Vernunft, einen Creator Spiritus voraussetzt? An dieser Stelle müsste uns das kulturelle Erbe Europas zu Hilfe kommen. Von der Überzeugung eines Schöpfergottes her ist die Idee der Menschenrechte, die Idee der Gleichheit aller Menschen vor dem Recht, die Erkenntnis der Unantastbarkeit der Men­schenwürde in jedem einzelnen Menschen und das Wissen um die Verantwortung der Menschen für ihr Handeln entwickelt worden…“

Ansprache im Deutschen Bundestag, 22.9.2011

Ökumene: Forderung nach dem gemeinsamen Zeugnis für CHRISTUS und für die Würde des Menschen

„…Je weiter die Welt sich von GOTT entfernt, desto klarer wird, dass der Mensch in der Hybris der Macht, in der Leere des Herzens und im Verlangen nach Erfüllung und Glück immer mehr das Leben verliert… Der Mensch ist auf GOTT hin erschaffen und braucht Ihn. Unser erster ökumenischer Dienst in dieser Zeit muss es sein, gemeinsam die Gegenwart des lebendigen GOTTES zu bezeugen und damit der Welt die Antwort zu geben, die sie braucht. Zu diesem Grundzeugnis für GOTT gehört natürlich ganz zentral das Zeugnis für JESUS CHRISTUS, wahrer Mensch und wahrer GOTT, der mit uns gelebt, für uns gelitten hat und für uns gestorben ist und in der Auferstehung die Tür des Todes aufgerissen hat… Die Ernsthaftigkeit des Glaubens an GOTT zeigt sich im Leben Seines Wortes. Sie zeigt sich in unserer Zeit ganz praktisch im Eintreten für das Geschöpf, das Er als Sein Ebenbild wollte – für den Menschen. Wir leben in einer Zeit, in der die Maßstäbe des Menschseins fraglich geworden sind. Ethik wird durch das Kalkül der Folgen ersetzt. Demgegenüber müssen wir als Christen die unantastbare Würde des Menschen verteidigen, von der Empfängnis bis zum Tod – in den Fragen der Pränatalen Implantations­diagnostik bis zur Sterbehilfe…

Im Vorfeld meines Besuchs war verschiedentlich von einem ökumenischen Gastgeschenk die Rede, das man sich von einem solchen Besuch erwarte. Die Gaben, die dabei genannt wurden, brauche ich nicht einzeln anzuführen. Dazu möchte ich sagen, dass dies so, wie es meistens erscheint, ein politisches Missverständnis des Glaubens und der Ökumene darstellt. Wenn ein Staatsoberhaupt ein befreundetes Land besucht, gehen im Allgemeinen Kontakte zwischen den Instanzen vo­raus, die den Abschluss eines oder auch mehrerer Verträge zwischen den beiden Staaten vorbereiten: In der Abwägung von Vor- und Nachteilen entsteht der Kompromiss, der schließ­lich für beide Seiten vorteilhaft erscheint, so dass dann das Vertragswerk unterschrieben werden kann. Aber der Glaube der Christen beruht nicht auf einer Abwägung unserer Vor- und Nachteile. Ein selbstgemachter Glaube ist wertlos. Der Glaube ist nicht etwas, was wir ausdenken und aushandeln. Er ist die Grundlage, auf der wir leben. Nicht durch Ab­wägen von Vor- und Nachteilen, sondern nur durch tieferes Hineindenken und Hineinleben in den Glauben wächst Einheit…“

Ansprache beim Ökumenischen Wortgottesdienst in Erfurt, 23.9.2011

„Wir sind uns immer sehr wohl bewusst, dass wir weder den Glauben noch die so sehr wünschenswerte Einheit ‚machen’ können. Ein von uns selbst geschaffener Glaube hat keinerlei Wert, und die wahre Einheit ist vielmehr ein Geschenk des HERRN, der stets für die Einheit Seiner Jünger gebetet hat und betet. Nur CHRISTUS kann uns diese Einheit schenken, und je mehr wir uns Ihm zuwenden und uns von Ihm verwandeln lassen, desto mehr werden wir vereint sein.“

Generalaudienz (mit Rückblick auf Deutschland-Reise), 28.9.2011

Überhang an Strukturen gegenüber dem Geist

„Wir leben in einer Zeit, die weithin durch einen unterschwel­ligen, alle Lebensbereiche durchdringenden Relativismus gekennzeichnet ist. Manchmal wird dieser Relativismus kämpferisch, wenn er sich gegen Menschen wendet, die sagen, sie wüssten, wo die Wahrheit oder der Sinn des Lebens zu finden ist. Und wir beobachten, wie dieser Relativismus immer mehr Einfluss auf die menschlichen Beziehungen und auf die Gesellschaft ausübt. Dies schlägt sich auch in der Unbestän­digkeit und Sprunghaftigkeit vieler Menschen und einem übersteigerten Individualismus nieder. Mancher scheint überhaupt keinen Verzicht mehr leisten oder ein Opfer für andere auf sich nehmen zu können. Auch das selbstlose Engagement für das Gemeinwohl, im sozialen und kulturellen Bereich oder für Bedürftige nimmt ab. Andere sind überhaupt nicht mehr in der Lage, sich uneingeschränkt an einen Partner zu binden. Man findet kaum noch den Mut zu verspre­chen, ein Leben lang treu zu sein; sich das Herz zu nehmen und zu sagen, ich gehöre jetzt ganz dir, oder entschlossen für Treue und Wahrhaftigkeit einzustehen und aufrichtig die Lö­sung von Problemen zu suchen…

Wir sehen, dass in unserer reichen westlichen Welt Mangel herrscht. Vielen Menschen mangelt es an der Erfahrung der Güte GOTTES. Zu den etablierten Kirchen mit ihren überkom­menen Strukturen finden sie keinen Kontakt. Warum eigent­lich? Ich denke, das ist eine Frage, über die wir sehr ernsthaft alle nachdenken müssen. Sich um sie zu kümmern, ist die Hauptaufgabe des Päpstlichen Rates für die Neuevangelisie­rung. Aber sie geht natürlich uns alle an. Lassen Sie mich hier einen Punkt der speziellen Situation in Deutschland anspre­chen. In Deutschland ist die Kirche bestens organisiert. Aber steht hinter den Strukturen auch die entsprechende geistige Kraft – Kraft des Glaubens an den lebendigen GOTT? Ich denke, ehrlicherweise müssen wir doch sagen, dass es bei uns einen Überhang an Strukturen gegenüber dem Geist gibt. Und ich füge hinzu: Die eigentliche Krise der Kirche in der westlichen Welt ist eine Krise des Glaubens. Wenn wir nicht zu einer wirklichen Erneuerung des Glaubens finden, werden alle strukturellen Reformen wirkungslos bleiben…“

Ansprache vor dem Zentralkomitee der deutschen Katholiken, Freiburg, 24.9.2011

Forderung nach Ent-Weltlichung der Kirche

„Seit Jahrzehnten erleben wir einen Rückgang der religiösen Praxis, stellen wir eine zunehmende Distanzierung beträchtlicher Teile der Getauften vom kirchlichen Leben fest. Es kommt die Frage auf: Muss die Kirche sich nicht ändern? Muss sie sich nicht in ihren Ämtern und Strukturen der Gegenwart an­passen, um die suchenden und zweifelnden Menschen von heute zu erreichen…

Was das grundlegende Motiv der Änderung betrifft, so ist es die apostolische Sendung der Jünger und der Kirche selbst. Dieser ihrer Sendung muss die Kirche sich nämlich immer neu vergewissern. Die drei synoptischen Evangelien lassen ver­schiedene Aspekte des Sendungsauftrags aufleuchten: Die Sendung gründet zunächst in der persönlichen Erfahrung: ‚Ihr seid meine Zeugen!’ (Lk 24,48); sie kommt zum Ausdruck in Beziehungen: ‚Macht alle Menschen zu meinen Jüngern’ (Mt 28,19); und sie gibt eine universelle Botschaft weiter: ‚Verkündet das Evangelium allen Geschöpfen’ (Mk 16,15). Durch die Ansprüche und Sachzwänge der Welt aber wird dies Zeugnis immer wieder verdunkelt, werden die Beziehungen entfremdet und wird die Botschaft relativiert. Wenn nun die Kirche, wie Papst Paul VI. sagt, ‚danach trachtet, sich selbst nach dem Typus, den CHRISTUS ihr vor Augen stellt, zu bil­den, dann wird sie sich von der menschlichen Umgebung tief unterscheiden, in der sie doch lebt oder der sie sich nähert’ (Enzyklika Ecclesiam suam, 60). Um ihre Sendung zu ver­wirklichen, wird sie auch immer wieder Distanz zu ihrer Umgebung nehmen müssen, sich gewissermaßen ‚ent-weltlichen’

In der geschichtlichen Ausformung der Kirche zeigt sich … auch…, dass die Kirche zufrieden wird mit sich selbst, sich in dieser Welt einrichtet, selbstgenügsam ist und sich den Maßstäben der Welt angleicht. Sie gibt nicht selten Organisa­tion und Institutionalisierung größeres Gewicht als ihrer Berufung zu der Offenheit auf GOTT hin, zur Öffnung der Welt auf den Anderen hin. Um ihrem eigentlichen Auftrag zu genügen, muss die Kirche immer wieder die Anstrengung un­ternehmen, sich von dieser ihrer Verweltlichung zu lösen und wieder offen auf GOTT hin zu werden…

Die Säkularisierungen – sei es die Enteignung von Kirchengü­tern, sei es die Streichung von Privilegien oder ähnliches – bedeuteten nämlich jedes Mal eine tiefgreifende Entweltlichung der Kirche, die sich dabei gleichsam ihres weltlichen Reichtums entblößt und wieder ganz ihre weltliche Armut annimmt… Die geschichtlichen Beispiele zeigen: Das missionarische Zeug­nis der entweltlichten Kirche tritt klarer zutage. Die von materiellen und politischen Lasten und Privilegien befreite Kirche kann sich besser und auf wahrhaft christliche Weise der ganzen Welt zuwenden, wirklich weltoffen sein. Sie kann ihre Berufung zum Dienst der Anbetung GOTTES und zum Dienst des Nächsten wieder unbefangener leben. Die missionarische Pflicht, die über der christlichen Anbetung liegt und die ihre Struktur bestimmen sollte, wird deutlicher sichtbar. Sie öffnet sich der Welt, nicht um die Menschen für eine Institution mit eigenen Machtansprüchen zu gewinnen, sondern um sie zu sich selbst zu führen, indem sie zu dem führt, von dem jeder Mensch mit Augustinus sagen kann: Er ist mir innerlicher als ich mir selbst (vgl. .Conf 3,6,11)…

Es geht hier nicht darum, eine neue Taktik zu finden, um der Kirche wieder Geltung zu verschaffen. Vielmehr gilt es, jede bloße Taktik abzulegen und nach der totalen Redlichkeit zu suchen, die nichts von der Wahrheit unseres Heute aus­klammert oder verdrängt, sondern ganz im Heute den Glauben vollzieht…

Der christliche Glaube ist für den Menschen allezeit – und nicht erst in der unsrigen – ein Skandal. Dass der ewige GOTT sich um uns Menschen kümmern, uns kennen soll, dass der Unfassbare zu einer bestimmten Zeit an einem bestimmten Ort fassbar geworden sein soll, dass der Unsterbliche am Kreuz gelitten haben und gestorben sein soll, dass uns Sterb­lichen Auferstehung und Ewiges Leben verheißen ist – das zu glauben ist für die Menschen allemal eine Zumutung. Dieser Skandal, der unaufhebbar ist, wenn man nicht das Christentum selbst aufheben will, ist leider gerade in jüngster Zeit überdeckt worden von den anderen schmerzlichen Skandalen der Ver­künder des Glaubens…

Um so mehr ist es wieder an der Zeit, die wahre Entweltlichung zu finden, die Weltlichkeit der Kirche beherzt abzulegen. Das heißt natürlich nicht, sich aus der Welt zurückzuziehen, son­dern das Gegenteil. Eine vom Weltlichen entlastete Kirche vermag gerade auch im sozial-karitativen Bereich den Menschen, den Leidenden wie ihren Helfern, die besondere Lebenskraft des christlichen Glaubens zu vermitteln. ‚Der Liebesdienst ist für die Kirche nicht eine Art Wohlfahrtsaktivität, die man auch anderen überlassen könnte, sondern er gehört zu ihrem Wesen, ist unverzichtbarer Wesensausdruck ihrer selbst’ (Enzyklika Deus caritas est, 25). Allerdings haben sich auch die karitativen Werke der Kirche immer neu dem An­spruch einer angemessenen Entweltlichung zu stellen, sollen ihr nicht angesichts der zunehmenden Entkirchlichung ihre Wurzeln vertrocknen…“

Ansprache im Konzerthaus Freiburg, 25.9.2011

Berufung zur Heiligkeit

„Immer wieder ist das Bild der Heiligen karikiert und verzerrt worden, so als ob heilig zu sein bedeute, weltfremd, naiv und freudlos zu sein. Nicht selten meint man, ein Heiliger sei nur der, der asketische und moralische Höchstleistungen vollbringe und den man daher wohl verehren, aber im eigenen Leben doch nie nachahmen könne. Wie falsch und entmutigend ist diese Meinung! Es gibt keinen Heiligen, mit Ausnahme der seligen Jungfrau Maria, der nicht auch die Sünde gekannt und niemals gefallen wäre. Liebe Freunde, CHRISTUS achtet nicht so sehr darauf, wie oft wir im Leben straucheln, sondern wie oft wir mit Seiner Hilfe wieder aufstehn. Er fordert keine Glanzleistungen, sondern möchte, dass Sein Licht in euch scheint. Er ruft euch nicht, weil ihr gut und vollkommen seid, sondern weil Er gut ist und euch zu Seinen Freunden machen will. Ja, ihr seid das Licht der Welt, weil JESUS euer Licht ist. Ihr seid Christen – nicht weil ihr Besonderes und Herausragendes tut, sondern weil Er, CHRISTUS, euer, unser Leben ist. Ihr seid heilig, wir sind heilig, wenn wir Seine Gnade in uns wirken lassen.“

Gebetsvigil mit Jugendlichen auf dem Messegelände Freiburg, 24.9.2011

 

 

3. Soziale Themen

 

 „Wie Sie in Ihrer Ansprache hervorgehoben haben, möchte Ihre Regierung politische Maßnahmen anwenden, die auf dauerhaften Werten gründen… Wenn die politischen Maßnah­men keine objektiven Werte voraussetzen oder fördern, dann führt der sich daraus ergebende moralische Relati­vismus nicht zu einer freien, fairen, gerechten und barm­herzigen Gesellschaft. Vielmehr neigt er dazu, Enttäuschung, Verzweiflung, Eigensucht und Geringschätzung des Lebens und der Freiheit anderer hervorzubringen… (Es) wird die aktive Förderung der Grundwerte einer gesunden Gesellschaft durch den Schutz des Lebens und der Familie, die gute sittliche Erziehung der jungen Menschen und eine brüderliche Auf­merksamkeit gegenüber den Armen und Schwachen sicher dazu beitragen, wieder ein positives Pflichtbewusstsein aufzu­bauen…“

Ansprache an den neuen Botschafter Großbritanniens, 9.9.2011

Die Pflicht, Übel anzuprangern

„Die Austauschgerechtigkeit – als ‚geben, um zu haben’ – und die Verteilungsgerechtigkeit – ‚geben aus Verpflichtung’ – reichen im sozialen Zusammenleben nicht aus. Damit es dort wirkliche Gerechtigkeit gibt, müssen die Unentgeltlichkeit und die Solidarität dazukommen. Solidariatät bedeutet vor allem, dass sich alle für alle verantwortlich fühlen…

Es ist nicht Aufgabe der Kirche, Wege aus der derzeitigen Krise zu zeigen. Dennoch haben die Christen die Pflicht, die Übel anzuprangern, von den Werten, auf die sich die Men­schenwürde gründet, Zeugnis zu geben und sie hochzu­halten und jenen Formen der Solidarität zu fördern, die das Ge­meinwohl begünstigen, damit die Menschheit immer mehr zur Familie GOTTES wird.“

Audienz für Studientagung der Stiftung „Centesimus Annus“, 15.10.2011

 

 

4. Ehe, Familie und Erziehung

 

Ehesakrament und Priestertum

„Auch in eurer Anwesenheit – Priester und Eheleute aus ver­schiedenen italienischen Diözesen – begreift man die Schön­heit der Harmonie und der sich ergänzenden Zusammen­gehörigkeit eurer unterschiedlichen Berufungen. Das wechselseitige Kennenlernen und die gegenseitige Wertschät­zung beim Austausch desselben Glaubens tragen dazu bei, das Charisma des anderen zu schätzen und sich innerhalb des einen ‚geistigen Hauses’ (1 Petr 2,5) anzuerkennen, das CHRISTUS JESUS selbst zum Schlussstein hat und daher wohlgeordnet wächst, um ein heiliger Tempel im HERRN zu sein (vgl. Eph 2,20-21)… Ich möchte kurz darauf eingehen, dass das Weihe- und das Ehesakrament auf ein- und die­selbe eucharistische Quelle zurückzuführen sind. Diese beiden Lebensformen haben nämlich in der Liebe CHRISTI, der sich selber für das Heil der Menschheit hingibt, dieselbe Wurzel; sie sind zu einer gemeinsamen Sendung berufen: nämlich von dieser Liebe Zeugnis zu geben und sie im Dienst der Gemeinschaft für den Aufbau des GOTTESvolkes zu ver­gegenwärtigen (vgl. KKK 1534)…. Die Familie ist ein Reich­tum für die Ehegatten*, ein unersetzliches Gut für die Kin­der, ein unentbehrliches Fundament für die Gesellschaft, lebendige Gemeinschaft für den Weg der Kirche.

Die Familie zur Geltung zu bringen bedeutet auf kirchlicher Ebene, ihre Bedeutung im pastoralen Wirken anzuerkennen. Der Dienst, der aus dem Ehesakrament entspringt, ist für das Leben der Kirche wichtig: Die Familie ist der privilegierte Ort menschlicher und christlicher Erziehung und bleibt für diesen Zweck der beste Verbündete des priesterlichen Dienstes; sie ist ein kostbares Geschenk für den Aufbau der Gemeinde. Die Nähe des Priesters zur Familie hilft dieser ihrerseits, sich ihrer tiefen Wirklichkeit und ihrer Sendung be­wusst zu werden, und so die Entfaltung einer starken kirch­lichen Sensibilität zu begünstigen. Keine Berufung ist eine rein private Angelegenheit, um so weniger die Berufung zur Ehe, weil ihr Horizont die ganze Kirche ist

Liebe Priester, durch das Geschenk, das ihr bei der Weihe empfangen habt, seid ihr dazu berufen, als Hirten der kirch­lichen Gemeinschaft, die eine ‚Familie von Familien’ ist, zu dienen und somit jeden mit väterlichem Herzen, mit glaubwür­digem Abstand von euch selbst, mit voller, ständiger und treuer Hingabe zu lieben: Ihr seid das lebendige Zeichen, das auf JESUS CHRISTUS, den einzigen Guten Hirten, verweist. Seid Ihm ähnlich, Seinem Lebensstil mit jenem vollkom­menen und ausschließlichen Dienst, dessen Ausdruck der Zölibat ist! Auch der Priester besitzt eine bräutliche Dimension, die darin besteht, dass er sich mit dem Herzen CHRISTI, des Bräutigams, identifiziert, der Sein Leben für die Kirche, Seine Braut, hingibt (vgl. Nachsynodales Schreiben Sacramentum caritatis, 24). Pflegt eine tiefe Vertrautheit mit dem Wort GOTTES, dem Licht auf eurem Weg. Die täg­liche und treue Feier der Eucharistie sei der Ort, wo ihr die Kraft schöpfen könnt, euch selbst jeden Tag im Dienst hinzu­geben und ständig in der Gegenwart GOTTES zu leben: Er ist eure Bleibe und eure Erbschaft. Dafür müsst ihr auch unter den schwierigsten Umständen Zeugen sein für die Familie und für jeden Menschen, den der HERR auf euren Weg schickt (vgl. ebd. Nr. 80). Ermutigt die Eheleute, teilt ihre erzieherische Verantwortung, helft ihnen, ständig die Gnade ihrer Ehe zu erneuern. Stellt die hohe Bedeutung der Ehe in der Seelsorge heraus. Seid aufnahmebereit und barmherzig auch mit denen, die Schwierigkeiten damit haben, die bei der Eheschließung übernommenen Verpflichtungen zu erfüllen, und mit allen, die das leider nicht zuwege gebracht haben.

Liebe Eheleute, eure Ehe ist in dem Glauben verwurzelt, dass ‚GOTT die Liebe ist’ (1 Joh 4,8) und dass Nachfolge CHRISTI heißt, in der Liebe zu bleiben’ (vgl. Joh 15,9-10). Eure Vereinigung ist – wie der hl. Paulus lehrt – sakramentales Zeichen der Liebe CHRISTI zur Kirche (vgl. Eph 5,32), einer Liebe, die ihren Höhepunkt im Kreuz hat und ‚in der Eucharistie ausgedrückt und verwirklicht’ wird (vgl. Sacramentum caritatis, 29). Das eucharistische Geheimnis möge sich immer tiefgrei­fender auf euer alltägliches Leben auswirken: Schöpft aus diesem Sakrament Inspiration und Kraft für eure eheliche Beziehung und für den Erziehungsauftrag, zu dem ihr berufen seid; baut eure Familien in der Einheit auf, dem Geschenk, das von oben kommt und euren Einsatz in der Kirche und bei der Förderung einer gerechten und brüderlichen Welt nährt. Liebt eure Priester, bringt ihnen eure Wertschätzung für den großherzigen Dienst zum Ausdruck, den sie vollbringen…“

Begegnung mit Familien und Priestern in der Kathedrale von Ancona, 11.9.2011

(* Die offizielle deutsche Übersetzung spricht hier irreführend von „Verlobten“; im Italienischen steht „sposi“, Eheleute, Anm. FMG)

Auf dem Weg zur Ehe

„Unsere heutige Zeit ist in mancher Hinsicht, vor allem für euch junge Leute, nicht einfach. Die Tafel ist reich gedeckt mit so vielen Köstlichkeiten, doch wie in der Episode von der Hochzeit in Kana im Evangelium scheint der Wein für das Fest aus­gegangen zu sein. Vor allem die Schwierigkeit, einen festen Arbeitsplatz zu finden, wirft einen Schleier der Ungewissheit über die Zukunft. Diese Situation trägt dazu bei, dass dauerhafte Entscheidungen verschoben werden, was sich negativ auf das Wachstum der Gesellschaft auswirkt, der es nicht ge­lingt, den Reichtum an Tatkraft, Kompetenzen und Kreativität eurer Generation voll zur Geltung kommen zu lassen. Der Wein des Festes fehlt auch einer Kultur, die dazu neigt, von klaren moralischen Kriterien abzusehen: In der Orien­tierungslosigkeit wird jeder dazu veranlasst, sich individuell und autonom, oft nur in der Gegenwart, zu bewegen. Das Ausei­nanderbrechen des Gemeinschaftsgefüges spiegelt sich in einem Relativismus wider, der die wesentlichen Werte angreift; der Einklang von Empfindungen, Gemütsverfassun­gen und Emotionen scheint wichtiger zu sein als die Planung eines gemeinsamen Lebens. Auch die grundlegenden Ent­scheidungen werden dann brüchig, sind dem Risiko aus­gesetzt, ständig widerrufen zu werden, was oft für einen Ausdruck von Freiheit gehalten wird, während es tatsäch­lich eher deren Fehlen bedeutet. Zu einer Kultur, welcher der Wein für das Fest fehlt, gehört auch die scheinbare Verherrli­chung des Leibes, die in Wirklichkeit die Sexualität banali­siert und dazu neigt, sie außerhalb des Rahmens einer Lebens- und Liebesgemeinschaft zu leben. Liebe junge Leute, habt keine Angst, euch diesen Herausforderungen zu stellen! Verliert nie die Hoffnung! Habt Mut, auch in den Schwierigkeiten, indem ihr fest im Glauben bleibt. Seid gewiss, dass ihr in jeder Situation geliebt und von der Liebe GOTTES beschützt werdet, die unsere Kraft ist. GOTT ist gut. Deshalb ist es wichtig, dass die Begegnung mit GOTT vor allem im ständigen, treuen persönlichen und gemeinsamen Gebet er­folgt, so wie es der Weg eurer Liebe ist: GOTT lieben und spü­ren, dass Er mich liebt. Nichts kann uns von der Liebe GOTTES trennen! Seid zudem gewiss, dass euch auch die Kirche nahe ist, euch beisteht… Als bei der Hochzeit von Kana der Wein ausging, forderte Maria die Diener auf, sich an JESUS zu wenden, und erteilte ihnen eine klare Weisung: ‚Was Er euch sagt, das tut!’ (Joh 2,5). Beherzigt diese Worte…

Als Verlobte erlebt ihr eine einzigartige Zeit, die euch für das Wunder der Begegnung öffnet und die Schönheit des Daseins und Wertvollseins für den anderen entdecken und zueinander sagen lässt: Du bist für mich wichtig. Erlebt diesen Weg inten­siv, stufenweise und wahrhaftig! Lasst euch nicht von einem hohen Ideal der Liebe abbringen, die Widerschein und Zeugnis der Liebe GOTTES ist! Aber wie könnt ihr diesen Lebensabschnitt in der Gemeinsamkeit leben, Zeugnis von eurer Liebe geben? Ich würde euch vor allem raten, euch nicht auf – fälschlich gleichsam als eine Art Garantie verstandene – intime Beziehungen einzulassen; bemüht euch darum, dass eure Beziehung zum Sauerteig einer tätigen und verantwortungsvollen Präsenz in der Gemeinschaft wird. Ver­gesst nicht, dass auch die Liebe, um glaubwürdig zu sein, einen Reifungsprozess nötig hat: Vom ersten Kennenlernen, Sich-Hingezogenfühlen zum anderen, Sich-gegenseitig-Mögen erzieht euch dazu, den anderen ‚gern zu haben’, das Wohl des anderen zu wollen. Die Liebe lebt von Selbstlosigkeit, Selbstaufopferung, Vergebung und Achtung vor dem ande­ren.

Liebe Freunde, jede menschliche Liebe ist Zeichen der ewigen Liebe, die uns erschaffen hat und deren Gnade in der Ent­scheidung eines Mannes und einer Frau besteht, sich gegen­seitig das Leben in der Ehe anzuvertrauen. Lebt diese Verlo­bungszeit in der vertrauensvollen Erwartung dieses Ge­schenks, das angenommen werden soll, indem ihr einen Weg des Kennenlernens, der Achtung und Erwartungen durchlauft, von dem ihr nie abweichen dürft: Nur unter dieser Vorausset­zung wird die Sprache der Liebe auch im Laufe der Jahre maßgebend bleiben. Erzieht euch von jetzt an zur Freiheit der Treue, die euch einander behüten lässt, bis ihr einer für den anderen lebt. Bereitet euch darauf vor, euch mit Überzeu­gung für das ‚für immer’ zu entscheiden, das die Liebe kenn­zeichnet: Die Unauflöslichkeit der Ehe ist nicht so sehr eine Bedingung als eher ein Geschenk, das in jeder schwan­kenden menschlichen Situation gewünscht, verlangt und gelebt werden soll. Und glaubt nicht, dass – wie von einer verbreiteten Meinung behauptet – das voreheliche Zusam­menleben eine Garantie für die Zukunft sei…“

Begegnung mit verlobten Paaren beim Pastoralbesuch in Ancona, 11.9.2011

 

 

5. Jugend

 

Den Glauben weitergeben

„…Glauben haben heißt, dass du dich auf den Glauben deiner Brüder stützt, und dein Glaube ist Stütze für den Glauben der anderen. Ich bitte euch, liebe Freunde: Liebt die Kirche, die euch zum Glauben geboren hat, die euch geholfen hat, CHRISTUS besser kennenzulernen, die euch die Schönheit Seiner Liebe entdecken ließ… Aus dieser Freundschaft mit JESUS wird auch der Impuls dazu hervorgehen, in den ver­schiedensten Bereichen Zeugnis vom Glauben zu geben, ein­schließlich dort, wo Ablehnung oder Gleichgültigkeit herrschen. Es ist nicht möglich, CHRISTUS zu begegnen und Ihn nicht den anderen bekannt zu machen. Bewahrt also CHRISTUS nicht für euch selbst! Teilt eure Glaubensfreude den anderen mit! Die Welt braucht das Zeugnis eures Glaubens, sie hat GOTT gewiss nötig…“

Abschlussgottesdienst des Weltjugendtages Madrid, 21.8.2011

Schämt euch nicht des HERRN

„Warum und wozu ist diese große Zahl an Jugendlichen nach Madrid gekommen?… Viele von ihnen haben die Stimme GOTTES vernommen, vielleicht nur wie ein sanftes Säuseln, das sie dazu bewegt hat, Ihn eifriger zu suchen und mit ande­ren die Erfahrung der Kraft zu teilen, die Er in ihrem Leben hat. Diese Entdeckung des lebendigen GOTTES belebt die Ju­gendlichen und öffnet ihre Augen für die Herausforderungen der Welt, in der sie leben, mit ihren Grenzen und Chan­cen. Sie sehen Oberflächlichkeit, Konsumismus und Hedo­nismus vorherrschen, sie nehmen eine große Banalität im Umgang mit der Sexualität, großen Mangel an Solidarität und viel Korruption wahr. Sie wissen, dass es ohne GOTT schwierig ist, diesen Herausforderungen zu begegnen und wirklich glücklich zu sein, obgleich sie sich mit ganzer Kraft dafür einsetzen, ein authentisches Leben zu führen. Aber mit Ihm an ihrer Seite werden sie Licht auf dem Weg und Grund zur Hoffnung haben…

Gewiss fehlt es nicht an Schwierigkeiten. An vielen Orten der Welt gibt es Spannungen und offene Auseinandersetzungen… Die Gerechtigkeit und der hohe Wert der menschlichen Person werden leicht egoistischen, materiellen und ideologischen Interessen untergeordnet… Nicht wenige erleiden wegen ihres Glaubens an CHRISTUS Diskriminierung, die in be­stimmten Regionen und Ländern bis zur Verachtung und offe­ner oder heimlicher Verfolgung geht. Man verfolgt sie, indem man sie von Ihm entfernen will: Im öffentlichen Leben wer­den ihnen die Zeichen Seiner Gegenwart genommen und wird sogar sein heiliger Name verschwiegen. Dagegen möchte ich den jungen Menschen mit aller Kraft meines Her­zens sagen: Nichts und niemand nehme euch den Frieden; schämt euch nicht des HERRN. Er hatte keine Vorbehalte, einer wie wir zu werden und an unseren Sorgen teilzunehmen, um sie zu GOTT zu tragen, und so hat Er uns erlöst.

In diesem Zusammenhang ist es vordringlich, den jugendlichen Jüngern JESU zu helfen, fest im Glauben zu bleiben und das wunderbare Abenteuer auf sich zu nehmen, den Glau­ben zu verkünden und mit dem eigenen Leben offen zu bezeugen. Es geht um ein mutiges Zeugnis, voll Liebe zum Mitmenschen, entschieden und klug zugleich, ohne die eigene christliche Identität zu verleugnen, in einem Klima des respekt­vollen Miteinanders gegenüber anderen legitimen Überzeugun­gen, wo gleichzeitig der gebührende Respekt vor den eigenen Überzeugungen eingefordert wird…“

Ansprache bei der Ankunft auf dem Flughafen von Madrid, 18.8.2011

„Baut euer Leben auf den festen Grund, der CHRISTUS ist“

„Es gibt viele, die sich für Götter halten und meinen, keine anderen Wurzeln noch Fundamente zu brauchen als sich selbst. Sie würden gern ganz allein entscheiden, was Wahrheit ist und was nicht, was gut oder schlecht, gerecht oder ungerecht ist; entscheiden, wer wert ist zu leben und wer hingegen auf dem Altar anderer Perspektiven geopfert werden kann. Sie möchten jeden Augenblick ihren Schritt dem Zufall überlassen, ohne einen festgesetzten Kurs, indem sie sich vom Impuls des Augenblicks leiten lassen. Diese Versuchungen lauern stets im Hinterhalt. Es ist wichtig, ihnen nicht zu erliegen, denn in Wirklichkeit führen sie zu etwas, das da­hinschwindet wie ein Leben ohne Horizonte, eine Freiheit ohne GOTT. Wir wissen hingegen sehr wohl, dass wir als Freie er­schaffen worden sind, nach dem Bild GOTTES, und zwar damit wir Protagonisten auf der Suche nach der Wahrheit und nach dem Guten sind, verantwortlich für unser Handeln und nicht bloß blinde Vollstrecker; kreative Mitarbeiter bei der Aufgabe, das Werk der Schöpfung zu pflegen und zu verschönern. GOTT wünscht sich einen verantwortlichen Partner, jemanden, der mit Ihm sprechen und Ihn lieben kann. Durch CHRISTUS können wir das wirklich erreichen, und wenn wir in Ihm verwurzelt bleiben, verleihen wir unserer Freiheit Flügel…“

Predigt bei der Willkommensfeier auf der Plaza de Cibeles, Madrid, 18.8.2011

Glaubenszeugnis gegen eine Art „Gottesfinsternis“

„Die evangelische Radikalität besteht darin, ‚in CHRISTUS verwurzelt und auf Ihn gegründet, fest im Glauben’ (Ko 2,7) zu bleiben. Im geweihten Leben bedeutet das, mit ungeteiltem Herzen an die Wurzel der Liebe JESU CHRISTI zu gehen und dieser Liebe nichts vorzuziehen…, mit einer bräutlichen Zugehörigkeit, wie sie die Heiligen gelebt haben, so wie Rosa von Lima und Raffael Arnáiz, die jungen Patrone dieses Weltju­gendtags. Die persönliche Begegnung mit CHRISTUS, die eure Weihe nährt, muss mit aller ihrer verwandelnden Kraft in eurem Leben bezeugt werden; und heute kommt ihr eine besondere Bedeutung zu, insofern ‚eine Art ‚Gottesfinster­nis’ festzustellen ist, ein gewisser Gedächtnisschwund, wenn nicht sogar eine ausgesprochene Ablehnung des Christentums und eine Zurückweisung des empfangenen Glaubensguts, wobei die Gefahr besteht, die eigene tiefere Identität zu verlieren’ (Botschaft zum XXVI. Weltjugendtag 2011,1). Angesichts des Relativismus und der Mittelmäßigkeit erhebt sich die Notwendigkeit dieser Radikalität, die die Weihe als eine Zugehörigkeit zu dem über alles geliebten GOTT be­zeugt. Diese evangelische Radikalität des geweihten Lebens findet ihren Ausdruck in der kindlichen Gemeinschaft mit der Kirche, der von CHRISTUS erbauten Heimstatt der Kinder GOTTES…“

Begegnung mit jungen Ordensfrauen, Madrid, 19.8.2011

Lasst euch nicht einschüchtern von einer Umgebung, in der man GOTT ausschließen will

„Liebe Freunde, bereitet euch darauf vor, Apostel mit CHRISTUS und wie CHRISTUS zu sein, um Weggefährten und Diener der Menschen zu sein!… Die Heiligkeit der Kirche ist vor allem die objektive Heiligkeit der Person CHRISTI selbst, Seines Evangeliums und Seiner Sakramente, die Heiligkeit jener Kraft von oben, welche sie beseelt und anspornt. Wir müssen heiligmäßig sein, um nicht einen Widerspruch zu erzeugen zwischen dem Zeichen, das wir sind, und der Wirklichkeit, die wir zum Ausdruck bringen wollen. Denkt eingehend über dieses Geheimnis der Kirche nach, während ihr die Jahre eurer Ausbildung mit tiefer Freude, mit Lernbereitschaft, in Klarheit und radikaler Treue zum Evangelium sowie in liebevoller Beziehung zur Zeit und zu den Personen, unter denen ihr lebt, verbringt. Keiner wählt den Rahmen noch die Zielpersonen seiner Sendung aus. Jede Zeit hat ihre Probleme, doch GOTT gewährt in jeder Zeit die erforderli­che Gnade, um sie mit Liebe und Realismus anzunehmen und zu bewältigen. Deshalb muss der Priester in jeder Situa­tion, in der er sich befindet  - so schwierig sie auch sein mag –, in jeder Art von guten Werken Frucht bringen, während er dafür in seinem Inneren die Worte des Tages seiner Weihe immer lebendig bewahrt, mit denen er aufgefordert wurde, sein Leben unter das Geheimnis des Kreuzes des HERRN zu stellen.

Sich unter CHRISTI Geheimnis zu stellen, liebe Seminaristen, schließt ein, dass man sich immer mehr mit demjenigen identi­fiziert, der für uns zum Diener, Priester und Opfer geworden ist. Ihm gleichförmig zu werden ist in Wirklichkeit die Aufgabe, für welche sich der Priester sein ganzes Leben lang ver­zehren muss. Wir wissen natürlich, dass sie uns übersteigt und es uns nie gelingen wird, sie vollkommen zu erfüllen, doch, wie der hl. Paulus sagt, streben wir dennoch das Ziel an in der Hoffnung, es zu erreichen (vgl. Phil 3,12-14)…

Auf Seine Liebe gestützt, lasst euch nicht von einer Umge­bung einschüchtern, in der man GOTT ausschließen will und in der Macht, Besitz oder Vergnügen oft die Hauptkri­terien sind, nach denen sich das Dasein richtet. Es kann sein, dass man euch verachtet, wie es gewöhnlich denen widerfährt, die sich auf höhere Ziele berufen oder die Idole entlarven, vor denen heute viele auf den Knien liegen. Das wird dann der Fall sein, wenn ein Leben, das tief in CHRISTUS verwurzelt ist, sich denen, die GOTT, die Wahrheit und die Gerechtigkeit echt suchen, wirklich als eine Neuheit offenbart und sie nachdrücklich anzieht…“

Predigt vor den Seminaristen in der Kathedrale von Madrid, 20.8.2011

 

 

6. Leiden und Sterben

 

Das Bild GOTTES im Antlitz dessen, der leidet

„(Wir) sind betroffen, wenn am Horizont eines jungen Lebens der Schmerz erscheint, vor allem, wenn dies aufgrund einer Krankheit geschieht… Eine Gesellschaft, die die Leidenden nicht annehmen und nicht im Mit-Leiden helfen kann, Leid auch von innen zu teilen und zu tragen, ist eine grausame und inhumane Gesellschaft… JESUS und auf Seinen Spuren Seine Schmerzhafte Mutter und die Heiligen sind die Zeugen, die uns lehren, das Drama der Krankheit und des Leidens zu unserem Wohl und zum Heil der Welt zu leben. Diese Zeugen sprechen zu uns vor allem von der Würde eines jeden Men­schenlebens, das ja nach dem Bild GOTTES geschaffen wurde. Keine Trübsal ist imstande, diese Prägung auszuradie­ren, die ins Innerste des Menschen eingeschrieben ist. Und nicht nur das: Seit der SOHN GOTTES freiwillig Schmerz und Tod auf sich genommen hat, bietet sich uns das Bild GOTTES auch im Antlitz dessen dar, der leidet. Diese be­sondere Vorliebe des HERRN für den Leidenden bringt uns dazu, den anderen mit klaren Augen anzusehen, um ihm über die äußeren Dinge hinaus, deren er bedarf, den liebevollen Blick zu schenken, den er braucht. Das aber wird nur möglich als Frucht einer persönlichen Begegnung mit CHRISTUS. Da­rüber seid ihr – Ordensleute, Angehörige, im Heilberuf Tätige und Ehrenamtliche –, die ihr täglich mit diesen jungen Men­schen lebt und arbeitet – euch völlig im Klaren. Euer Leben und eure Hingabe verkünden die Größe, zu der der Mensch berufen ist: Mitleid mit dem Leidenden zu haben und ihn aus Liebe zu begleiten, wie GOTT es getan hat…“

Besuch der Stiftung „Instituto San José“, Madrid, 20.8.2011

 

 

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