FMG-INFORMATION 101, November 2010

 

1. Glaube und Kirche

 

Priestersein

„Das Priestertum… gründet auf dem Mut, zu einem anderen Willen ‚Ja’ zu sagen, in dem Bewusstsein, das man jeden Tag wachsen lassen muss, dass gerade dadurch, dass wir uns dem Willen GOTTES angleichen, ‚eingetaucht’ in diesen Willen, unsere Originalität nicht nur nicht ausgelöscht werden wird, sondern dass wir im Gegenteil immer mehr in die Wahrheit unseres Seins und unseres Dienstes eingehen werden…“

Predigt bei der Priesterweihe im Petersdom, 30.6.2010

Eine neue Evangelisierung

„Als der Diener GOTTES Giovanni Battista Montini während des 2. Vatikanischen Konzils zum Nachfolger Petri gewählt wurde, war es sein Wunsch, den Namen des Völkerapostels anzunehmen. Im Rahmen seines Programms zur Umsetzung des Konzils berief Paul VI. 1974 die Versammlung der Bi­schofssynode ein, die sich mit dem Thema der Evangelisierung in unserer Zeit befassen sollte. Ungefähr ein Jahr später veröffentlichte er das Apostolische Schreiben Evangelii nuntiandi, das mit folgenden Worten beginnt: ‚Die Verkündigung des Evangeliums an die Menschen unserer Zeit, die von Hoffnung erfüllt, aber gleichzeitig oft von Furcht und Angst niedergedrückt sind, ist ohne Zweifel ein Dienst, der nicht nur der Gemeinschaft der Christen, sondern der ganzen Mensch­heit erwiesen wird’ (Nr. 1). Es ist auffallend, wie aktuell diese Worte sind… Von diesem Wunsch… sind alle Dokumente des 2. Vatikanischen Konzils durchdrungen… Wir müssen hier nicht erklären, wie der ehrwürdige Diener GOTTES Johannes Paul II. während seines langen Pontifikats diese Ausrichtung auf die Mission entfaltet hat, die – was man nicht oft genug sagen kann – dem Wesen der Kirche selbst entspricht, welche mit Paulus stets sagen kann und muss: ‚Wenn ich nämlich das Evangelium verkünde, kann ich mich deswegen nicht rühmen; denn ein Zwang liegt auf mir. Weh mir, wenn ich das Evangelium nicht verkünde!’ (1 Kor 9,16)… Die Kirche ist in der Welt eine gewaltige Kraft der Erneuerung, doch sie ist es nicht aus eigener Kraft, sondern durch die Kraft des Evangeliums, das vom Atem des HL. GEISTES GOTTES durchdrungen ist, Schöpfer und Erlöser der Welt. Der Mensch ist den Herausforderungen unserer Zeit nicht gewachsen, weder den historischen noch den sozialen, und schon gar nicht denen spiritueller Art. Wir Hirten der Kirche haben manchmal den Eindruck, die Erfahrung der Apostel neu zu durchleben, die angesichts der Tausenden von bedürftigen Menschen, die JESUS folgten, fragten: Was können wir für all diese Menschen tun? Und da wurden sie sich ihrer Ohnmacht bewusst. Doch JESUS selbst hat ihnen gezeigt, dass mit dem Glauben an GOTT nichts unmöglich ist… Aber da war – und ist – nicht nur der Hunger nach materiellem Brot: da ist ein Hunger, der viel tiefer geht und den GOTT allein stillen kann. Auch die Menschen des 3. Jahrtausends sehnen sich nach einem ech­ten und erfüllten Leben, haben das tiefe Bedürfnis nach Wahrheit, Freiheit, ungeschuldeter Liebe. Auch in den Wüsten der säkularisierten Welt dürstet die Seele nach GOTT, dem lebendigen GOTT… Es gibt Regionen auf der Welt, die noch auf eine Erstevangelisierung warten; andere dagegen haben sie zwar erhalten, doch bedürfen einer Arbeit, die tiefer geht. In anderen Regionen wieder hat das Evangelium schon vor langer Zeit Wurzeln geschlagen und so eine wahre christliche Tradi­tion hervorgebracht, wo aber der Prozess der Säkularisierung in den letzten Jahrhunderten eine komplexe Dynamik in Gang gebracht und eine tiefe Krise ausgelöst hat, die den Sinn des christlichen Glaubens und die Zugehörigkeit zur Kirche in Frage stellt.

Von dieser Perspektive ausgehend, habe ich beschlossen, einen neuen Organismus in der Form eines ‚Päpstlichen Rates’ ins Leben zu rufen, dessen Hauptaufgabe es sein wird, in jenen Ländern eine neue Evangelisierung voranzutrei­ben, wo zwar schon eine erste Verkündigung des Glaubens erfolgte und es Kirchen alter Gründungen gibt, die aber eine fortschreitende Säkularisierung der Gesellschaft und eine Art ‚Finsternis des Sinnes für GOTT’ erleben. Diese Herausforde­rung drängt uns, geeignete Mittel zu finden, um die immerwäh­rende Wahrheit des Evangeliums CHRISTI erneut vorschlagen zu können…“

Predigt in der 1. Vesper von Peter und Paul, 28.6.2010

Schlimmer als Verfolgung

„Tatsächlich sehen wir, wenn wir an die 2000-jährige Kirchen­geschichte denken, dass – wie der HERR JESUS es angekün­digt hatte (vgl. Mt 10,16-33) – es den Christen nie an Prüfun­gen gefehlt hat, die zu manchen Zeiten und an manchen Or­ten wirklich den Charakter von Verfolgungen angenommen haben. Trotz der Leiden, die sie hervorrufen, stellen diese je­doch nicht die schlimmste Gefahr für die Kirche dar. Den größ­ten Schaden erleidet sie aus dem, was den Glauben und das christliche Leben ihrer Glieder und ihrer Gemeinschaf­ten verunreinigt und die Unversehrtheit des mystischen Leibes angreift, ihre prophetische Fähigkeiten und ihr Zeugnis schwächt und die Schönheit ihres Antlitzes trübt. Diese Wirklichkeit ist bereits in der paulinischen Briefsammlung bezeugt. Der Erste Brief an die Korinther zum Beispiel antwor­tet auf einige Probleme – Spaltungen, Inkonsequenz, Untreue gegenüber dem Evangelium –, die die Kirche ernsthaft bedro­hen. Aber auch im Zweiten Brief an Timotheus… ist von den Gefahren der ‚letzten Tage’ die Rede, die gleichgesetzt werden mit negativen weltlichen Verhaltensweisen, die sich auf die christliche Gemeinde übertragen können: Selbstsucht, Eitelkeit, Stolz, Habgier und so weiter (vgl. 3,1-5). Am Ende beruhigt uns der Apostel: Die Menschen, die Böses tun – so schreibt er – ‚ werden wenig Erfolg haben, denn ihr Unverstand wird allen offenkundig werden’ (3,9). Es gibt also eine Garantie der Frei­heit, die GOTT der Kirche zusichert, der Freiheit sowohl von materiellen Bindungen, die ihre Sendung zu behindern oder zu beschneiden suchen, als auch von geistlichen und sittlichen Übeln, die ihre Authentizität und ihre Glaubwürdigkeit angreifen können…

Auf geschichtlicher Ebene gewährleistet die Bindung an den Apostolischen Stuhl den Teilkirchen und Bischofskonferenzen die Freiheit gegenüber lokalen, nationalen oder überstaat­lichen Kräften, die in bestimmten Fällen die Sendung der Kirche behindern können. Darüber hinaus und noch grundle­gender ist das Petrusamt Garantie der Freiheit im Sinne der vollen Treue zur Wahrheit, zur authentischen Überliefe­rung, damit das GOTTESvolk vor Irrtümern in Bezug auf Glauben und Moral bewahrt wird… Das wird sehr deutlich im Falle von Kirchen, die Verfolgungen erleiden oder Einmischun­gen von Seiten der Politik oder die anderen harten Prüfungen unterworfen sind. Aber es ist nicht minder relevant im Falle von Gemeinschaften, die unter dem Einfluss von Irrlehren oder von politischen Tendenzen und Praktiken stehen, die dem Evange­lium widersprechen…

Noch einen letzten Hinweis möchte ich dem Wort GOTTES entnehmen, insbesondere der Zusicherung CHRISTI, dass die Mächte der Unterwelt Seine Kirche nicht überwältigen werden. Diese Worte können auch eine wichtige ökumenische Bedeu­tung haben, denn wie gesagt ist eine der charakteristischen Auswirkungen des Vorgehens des Bösen die Spaltung inner­halb der kirchlichen Gemeinschaft. Spaltungen sind nämlich Anzeichen für die Kraft der Sünde, die in den Gliedern der Kirche auch nach der Erlösung weiterwirkt. Aber das Wort CHRISTI ist deutlich: ‚Non praevalebunt – sie werden sie nicht überwältigen’ (Mt 16,18). Die Einheit der Kirche ist in ihrer Bindung an CHRISTUS verwurzelt, und das Anliegen der vollen Einheit der Christen – die von Generation zu Generation stets neu gesucht und erneuert werden muss – wird auch von Seinem Gebet und Seiner Zusicherung gestützt. Im Kampf gegen den Geist des Bösen hat uns GOTT in JESUS den ‚An­walt’, den Verteidiger geschenkt und nach Seinem Ostern ‚einen anderen Beistand’ (vgl. Joh 14,16), den HL. GEIST, der für immer bei uns bleiben und die Kirche in die ganze Wahrheit führen wird (vgl. Joh 14,16; 16,13), die auch die ganze Liebe und die ganze Einheit ist…“

Predigt am Hochfest Peter und Paul, 29.6.2010

Hoffnung und Freude

„… Mit diesem Begriff des ‚Himmels’ wollen wir sagen, dass uns GOTT, der GOTT, der uns nahe geworden ist, nicht einmal im Tod und jenseits des Todes verlässt, sondern einen Platz für uns hat und uns die Ewigkeit schenkt, wir wollen sagen, dass es in GOTT einen Platz für uns gibt… Der Mensch JESUS, der gleichzeitig GOTT ist, ist für uns die Gewährleis­tung dessen, dass Mensch-Sein und GOTT-Sein auf ewig mit­einander existieren und leben können. Das will heißen, dass von einem jeden von uns nicht nur ein Teil fortbestehen wird, der uns sozusagen entrissen worden ist, während andere Teile vergehen; es will vielmehr besagen, dass GOTT den ganzen Menschen, der wir sind, kennt und liebt… Der ganze Mensch, sein ganzes Leben wird von  GOTT genommen und empfängt – in Ihm gereinigt – die Ewigkeit.

Liebe Freunde, ich denke, dass dies eine Wahrheit ist, die uns mit tiefer Freude erfüllen muss. Das Christentum verkündet nicht nur irgendein Heil der Seele in einem nicht weiter be­stimmten Jenseits, in dem alles, was in dieser Welt kostbar und teuer gewesen ist, ausgelöscht werden würde, sondern es verheißt das ewige Leben, ‚das Leben der kommenden Welt’: Nichts von dem, was uns kostbar und teuer ist, wird ver­gehen, sondern es wird Fülle in GOTT finden. Alle Haare auf unserem Kopf sind gezählt, sagt JESUS eines Tages (vgl. Mt 10,30). Die endgültige Welt wird auch die Vollendung dieser Erde sein, wie der hl. Paulus sagt: ‚Auch die Schöpfung soll von der Sklaverei und Verlorenheit befreit werden zur Freiheit und Herrlichkeit der Kinder GOTTES’ (Röm 8,21). So ist zu verstehen, wie das Christentum eine starke Hoffnung auf eine lichtvolle Zukunft schenkt und einen Weg zur Verwirklichung dieser Zukunft auftut. Gerade als Christen sind wir dazu beru­fen, diese neue Welt zu errichten, zu arbeiten, damit sie eines Tages die ‚Welt GOTTES’ werde, eine Welt, die über all das hinausgehen wird, was wir errichten könnten. In der in den Himmel aufgenommenen Jungfrau Maria, die gänzlich der Auferstehung des Sohnes teilhaftig ist, betrachten wir die Ver­wirklichung des menschlichen Geschöpfes nach der ‚Welt GOTTES’. Beten wir zum HERRN, dass Er uns begreifen lasse, wie kostbar in Seinen Augen unser ganzes Leben ist; Er stärke unseren Glauben an das ewige Leben; Er lasse uns Menschen der Hoffnung sein, die für den Aufbau einer Welt wirken, die offen ist für GOTT, Menschen voller Freude, die es verstehen, die Schönheit der künftigen Welt inmitten der Mühen des alltäglichen Lebens zu erkennen, und die in dieser Gewissheit leben, glauben und hoffen.“

Predigt am Hochfest der Aufnahme Mariens in den Himmel, Castel Gandolfo, 15.8.2010

Der Märtyrer ist im höchsten Maße frei

Worauf gründet das Martyrium? Die Antwort ist einfach: auf dem Tod CHRISTI, auf Seinem höchsten Opfer der Liebe, das am Kreuz vollzogen wurde, damit wir das Leben haben (vgl. Joh 10,10)… Er ermahnt Seine Jünger, einen jeden von uns, täglich das eigene Kreuz auf sich zu nehmen und Ihm nachzu­folgen auf dem Weg der vollkommenen Liebe zu GOTT, dem VATER, und zur Menschheit…(vgl. Mt 10,38-39). Es ist die Logik des Weizenkorns, das stirbt, um aufzukeimen und Leben zu bringen (vgl. Joh 12,24). JESUS selbst ‚ist das von GOTT gekommene Weizenkorn, das GÖTTliche Weizenkorn, das sich in die Erde hineinfallen lässt, das sich aufreißen, aufbre­chen lässt im Tode und gerade dadurch offen wird und so in die Weite der Welt hinein Frucht bringen kann’… Der Märtyrer folgt dem HERRN bis zum Äußersten, in der freien An­nahme des Todes für das Heil der Welt, als höchsten Er­weis des Glaubens und der Liebe (vgl. Lumen gentium, 42).

Woher kommt wiederum die Kraft, das Martyrium auf sich zu nehmen? Aus der tiefen und innigen Vereinigung mit CHRISTUS, denn das Martyrium und die Berufung zum Martyrium sind nicht das Ergebnis menschlicher Anstren­gungen, sondern sie sind die Antwort auf eine Initiative und auf einen Ruf GOTTES; sie sind ein Geschenk Seiner Gnade, das dazu befähigt, aus Liebe zu CHRISTUS und zur Kirche und damit zur Welt das eigene Leben hinzugeben. Wenn wir die Lebensbeschreibungen der Märtyrer lesen, sind wir erstaunt über die innere Ruhe und den Mut, mit denen sie Leiden und Tod auf sich nehmen: Die Kraft GOTTES erweist sich in ganzer Fülle in der Schwachheit, in der Armut dessen, der sich Ihm anvertraut und seine Hoffnung nur auf Ihn setzt (vgl. 2 Kor 12,9). Es ist jedoch wichtig hervorzuheben, dass die Gnade GOTTES die Freiheit dessen, der das Martyrium auf sich nimmt, nicht unterdrückt oder erstickt, sondern sie im Ge­genteil bereichert und verherrlicht. Der Märtyrer ist ein Mensch, der in höchstem Maße frei ist – frei gegenüber der Macht, der Welt: ein freier Mensch, der in einem einzigen endgültigen Akt GOTT sein ganzes Leben hingibt und sich im höchsten Akt des Glaubens, der Hoffnung und der Liebe den Händen seines Schöpfers und Erlösers über­lässt; er opfert sein eigenes Leben, um am Opfer CHRISTI am Kreuz vollkommen teilzuhaben. Kurz gesagt, das Martyrium ist ein großer Akt der Liebe als Antwort auf die unermessliche Liebe GOTTES.

Liebe Brüder und Schwestern, wie ich am vergangenen Mitt­woch gesagt habe, sind wir wahrscheinlich nicht zum Martyrium berufen, aber niemand von uns ist ausgeschlossen vom GÖTTlichen Ruf zur Heiligkeit, zu einem in hohem Maße christlichen Leben, und dazu gehört, das tägliche Kreuz auf sich zu nehmen. Besonders in unserer Zeit, in der Egoismus und Individualismus die Oberhand zu haben scheinen, müssen wir alle es als unsere erste und grundlegende Pflicht betrach­ten, jeden Tag in der größeren Liebe zu GOTT und zu den Brüdern zu wachsen, um unser Leben zu verwandeln und so auch unsere Welt zu verwandeln. Durch die Fürsprache der Heiligen und der Märtyrer bitten wir den HERRN, unser Herz zu entflammen, um fähig zu sein, so zu lieben wie Er einen jeden von uns geliebt hat.“

Generalaudienz in Castel Gandolfo, 11.8.2010

Die Freude des Glaubens mit anderen teilen

„Ich vertraue darauf, dass auf dem Kongress betont werden wird, dass das Leben und die Berufung des Christen in erster Linie und vor allem als eine Quelle höchster Freude betrachtet werden sollte und als ein Geschenk, das mit anderen geteilt werden muss. Jeder Katholik sollte in der Lage sein, mit dem Apostel Paulus zu sagen: ‚Für mich ist CHRISTUS das Leben’ (Phil 1,21). Alle, die in JESUS die Wahrheit, die Freude und die Schönheit gefunden haben, die ihrem Leben Sinn und Orientierung geben, haben den natürlichen Wunsch, diese Gnade weiterzugeben. Ohne vor Schwierigkeiten und vor dem ungeheuren Ausmaß der Auf­gabe, die sich ihnen stellt, zurückzuschrecken, vertrauen sie auf die geheimnisvolle Gegenwart des HL. GEISTES, der stets im Herzen der Menschen wirkt…“

Botschaft an den Kongress der kath. Laien in Asien, 10.8.2010

Eine attraktive Kirche ist auf dem falschen Weg

[Auf Journalistenfrage im Flug von Rom nach Edinburgh: „Kann man etwas tun, um die Kirche als Institution auch glaubwürdi­ger und anziehender für alle zu machen?] „Ich würde sagen, dass eine Kirche, die vor allem versucht, attraktiv zu sein, schon auf dem falschen Weg ist. Denn die Kirche arbeitet nicht für sich, sie arbeitet nicht dafür, ihre Mitgliedszahlen und damit die eigene Macht zu vergrößern. Die Kirche steht im Dienst eines Anderen, sie dient nicht sich selbst, um stark zu sein, sondern sie dient dazu, die Verkündigung JESU CHRISTI zugänglich zu machen, die großen Wahrheiten, die großen Kräfte der Liebe, der Versöhnung, die in dieser Gestalt sichtbar geworden sind und die immer von der Gegenwart JESU ausgehen. In dieser Hinsicht sucht die Kirche nicht die eigene Attraktivität, sondern sie muss für JESUS CHRISTUS transparent sein. Und in dem Maß, in dem sie nicht für sich selbst steht, als starke und mächtige Körperschaft in der Welt, die ihre Macht haben will, sondern indem sie sich bloß zur Stimme eines Anderen macht, wird sie wirklich Transparenz für die große Gestalt CHRISTI und für die gro­ßen Wahrheiten, die Er der Menschheit gebracht hat, die Kraft der Liebe: dann hört man auf die Kirche und nimmt sie an. Sie sollte nicht sich selbst betrachten, sondern eine Hilfe sein, Ihn, den Anderen, zu betrachten, und sie sollte selbst den Anderen sehen, vom Anderen und für Ihn sprechen…“

Interview 16.9.2010

Die Gesellschaft braucht klare Stimmen

„Die Evangelisierung der Kultur ist umso wichtiger in unserer Zeit, in der eine ‚Diktatur des Relativismus’ droht, die unver­änderliche Wahrheit über das Wesen des Menschen, seine Bestimmung und sein höchstes Gut zu verdunkeln. Es gibt jetzt Bestrebungen, den religiösen Glauben aus dem öf­fentlichen Diskurs auszuschließen, ihn zu privatisieren oder ihn sogar als Bedrohung der Gleichheit und der Frei­heit darzustellen. Tatsächlich aber ist Religion eine Garantie für echte Freiheit und Achtung, da sie uns dazu führt, jeden Menschen als Bruder oder Schwester zu betrachten. Aus die­sem Grund appelliere ich besonders an euch gläubige Laien, entsprechend eurer in der Taufe begründeten Berufung und Sendung nicht nur öffentlich Vorbilder im Glauben zu sein, sondern euch auch für die Förderung der Weisheit und der Sichtweise des Glaubens in der Öffentlichkeit einzusetzen. Die Gesellschaft braucht heute klare Stimmen, die unser Recht betonen, nicht in einem Dschungel selbstzerstöreri­scher und willkürlicher Freiheiten zu leben, sondern in einer Gesellschaft, die für das wahre Wohl ihrer Bürger sorgt und ihnen angesichts ihrer Schwäche und Unsicherheit Wegwei­sung und Schutz bietet. Habt keine Angst, diesen Dienst an euren Brüdern und Schwestern wie auch für die Zukunft eurer geliebten Nation auf euch zu nehmen. Der hl. Ninian, dessen Fest wir heute feiern, fürchtete sich nicht, eine einsame Stimme zu sein…

Zum Schluss möchte ich noch ein Wort an euch, liebe junge Katholiken Schottlands, richten. Ich möchte euch dringend ans Herz legen, ein Leben zu führen, das des HERRN (vgl. Eph 4,1) und euer selbst würdig ist. Viele Versuchungen ste­hen euch Tag um Tag vor Augen – Drogen, Geld, Sex, Por­nographie, Alkohol –, von denen die Welt euch vorgaukelt, sie brächten Glück, doch diese Dinge sind zerstörerisch und zwiespältig. Nur eines ist dauerhaft: die Liebe, die JESUS CHRISTUS persönlich zu einem jeden von euch hat. Sucht Ihn, lernt Ihn kennen und liebt Ihn, dann wird Er euch be­freien von der Sklaverei gegenüber der verlockenden, aber oberflächlichen Existenz, für die die heutige Gesellschaft so häufig wirbt. Legt ab, was wertlos ist, und lernt von eurer eigenen Würde als Kinder GOTTES…“

Predigt bei der hl. Messe in Glasgow, 16.9.2010

Mit den eigenen Opfern
in das ewige Opfer CHRISTI einbezogen

„Der Besucher dieser Kathedrale kann gar nicht unbeeindruckt bleiben von dem großen, das Kirchenschiff beherrschenden Kruzifix, das CHRISTI vom Leiden ausgemergelten und vom Kummer überwältigten Leib darstellt – das unschuldige Opfer, das uns mit dem VATER versöhnt hat und uns teilhaben lässt am Leben GOTTES selbst… So möchte ich, sozusagen im Schatten dieses eindrucksvollen Bildes, das Wort GOTTES betrachten… und über das Geheimnis des Kostbaren Blutes nachdenken… CHRISTI Blutvergießen ist die Quelle des Le­bens der Kirche… Das eucharistische Opfer des Leibes und Blutes CHRISTI schließt wiederum das Geheimnis der fortwäh­renden Passion unseres HERRN in den Gliedern Seines mysti­schen Leibes, der Kirche aller Zeiten, ein. Hier dient uns das große Kruzifix, das hoch über uns aufragt, als Erinnerung dar­an, dass CHRISTUS, unser ewiger Hoherpriester, täglich unsere eigenen Opfer, unsere persönlichen Leiden, unsere Nöte, Hoffnungen und Wünsche mit den unendlichen Ver­diensten Seines Opfers vereint. Durch Ihn, mit Ihm und in Ihm erheben wir unseren eigenen Leib als ein heiliges Opfer, das GOTT gefällt (vgl. Röm 12,1). Auf diese Weise werden wir in Sein ewiges Opfer einbezogen und ergänzen, wie der hl. Paulus sagt, in unserem irdischen Leben das, was an den Leiden CHRISTI für das Heil Seines Leibes, der Kirche, noch fehlt (vgl. Kol 1,24). Im Leben der Kirche, in ihren Prob­lemen und Sorgen, ist CHRISTUS weiterhin – um die starke Formulierung Pascals zu gebrauchen – in Agonie bis zum Ende der Welt (Pensées, 553).

Dieser Aspekt des Geheimnisses des Kostbaren Blutes CHRISTI steht uns am deutlichsten vor Augen in den Märty­rern aller Zeiten, die den Kelch tranken, den CHRISTUS selbst getrunken hat, und deren Blut in Einheit mit Seinem Opfer der Kirche neues Leben verleiht. Er spiegelt sich auch wider in unseren Brüdern und Schwestern in aller Welt, die gerade jetzt um ihres christlichen Glaubens willen Diskriminie­rung und Verfolgung erleiden. Aber Er ist ebenfalls gegenwär­tig, wenn auch oft verborgen, im Leiden all jener einzelnen Christen, die täglich ihre Opfer mit dem HERRN verbinden für die Heiligkeit der Kirche und die Erlösung der Welt…

Liebe Freunde, kehren wir zur Betrachtung des großen Kruzifi­xes zurück… Die am Kreuz ausgestreckten Hände unseres HERRN laden uns auch ein, unsere Teilhabe an Seinem ewi­gen Priestertum zu betrachten und von daher unsere Verant­wortung zu sehen, als Glieder Seines Leibes die versöhnende Kraft Seines Opfers in die Welt zu tragen, in der wir leben… Mögen die tiefen Gedanken dieses großen Engländers [John Henry Newman] weiterhin alle, die in diesem Land CHRISTUS nachfolgen, dazu inspirieren, ihr ganzes Denken, Reden und Tun CHRISTUS anzugleichen. Das bedeutet auch, sich mit aller Kraft der Verteidigung jener unveränderlichen morali­schen Wahrheiten einzusetzen, die vom Evangelium auf­gegriffen, erleuchtet und bestätigt werden und als Grund­sätze an der Basis einer wirklich menschlichen, gerechten und freien Gesellschaft stehen.

Wie sehr braucht die aktuelle Gesellschaft dieses Zeugnis! Wie sehr brauchen wir in der Kirche und in der Gesellschaft Zeug­nisse für die Schönheit der Heiligkeit, Zeugnisse für den Glanz der Wahrheit, Zeugnisse für die aus einer lebendigen Bezie­hung zu CHRISTUS entspringende Freude und Freiheit!…

Hl. Messe in der Westminster-Kathedrale, London, 18.9.2010

Wallfahrtsorte mit Ehrfurcht, Respekt und Anstand betreten

„In unserer Zeit, in der wir, mehr denn je, aufgerufen sind, die Welt zu evangelisieren, kann der Reichtum, der aus Wallfahr­ten zu heiligen Stätten erwächst, nicht genug betont werden. An erster Stelle wegen ihrer großen Anziehungskraft, die sie auf eine wachsende Zahl von Gläubigen und religiösen Tou­risten ausüben, von denen sich einige nicht selten in einer schwierigen menschlichen und spirituellen Situation befinden, einer gelebten Glaubenspraxis fern stehen und ein schwach ausgeprägtes Zugehörigkeitsgefühl zur Kirche haben. An sie alle wendet sich CHRISTUS voll Liebe und Hoffnung. Der Wunsch nach Glück, der in der Seele des Menschen wohnt, findet in Ihm eine Antwort, mit Ihm erhält das menschliche Leiden einen Sinn… So wie Simeon CHRISTUS im Tempel begegnete, muss auch der Pilger die Möglichkeit haben, den HERRN an den heiligen Stätten zu entdecken.

Zu diesem Zweck soll dafür Sorge getragen werden, dass die Besucher nie vergessen, dass Wallfahrtsorte heilige Orte sind, damit sie sie mit Ehrfurcht, Respekt und Anstand be­treten. In dieser Weise kann das Wort CHRISTI, des lebendi­gen SOHNES GOTTES, in Klarheit erklingen und die Ge­schichte von Seinem Tod und von Seiner Auferstehung, dem Fundament unseres Glaubens, in seiner ganzen Fülle verkün­det werden. Besondere Sorge muss andererseits der Auf­nahme der Pilger gewidmet werden, wobei, unter anderem, die Würde und Schönheit des Heiligtums als Abbild der ‚Wohnung GOTTES unter den Menschen’ (Offb 21,3) betont werden sollte… Gleicherweise wird man nie genug betonen können, dass die Wallfahrtsorte Leuchttürme der Nächstenliebe sein sollen…, dass man ganz besonders dafür sorgen soll, dass die Gläubigen das Sakrament der Versöhnung empfangen und in würdevoller Weise an der Eucharistiefeier teilnehmen können, welche Mittelpunkt und Höhepunkt der gesamten Seelsorgetä­tigkeit an einem Wallfahrtsort ist…“

Botschaft an den 2. Weltkongress der Wallfahrtsseelsorge, 8.9.2010

Die falschen Götter stürzen

„Am 11. Oktober 1962… eröffnete Papst Johannes XXIII. das 2. Vatikanische Konzil. Am 11. Oktober wurde damals das Fest der GOTTESmutterschaft Mariens gefeiert… Auch wir beginnen an einem 11. Oktober, auch wir wollen diese Synode mit allen ihren Problemen, mit allen ihren Herausforde­rungen und mit allen ihren Hoffnungen dem mütterlichen Her­zen der GOTTESmutter anvertrauen…

Das Konzil begann mit dem Bild der „Theotókos“. Am Ende erkennt Papst Paul VI. der GOTTESmutter den Titel ‚Mater Ecclesiae’ zu. Und diese beiden Bilder… sind eng miteinander verknüpft… Denn CHRISTUS ist nicht als Mensch unter vielen geboren. Er ist geboren, um sich einen Leib zu schaffen: Er ist geboren – wie Johannes im 12. Kapitel seines Evangeliums sagt –, um alle an sich zu ziehen… Die Mutter des `Theós’, die Mutter GOTTES, ist Mutter der Kirche, weil sie die Mutter dessen ist, der gekommen ist, um uns alle in Seinem auferstandenen Leib zu vereinen…

Unter Berücksichtigung dieses Zusammenhangs zwischen ‚Theotókos’ und ‚Mater Ecclesiae’ richtet sich unser Blick auf das letzte Buch der Hl. Schrift, auf die Offenbarung, wo im 12. Kapitel eben diese Synthese aufgeführt wird. Die mit der Sonne bekleidete Frau… kommt nieder… Sie gebiert unter großen Schmerzen. Hier ist das marianische Geheimnis, das auf das kosmische Geheimnis hin ausgeweitete Geheimnis von Beth­lehem. CHRISTUS wird immer von neuem in allen Generatio­nen geboren und nimmt so die Menschheit an, nimmt sie in sich auf. Und diese kosmische Geburt wird verwirklicht im Schrei am Kreuz, im Schmerz der Passion. Und zu diesem Schrei am Kreuz gehört das Blut der Märtyrer.

So können wir in diesem Moment einen Blick auf den 2. Psalm dieser mittleren Hore werfen, Psalm 81, wo ein Teil dieses Prozesses sichtbar wird. GOTT steht unter den Göttern, die in Israel noch als Götter betrachtet werden. In diesem Psalm wird in einer äußerst konzentrierten Form, in einer prophetischen Vision die Entmachtung der Götter sichtbar. Diejenigen, die Götter schienen, sind keine Götter und verlieren ihren gött­lichen Charakter, sie stürzen… Dieser Prozess, der im Laufe des langen Glaubensweges Israels erfolgt und der hier in einer einzigen Vision zusammengefasst wird, ist ein wah­rer Prozess der Religionsgeschichte: der Sturz der Götter. Und so ist die Verwandlung der Welt, die Erkenntnis des wah­ren GOTTES, die Entmachtung der Mächte, die die Erde be­herrschen, ein schmerzhafter Prozess. In der Geschichte Isra­els sehen wir, wie diese Befreiung vom Polytheismus, diese Erkenntnis – ‚nur Er ist GOTT’ – sich unter vielen Schmerzen verwirklicht, angefangen vom Weg Abrahams, dem Exil, den Makkabäern, bis hin zu CHRISTUS. Und in der Geschichte hält dieser Prozess der Entmachtung an, über den die Offenbarung im 12. Kapitel spricht; sie spricht vom Fall der Engel, die keine Engel, keine Götter auf der Erde sind. Und er wird gerade in der Zeit der entstehenden Kirche Wirklichkeit, wo wir sehen, wie mit dem Blut der Märtyrer die Götter entmachtet werden, alle diese Gottheiten, angefangen beim göttlichen Kaiser. Es ist das Blut der Märtyrer, der Schmerz, der Schrei der Mut­ter Kirche, der sie stürzen lässt und so die Welt verwandelt.

Dieser Sturz ist nicht nur die Erkenntnis, dass sie nicht Gott sind. Es ist der Prozess der Verwandlung der Welt, der mit Blut bezahlt wird, der mit dem Leiden der Zeugen CHRISTI bezahlt wird. Und wenn wir genau hinschauen, sehen wir, dass dieser Prozess niemals zu Ende ist… Denken wir an die großen Mächte der heutigen Geschichte, denken wir an das anonyme Kapital, das den Menschen versklavt, das nichts zum Menschen Gehörendes mehr ist, sondern eine anonyme Macht, der die Menschen dienen, von der die Menschen ge­quält und sogar zerstört werden. Es handelt sich um eine zer­störerische Macht, die die Welt bedroht. Und dann die Macht der terroristischen Ideologien. Scheinbar im Namen GOTTES wird Gewalt verübt, doch es ist nicht GOTT: es sind falsche Götter, die entlarvt werden müssen, die nicht Gott sind. Und dann die Drogen, diese Macht, die wie eine gefräßige Bestie ihre Klauen auf alle Teile der Erde ausstreckt und Zer­störung bringt: sie sind eine Gottheit, aber eine falsche Gott­heit, die stürzen muss. Oder auch die von der öffentlichen Meinung propagierte Lebensweise: heute macht man das so, die Ehe zählt nicht mehr, die Keuschheit ist keine Tugend mehr und so weiter. Diese herrschenden Ideologien, die sich mit Macht aufdrängen, sind Götter. Und im Schmerz der Heiligen, im Schmerz der Gläubigen, der Mutter Kirche, zu der wir gehören, müssen diese Götter stürzen, muss sich das ver­wirklichen, was die Briefe an die Kolosser und an die Epheser sagen: die Herrschaften, die Mächte stürzen und werden Un­tertanen des einen HERRN JESUS CHRISTUS.

Über diesen Kampf, in dem wir uns befinden, über diese Ent­machtung der Götter, über diesen Sturz der falschen Götter, die stürzen, weil sie keine Götter sind, sondern Mächte, die die Welt zerstören, spricht die Offenbarung im 12. Kapitel – eben­falls mit einem geheimnisvollen Bild, für das es jedoch, so scheint mir, verschiedene schöne Interpretationen gibt. Es heißt, dass der Drache der fliehenden Frau einen Strom von Wasser hinterherschickt, der sie fortreißen soll. Und es scheint unabwendbar, dass die Frau in diesem Strom umkommt. Doch die gute Erde verschlingt diesen Strom, und er kann keinen Schaden mehr anrichten.

Ich denke, dass der Strom leicht zu deuten ist: es handelt sich um jene Strömungen, die alle beherrschen und die den Glauben der Kirche verschwinden lassen wollen, für den kein Platz mehr zu sein scheint vor der Macht dieser Strö­mungen, die sich als einzige Vernünftigkeit aufdrängen, als einzige Lebensweise. Und die Erde, die diese Strömungen absorbiert, ist der Glaube der einfachen Menschen, der sich nicht von diesen Strömen fortreißen lässt, und die Mutter und den Sohn rettet. Daher heißt es im Psalm, im 1. Psalm der mittleren Hore: ‚Der Glaube der einfachen Menschen ist die wahre Weisheit’ (vgl. Ps 118,130). Diese wahre Weisheit des einfachen Glaubens, der sich nicht von den Strömen ver­schlingen lässt, ist die Kraft der Kirche. Und so sind wir wieder beim marianischen Geheimnis angelangt.

Und es gibt noch ein letztes Wort im Psalm 81…: alle Grund­festen der Erde wanken. Das sehen wir heute, mit den klima­tischen Problemen, wie die Grundfesten der Erde bedroht sind, doch sie werden durch unser Verhalten bedroht. Die äußeren Grundfesten wanken, weil die inneren Grundfesten wanken, die moralischen und die religiösen Fundamente, der Glau­be, aus dem sich die rechte Art zu leben ergibt. Und wir wis­sen, dass der Glaube das Fundament ist, und dass schließlich die Grundfesten der Erde nicht wanken können, wenn der Glaube fest bleibt, die wahre Weisheit…“

Meditation während der 1. Sitzung der Bischofssynode
für den Nahen Osten, 11.10.2010

Das unschätzbare Geschenk GOTTES teilen

„Überall und immer hat die Kirche die Pflicht, das Evangelium JESU CHRISTI zu verkünden… Diese Sendung hat in der Ge­schichte je nach den Orten, Situationen und historischen Um­ständen immer wieder neue Formen und Modalitäten ange­nommen. In unserer Zeit ist eines ihrer ungewöhnlichen Merk­male das Sich-Messen mit dem Phänomen der Abkehr vom Glauben gewesen, was zunehmend in Gesellschaften und Kul­turen deutlich geworden ist, die seit Jahrhunderten vom Evan­gelium geprägt schienen. Die gesellschaftlichen Verände­rungen, die wir in den letzten Jahrzehnten miterlebt haben, haben komplexe Ursachen… Das alles ist auch für die religiöse Dimension des Lebens des Menschen nicht ohne Konsequen­zen geblieben… (Es) hat sich… ein besorgniserregender Verlust des Sinnes für das Heilige gezeigt, was sogar zur Infragestellung jener Fundamente geführt hat, die unan­fechtbar zu sein schienen, wie der Glaube an GOTT, den Schöpfer und Erhalter, die Offenbarung JESU CHRISTI als des einzigen Erlösers und das gemeinsame Verständnis der Grunderfahrungen des Menschen, wie Geborenwerden, Ster­ben, das Leben in einer Familie und der Bezug zum natürlichen Sittengesetz…

Indem ich die Sorge meiner verehrten Vorgänger annehme, halte ich es für angebracht, angemessene Antworten anzu­bieten, damit sich die ganze Kirche, indem sie sich von der Kraft des HL. GEISTES neu beleben lässt, der heutigen Welt mit einem missionarischen Elan zeigt, um eine neue Evangelisierung zu fördern

Wie ich es in meiner ersten Enzyklika DEUS caritas est aus­geführt habe: ‚Am Anfang des Christseins steht nicht ein ethi­scher Entschluss oder eine große Idee, sondern die Begegnung mit einem Ereignis, mit einer Person, die unserem Leben einen neuen Horizont und damit seine entscheidende Richtung gibt’ (Nr. 1). Ähnlich steht am Anfang jeder Evangelisierung kein menschliches Expansionsvorhaben, sondern vielmehr der Wunsch, das unschätzbare Geschenk zu teilen, das GOTT uns machen wollte, indem Er uns an Seinem eigenen Leben teilhaben ließ…“

Aus dem Motuproprio „Ubicumque et semper“ zur Errichtung des Pp. Rates zur Förderung der Neuevangelisierung, 13.10.2010

 

 

 

 

2. Soziale Themen

 

Christentum: Ursprung der ererbten Werte Europas

„… Ist die Befreiung von totalitären Ideologien nicht einseitig für das Herbeiführen des wirtschaftlichen Fortschritts be­nutzt worden, auf Kosten einer menschlicheren Entwicklung, welche die Würde und den Rang des Menschen achtet, und hat sie nicht manchmal den geistlichen Reichtum missach­tet, der die europäische Identität gestaltet hat?…

Die Wirtschafts- und die Finanzwelt sind kein Selbstzweck, sondern nur ein Werkzeug, ein Hilfsmittel. Ihr einziges Ziel ist die menschliche Person und ihre volle Erfüllung in Würde. Dies ist das einzige Kapital, das es zu bewahren gilt. Und in diesem Kapital findet sich die geistliche Dimension des Men­schen. Das Christentum hat dem Kontinent Europa ermöglicht zu verstehen, was Freiheit, Verantwortung und Ethik bedeuten, die seine Gesetze und seine gesellschaftlichen Strukturen prägen. Das Christentum an den Rand zu drängen – auch durch den Ausschluss der Symbole, die es zum Ausdruck brin­gen –, würde dazu beitragen, unserem Kontinent seine fundamentale Quelle zu nehmen, die ihn unablässig nährt und zu seiner wahren Identität beiträgt. Tatsächlich ist das Christentum der Ursprung der ‚geistlichen und moralischen Werte, die das allgemeine Erbe der europäischen Völker dar­stellen’, Werte, an denen die Mitgliedstaaten des Europarats entschlossen festhalten wollen, wie sie in der Präambel des Statuts des Europarats zum Ausdruck bringen. Das Festhalten an diesen Werten, das in der Warschauer Erklärung des Jah­res 2005 nochmals bekräftigt worden ist, verankert die Grund­sätze, auf denen das politische und soziale Leben Europas und vor allem die Tätigkeit des Europarats basieren, und gewähr­leistet deren Vitalität…“

Audienz für die Mitglieder der Entwicklungsbank
des Europarats, 12.6.2010

Gemeinsame Werte, Rechte und Prinzipien

„… Bei verschiedenen Gelegenheiten habe ich auf die Gefah­ren hingewiesen, die mit dem Relativismus im Bereich der Werte, Rechte und Pflichten verbunden sind. Wenn diese einer objektiven rationalen Grundlage entbehrten, die allen Menschen gemeinsam ist, und ausschließlich auf einzelnen Kulturen, legislativen Entscheidungen oder Gerichtsurteilen gründeten, wie könnten sie dann eine feste und dauerhafte Grundlage für übernationale Einrichtungen wie den Europarat sowie für Ihre eigene Aufgabe in dieser angesehenen Ein­richtung bieten? Wie könnte ein fruchtbarer Dialog zwischen den Kulturen stattfinden ohne gemeinsame Werte, Rechte und tragfähige universale Prinzipien, die von allen Mitgliedsstaaten des Europarates in gleicher Weise verstanden werden? Diese Werte, Rechte und Pflichten sind in der natürlichen Würde eines jeden Menschen verankert, was mit der menschlichen Vernunft erfassbar ist. Der christliche Glaube behindert diese Suche nicht, sondern fördert sie und ist eine Ein­ladung,, nach einer übernatürlichen Grundlage dieser Wür­de zu suchen. Ich bin überzeugt, dass diese Prinzipien, die treu aufrechterhalten werden müssen – vor allem dann, wenn es um das menschliche Leben geht, von der Empfängnis bis zum natürlichen Tod, um die Ehe, die in der ausschließlichen und unauflöslichen Selbsthingabe zwischen einem Mann und einer Frau wurzelt, sowie um Reli­gionsfreiheit und Erziehung –, notwendige Voraussetzungen sind, wenn wir angemessen antworten wollen auf die entschei­denden und dringenden Herausforderungen, die die Ge­schichte einem jeden von Ihnen stellt…“

Audienz für die Mitglieder der Parlamentarischen Versammlung des Europarates, 8.9.2010

Mahnungen an Deutschland

„An diesen Märtyrern [Gerhard Hirschfelder, Seligsprechung in Münster 19.9.; Georg Häfner in Würzburg, Johannes Prassek, Hermann Lange und Eduard Müller in Lübeck, Seligsprechung im nächsten Jahr…] wird exemplarisch deutlich, wie Menschen aus ihrer christlichen Überzeugung heraus für den Glauben, für das Recht der ungehinderten Religionsaus­übung und der freien Meinungsäußerung, für Frieden in Freiheit und für die Menschenwürde ihr Leben hinzugeben bereit sind. Heute leben wir glücklicherweise in einer freien und demokratischen Gesellschaft. Zugleich bemerken wir bei vielen Zeitgenossen, eine weitaus geringere religiöse Bindung, als es bei diesen Glaubenszeugen der Fall war. Man mag sich fragen, ob es auch heute noch Christen gibt, die mit einer solchen Kompromisslosigkeit für ihren Glauben eintreten. Viele Menschen sind wohl eher geneigt, nachgiebigeren religi­ösen Auffassungen auch für sich selbst Raum zu geben. An die Stelle des personalen GOTTES des Christentums, der sich in der Bibel offenbart, tritt ein geheimnisvolles und unbestimmtes Höheres Wesen, das nur eine vage Beziehung zum persön­lichen Leben des Menschen hat.

Diese Auffassungen prägen zunehmend den gesellschaftlichen Diskurs, die Rechtsprechung und die Gesetzgebung. Wenn man aber den Glauben an GOTT als Person aufgibt, dann ist die Alternative ein ‚Gott’, der nicht erkennt, nicht hört und nicht spricht. Und er hat erst recht keinen Willen. Wenn Gott keinen Willen hat, dann ist Gut und Böse letztlich nicht mehr zu unterscheiden. Gut und Böse stehen nicht mehr im Widerspruch zueinander, sondern sind nur ein Gegensatz, in dem beide Elemente komplementär sind. Den Menschen geht damit die moralische und geistige Kraft verloren, die für eine ganzheitliche personale Entwicklung notwendig ist. Das soziale Handeln wird mehr und mehr von privaten Interessen oder vom Machtkalkül bestimmt zum Schaden für die Gesellschaft. Wenn aber GOTT Person ist – und die Schöpfungsordnung wie auch die Präsenz von vielen gläubigen Christen in der Gesellschaft ist ein Indiz dafür –, dann ist damit eine in GOTT gegründete Werteordnung legitimiert. In jüngster Zeit gibt es Anzeichen, dass sich neue Beziehungen zwischen Staat und Religion jenseits der bisher bestimmenden großen christlichen Kirchen entwickeln. Den gläubigen Christen ist es in dieser Situation aufgetragen, diese Entwicklungen positiv und kritisch zu verfolgen und daher den Sinn zu schär­fen für die fundamentale und bleibende Bedeutung des Chris­tentums in der Grundlegung und Gestaltung unserer Kultur.

Mit Sorge sieht die Kirche allerdings die wachsende Ver­drängung des christlichen Verständnisses von Ehe und Familie aus dem gesellschaftlichen Bewusstsein. Die Ehe entfaltet sich als dauerhafte Liebesverbindung eines Mannes und einer Frau, die immer auch auf die Weitergabe mensch­lichen Lebens ausgerichtet ist. Eine Voraussetzung ist dabei die Bereitschaft der Partner, sich für immer aufeinander einzu­lassen. Dafür bedarf es einer gewissen Reife der Persönlichkeit und einer existentiellen und sozialen Grundhaltung, der ‚Kultur der Person’, wie es mein Vorgänger Papst Johannes Paul II. einmal genannt hat. Das Bestehen dieser Kultur der Person hängt auch von gesellschaftlichen Entwicklungen ab. Es kann geschehen, dass die Kultur der Person in einer Gesellschaft absinkt: nicht selten folgt dies paradoxerweise aus einem Wachstum des Lebensstandards. In der Vorbereitung und Begleitung der Ehepartner ist es notwendig, Rahmenbedingun­gen zu schaffen, um die Kultur der Person anzuheben und zur Entfaltung zu bringen. Zugleich sollten wir uns bewusst sein, dass das Schicksal der Ehen von uns allen abhängt, von der Kultur der Person jedes einzelnen Mitbürgers. In diesem Sinne kann die Kirche den Gesetzesinitiativen, die eine Aufwer­tung von alternativen Partnerschafts- und Familienmodel­len bedeuten, nicht zustimmen. Sie tragen zu einer Aufwei­chung naturrechtlicher Prinzipien und damit zur Relativie­rung der gesamten Gesetzgebung, aber auch zu einer Ver­schwommenheit der Wertvorstellungen in der Gesellschaft bei.

Es ist ein im Naturrecht verankerter Grundsatz des christlichen Glaubens, dass die menschliche Person gerade in der Situa­tion der Schwäche zu schützen ist. Der Mensch hat immer Vorrang gegenüber anderen Zwecken. Die neuen Möglich­keiten von Biotechnologie und Medizin führen uns hier oft in komplexe Situationen, die einer Wanderung auf schmalem Grad gleichen. Wir haben die Pflicht, genau zu prüfen, wo solche Verfahren eine Hilfe für den Menschen sein können und wo es um Manipulation des Menschen, um eine Verletzung seiner Integrität und Würde geht. Wir können uns diesen Entwicklungen nicht verweigern, müssen aber sehr wachsam sein. Wenn man einmal damit beginnt, und oft geschieht dies schon im Mutterleib, zwischen lebenswertem und lebens­unwertem Leben zu unterscheiden, wird keine andere Le­bensphase ausgespart bleiben, gerade auch Alter und Krank­heit nicht.

Der Aufbau einer menschlichen Gemeinschaft erfordert die Treue zur Wahrheit…“

Ansprache an den neuen deutschen Botschafter, 13.9.2010

Verantwortung Englands

„Wenn wir über die nüchternen Lektionen des atheistischen Extremismus des 20. Jahrhunderts nachdenken, wollen wir nicht vergessen, wie der Ausschluss von GOTT, Religion und Tugend aus dem öffentlichen Leben uns letztlich zu einer ver­kürzten Vision des Menschen und der Gesellschaft führt und damit zu einer ‚herabwürdigenden Sicht des Menschen und seiner Bestimmung’ (Caritas in veritate, 29)…

Ihre Regierung und Ihr Volk bringen Ideen ein, die nach wie vor weit über die britischen Inseln hinaus Wirkung zeigen. Dies legt ihnen eine besondere Verpflichtung auf, klug für das Ge­meinwohl zu arbeiten. Entsprechend haben auch die briti­schen Medien, deren Meinungen ein so breites Publikum erreichen, eine schwerwiegendere Verantwortung als die meisten anderen Medien und eine größere Gelegenheit, den Frieden der Nationen, die ganzheitliche Entwicklung der Völker und die Ausbreitung authentischer Menschenrechte zu för­dern… Das Vereinigte Königreich… möge stets seinen Re­spekt vor jenen traditionellen Werten und kulturellen Aus­drucksformen bewahren, die von aggressiveren Formen des Säkularismus nicht länger für wichtig erachtet oder nicht einmal mehr toleriert werden…“

Ansprache an Königin Elizabeth II., 16.9.2010

Missachtung der Rechte gläubiger Menschen

„(Ich) komme nicht umhin, meine Besorgnis zu äußern, dass die Religion und besonders das Christentum in einigen Bereichen zunehmend an den Rand gedrängt werden, auch in Ländern, die großen Wert auf Toleranz legen. Manche spre­chen sich dafür aus, die Stimme der Religion zum Schweigen zu bringen oder wenigstens ganz auf die Privatsphäre zu be­schränken. Andere behaupten, dass von der öffentlichen Feier von Festen wie Weihnachten abgesehen werden sollte, und begründen es mit der fragwürdigen Annahme, dass solche Bräuche Angehörige anderer Religionen oder Nichtgläubige auf irgendeine Weise verletzen könnten. Schließlich fordern einige – paradoxerweise mit dem Ziel, die Diskriminierung zu be­kämpfen –, dass von Christen, die ein öffentliches Amt aus­üben, gegebenenfalls verlangt werden sollte, gegen ihr Ge­wissen zu handeln. Das sind besorgniserregende Zeichen einer Missachtung nicht nur der Rechte gläubiger Men­schen auf Gewissens- und Religionsfreiheit, sondern auch der legitimen Rolle der Religion im öffentlichen Leben…“

Begegnung mit Vertretern der Gesellschaft Großbritanniens (Politiker, Wissenschaftler, Wirtschaftsführer), 17.9.2010

 

 

 

 

3. Ehe, Familie und Erziehung

 

 

Erziehung: Vermittlung von Weisheit

„Wie Sie wissen, besteht die Aufgabe eines Lehrers nicht einfach darin, Informationen zu vermitteln oder für eine Schu­lung in gewissen Fertigkeiten zu sorgen, um den wirtschaft­lichen Gewinn für eine Gesellschaft zu steigern; Erziehung ist nicht und darf nie rein utilitaristisch verstanden werden. Vielmehr geht es um die Ausbildung der menschlichen Person, um ihn oder sie zu rüsten, das Leben in seiner Fülle zu leben – kurz, es geht um die Vermittlung von Weis­heit. Wahre Weisheit ist untrennbar mit dem Wissen um den Schöpfer verbunden, denn ‚wir und unsere Worte sind in Seiner Hand, auch alle Klugheit und praktische Erfahrung’ (Weish 7,16)… Liebe Ordensleute, viele von Ihnen gehören Schul­orden an… Oft haben Sie die Grundlage erzieherischer Ein­richtungen gelegt, lange bevor der Staat die Verantwortung für diesen unverzichtbaren Dienst am Einzelnen und der Gesell­schaft wahrgenommen hat… Die Präsenz von Ordensleuten in katholischen Schulen ist in der Tat eine gewichtige Mahnung an das vieldiskutierte katholische Ethos, das jeden Bereich des schulischen Lebens durchdringen soll. Dies geht weit über das selbstverständliche Erfordernis hinaus, dass der Lehrinhalt immer mit der kirchlichen Lehre konform sein muss. Das bedeutet, dass das Glaubensleben die treibende Kraft hinter jeglicher schulischen Aktivität sein muss, so dass der Sendung der Kirche wirksam gedient werden kann und junge Menschen die Freude entdecken, sich an CHRISTI ‚Da­sein für andere’ (Spe salvi, 28) zu beteiligen…“

Ansprache an Lehrer und Ordensleute,
St. Mary’s University College, Twickenham, 17.9.2010

 

 

4. Jugend

 

 

Ohne Gedächtnis gibt es keine Zukunft

„Ich danke euch auch für das, was ihr mir durch eure beiden ‚Wortführer’ Francesca und Cristian gesagt habt… Ihr seid Jungen und Mädchen, die sich Gedanken machen, die Dinge hinterfragen, und die auch das Bewusstsein der Wahrheit und des Guten haben. Ihr seid also in der Lage, Herz und Verstand zu benutzen… Ich würde sogar sagen, dass das in dieser Welt das Wichtigste ist: zu lernen, den Verstand und das Wissen, das uns GOTT geschenkt hat, gut zu nutzen! Den Menschen eurer Gegend standen früher nicht viele Mittel zur Verfügung, um sich zu bilden, oder sich in der Gesellschaft zu behaupten, aber sie besaßen das, was einen Mann und eine Frau wirk­lich reich macht: Glauben und sittliche Werte. Das ist es, was die Menschen und das gesellschaftliche Zusammenleben aufbaut!… Ich habe eine Persönlichkeit angesprochen, die vor 800 Jahren geboren wurde, den hl. Pietro Coelestin V., und gesagt, wie aktuell ihr ihn findet! Sehr ihr, meine lieben Ju­gendlichen, damit habt ihr sozusagen ‚mehr drauf’. Ja, ein Geschichtsbewusstsein zu haben bedeutet wirklich, im Leben ‚mehr drauf’ zu haben, denn ohne Gedächtnis gibt es keine Zukunft. Früher wurde die Geschichte als Lehrmeisterin des Lebens bezeichnet! Die konsumorientierte Kultur unserer Zeit tendiert dagegen dazu, den Menschen nur auf die Gegenwart zu reduzieren, ihn das Bewusstsein der Vergangenheit, der Geschichte, verlieren zu lassen. So beraubt sie ihn aber der Fähigkeit, sich selbst zu verstehen, die Probleme zu er­kennen und seine Zukunft aufzubauen. Was ich euch also sagen möchte, liebe Jugendliche, ist Folgendes: Ein Christ ist jemand, der ein gutes Gedächtnis hat, der die Geschichte liebt und danach sucht, sie zu kennen…

…An dieser Stelle möchte ich euch noch ein Zweites sagen: das wahre Gebet ist keineswegs realitätsfremd. Wenn euch das Beten entfremden, euch den Bezug zum realen Leben ver­lieren lassen sollte, dann seid auf der Hut: es wäre kein wahres Beten! Der Dialog mit GOTT ist im Gegenteil Garantie der Wahrheit, der Wahrheit sich selbst und den anderen gegen­über, und folglich der Freiheit! Mit GOTT sein, Sein Wort hö­ren, im Evangelium, in der Liturgie der Kirche, schützt vor den Verblendungen des Hochmuts und der Anmaßung, vor Moden und Konformismus; es gibt uns die Kraft, wirklich frei zu sein, frei auch von gewissen Versuchungen, die als etwas Gutes getarnt sind. Ihr habt mich gefragt: Wie können wir es schaffen, ‚in’ dieser Welt, aber nicht ‚von’ dieser Welt zu sein? Ich antworte euch: gerade dank des Gebets, des persön­lichen Kontakts mit GOTT. Es geht nicht darum, mehr Worte zu machen - wie uns schon JESUS sagte –, sondern darum, in der Gegenwart GOTTES zu verweilen, sich – in Herz und Verstand – die Worte des Vaterunsers zu eigen zu machen, das alle Probleme unseres Lebens umspannt; es geht um die Anbetung der Eucharistie, darum, allein in unserem Zimmer das Evangelium zu meditieren oder andächtig an der Liturgie teilzunehmen. All das lenkt nicht vom Leben ab, sondern hilft uns vielmehr, in jedem Umfeld wir selbst zu sein, der Stimme GOTTES treu, die zu unserem Gewissen spricht, frei von den Ablenkungen des Augenblicks… Liebe Freunde! Der Glaube und das Gebet lösen die Probleme zwar nicht, lassen sie uns aber in einem neuen Licht sehen und mit neuer Kraft angehen; auf eine dem Menschen würdige gelassenere und auch wirksamere Weise…“

Ansprache an die Jugend in der Kathedrale von Sulmona, 4.7.2010

Gegen den Strom

„Ich (möchte) kurz meine Botschaft vorstellen, die… sich an die Jugendlichen der Welt richtet aus Anlass des 26. Welt­jugendtages, der in weniger als einem Jahr in Madrid stattfin­den wird. Das Thema, das ich für diese Botschaft gewählt habe, nimmt ein Wort aus dem Brief des Apostels Paulus an die Kolosser auf: ‚In CHRISTUS verwurzelt und auf Ihn gegrün­det, fest im Glauben’ (2,7). Es handelt sich eindeutig um einen Vorschlag, der gegen den Strom geht! Wer nämlich schlägt heute den Jugendlichen vor, ‚verwurzelt’ und ‚fest’ zu sein? Vielmehr werden die Ungewissheit, die Mobilität, der Wankel­mut betont – alles Aspekte, die eine Kultur widerspiegeln, wel­che ein unentschlossene Haltung gegenüber den Grund­werten annimmt, gegenüber den Prinzipien, auf deren Grundlage das Leben auszurichten und zu ordnen ist. Tat­sächlich weiß ich selbst aufgrund meiner Erfahrung und der Kontakte, die ich mit den Jugendlichen habe, sehr gut, dass jede Generation, ja jede Einzelperson dazu aufgerufen ist, von neuem den Weg der Entdeckung des Lebenssinnes zurückzu­legen. Und gerade deshalb wollte ich erneut eine Botschaft vorschlagen, die dem biblischen Stil entsprechend die Bilder des Baumes und des Hauses vor Augen führt. Der junge Mensch ist nämlich wie ein Baum, der sich im Wachstum befindet: Um sich gut zu entwickeln, bedarf er tiefer Wur­zeln, die ihn im Fall von Stürmen fest im Boden gepflanzt halten. So ruft auch das Bild des im Bau befindlichen Gebäu­des die Notwendigkeit guter Fundamente in Erinnerung, damit das Haus fest und sicher ist. Und so sehen wir den Kern der Botschaft: er findet sich in den Worten ‚in CHRISTUS’ und ‚im Glauben’. Die volle Reife der Person, ihre innere Festigkeit, hat ihren Grund in der Beziehung zu GOTT, einer Bezie­hung, die sich in der Begegnung mit CHRISTUS vollzieht. Eine Beziehung tiefen Vertrauens und echter Freundschaft mit JESUS ist imstande, einem jungen Menschen das zu ge­ben, wessen er am meisten bedarf, um das Leben gut anzu­gehen: Zuversicht und inneres Licht, eine positive Denkhaltung, Seelenweite gegenüber den anderen, Bereitschaft, persönlich für das Gute, die Gerechtigkeit und die Wahrheit einzustehen. Ein letzter sehr wichtiger Aspekt: Um gläubig zu werden, wird der junge Mensch vom Glauben der Kirche getragen; wenn schon kein Mensch ein Insel ist, so ist dies um so weniger der Christ, der in der Kirche die Schönheit des gemeinsam mit den Anderen in der Brüderlichkeit und im Dienst der Nächstenliebe geteilten und bezeugten Glaubens entdeckt…“

Angelusansprache, Castel Gandolfo 5.9.10

Den Schülern helfen, Heilige zu werden

„(Es) gibt etwas, was ich euch unbedingt sagen möchte. Ich hoffe, dass einige von euch, die mir heute zuhören, die künftigen Heiligen des 21. Jahrhunderts sind. Was GOTT am meisten von einem jeden von euch wünscht, ist, dass ihr heilig werden sollt. Er liebt euch viel mehr, als ihr euch je vor­stellen könnt, und Er will das Allerbeste für euch. Und das bei weitem Beste für euch ist es, an Heiligkeit zuzunehmen.

Vielleicht haben einige von euch zuvor noch nie darüber nach­gedacht. Vielleicht denken einige von euch, ein Heiliger zu sein, das sei nichts für sie. Lasst mich erklären, was ich meine. Wenn wir jung sind, dann gibt es gewöhnlich Menschen, zu denen wir aufschauen, die wir bewundern, wo wir wünschen, wie sie zu sein. Es könnte jemand aus unserem Alltag sein, den wir zutiefst schätzen. Oder es könnte jemand Berühmter sein. Wir leben in einer Prominentenkultur, und junge Men­schen werden oft dazu ermuntert, Gestalten aus der Welt des Sports oder der Unterhaltung zum Vorbild zu nehmen. Meine Frage an euch ist nun diese: Was sind die Qualitäten, die ihr in anderen seht und die ihr am liebsten selbst haben möchtet? Welcher Typ von Person möchtet ihr wirklich am liebsten sein?

Wenn ich euch einlade, Heilige zu werden, bitte ich euch, euch nicht mit dem Zweitbesten zufrieden zu geben. Ich bitte euch nicht, ein begrenztes Ziel zu verfolgen und alle ande­ren zu ignorieren. Geld zu haben, bietet die Möglichkeit, groß­zügig zu sein und Gutes in der Welt zu tun, aber Geld allein kann uns noch nicht glücklich machen. In irgendeiner Tätigkeit oder irgendeinem Beruf sehr geschickt zu sein, ist gut, aber es wird uns nicht wirklich zufriedenstellen, wenn wir nicht nach etwas noch Größerem streben. Das alles mag uns berühmt machen, aber es wird uns nicht glücklich machen. Glück ist etwas, das wir uns alle wünschen. Es ist aber eine der gro­ßen Tragödien in dieser Welt, dass viele Menschen dieses Glück nie finden, weil sie an den falschen Orten danach su­chen. Der Schlüssel dazu ist hingegen sehr einfach – wah­res Glück ist in GOTT zu finden. Wir müssen den Mut haben, unsere tiefste Hoffnung allein auf GOTT zu setzen, nicht auf Geld, Karriere, weltlichen Erfolg oder auf unsere Beziehungen zu anderen, sondern auf GOTT. Er allein kann die tiefsten Be­dürfnisse unseres Herzens stillen.

GOTT liebt uns nicht nur mit einer Tiefe und Intensität, die wir selbst ansatzweise kaum begreifen können, sondern lädt uns auch ein, auf diese Liebe zu antworten… Sobald ihr mit GOTT Freundschaft schließt, beginnt sich alles in eurem Leben zu ändern. Wenn ihr Ihn besser kennenlernt, wollt ihr etwas von Seiner unendlichen Güte in eurem Leben widerspiegeln. Ihr seid begeistert, die Tugenden zu leben. Ihr beginnt, Habgier und Selbstsucht sowie alle anderen Sünden als das zu sehen, was sie wirklich sind, nämlich zerstörerische und gefährliche Neigungen, die tiefes Leid und großen Schaden verursachen, und ihr wollt vermeiden, selbst in diese Falle zu tappen. Ihr beginnt, Mitleid für Menschen in Schwierigkeiten zu empfinden, und ihr wollt ihnen unbedingt irgendwie helfen. Ihr wollt die Armen und Hungrigen unterstützen, ihr wollt die Traurigen trösten, ihr wollt gut und großzügig sein. Und wenn euch das alles einmal berührt, dann seid ihr wirklich auf dem Weg, Heilige zu werden

Lasst nie zu, dass ihr eng werdet. Die Welt braucht gute Wis­senschaftler, aber die wissenschaftliche Auffassung wird gefährlich eng, wenn sie die religiösen oder ethischen Dimensionen des Lebens außer acht lässt, genauso wie Religion eng wird, wenn sie den berechtigten Beitrag der Wis­senschaft zu unserem Verständnis der Welt zurückweist. Wir brauchen gute Historiker, Philosophen und Wirtschaftswissen­schaftler, aber wenn die von ihnen in ihrem Fachbereich gege­bene Darstellung des menschlichen Lebens zu eng fokussiert wird, können sie uns ernsthaft auf Irrwege führen. Eine gute Schule sieht eine ganzheitliche Erziehung für die Person vor. Und eine gute katholische Schule sollte darüber hin­aus allen ihren Schülern helfen, Heilige zu werden…“

Ansprache an die Schüler, St. Mary’s University College, Twickenham, 17.9.2010

 

 

 

 

5. Heilige

 

 

In der Schule des hl. Thomas von Aquin

„Auch über 700 Jahre nach seinem Tod [des hl. Thomas von Aquin] können wir viel von ihm lernen, wie schon mein Vorgän­ger Papst Paul VI. in Erinnerung gerufen hat. In einer Anspra­che, die er am 14. September 1974 in Fossanova anlässlich des 700. Todestages des hl. Thomas hielt, fragte er sich: ‚Meister Thomas, welche Lehre kannst du uns geben?’ Und er antwortete: ‚Das Vertrauen in die Wahrheit des religiösen katholischen Denkens, das von ihm verteidigt, entfaltet und der Erkenntnisfähigkeit des menschlichen Geistes erschlossen worden ist’… Begeben also auch wir uns in die Schule des hl. Thomas und seines Hauptwerkes, der Summa theologiae. Sie ist unvollendet geblieben, und dennoch ist sie ein monumentales Werk: Sie enthält 512 Fragen und 2669 Artikel. Es handelt sich um eine in sich schlüssige Argumenta­tion, in der die Anwendung der menschlichen Intelligenz auf die Geheimnisse des Glaubens mit Klarheit und Tiefe ge­schieht, indem Fragen und Antworten miteinander verknüpft werden, in denen der hl. Thomas die Lehre der Hl. Schrift und der Kirchenväter, vor allem des hl. Augustinus, vertieft. Bei diesen Überlegungen, in der Begegnung mit echten Fragen seiner Zeit, die oft auch unsere Fragen sind, gelangt der hl. Thomas – auch unter Anwendung der Methode und des Den­kens der antiken Philosophen, insbesondere des Aristoteles – zu genauen, klaren Formulierungen, welche die Glaubens­wahrheiten betreffen, wo die Wahrheit Geschenk des Glaubens ist, aufleuchtet und für uns, für unsere Reflexion zugänglich wird. Dieses Bemühen des menschlichen Geistes ist jedoch – so ruft der Aquinate durch sein eigenes Leben in Erinnerung – stets vom Gebet erleuchtet, vom Licht, das aus der Höhe kommt. Nur wer mit GOTT und mit den Geheim­nissen lebt, kann auch verstehen, was sie sagen

Wenn der hl. Thomas uns von den Sakramenten spricht, ver­weilt er insbesondere beim Geheimnis der Eucharistie, für das er eine große Verehrung hegte, die so weit ging, dass er – den älteren Biographen zufolge – oft sein Haupt an den Taber­nakel legte, als wolle er das GÖTTliche und menschliche Herz JESU schlagen hören. In einem seiner Schriftkommentare hilft uns der hl. Thomas, die große Erhabenheit des Sakraments der Eucharistie zu verstehen, wenn er schreibt: ‚Da die Eucha­ristie das Sakrament des Leidens unseres HERRN ist, enthält sie in sich JESUS CHRISTUS, der für uns gelitten hat. Alles, was aus dem Leiden unseres HERRN hervorgeht, geht daher auch aus diesem Sakrament hervor, denn es ist nichts anderes als die Umsetzung des Leidens des HERRN in uns’ (In Ioannem, c.6, lect. 6, Nr. 963). Wir können gut verstehen, warum der hl. Thomas und andere Heilige bei der Feier der hl. Messe Tränen des Mitleids vergossen haben für den HERRN, der sich für uns als Opfer darbringt, Tränen der Freude und der Dankbarkeit. Liebe Brüder und Schwestern, verlieben wir uns in der Schule der Heiligen in dieses Sakrament! Nehmen wir mit innerer Sammlung an der hl. Messe teil, um ihre geistlichen Früchte zu erlangen, nähren wir uns am Leib und am Blut des HERRN, um unablässig von der GÖTTlichen Gnade gespeist zu werden! Lasst uns gern und häufig, von Angesicht zu An­gesicht, beim Allerheiligsten Sakrament verweilen…

Bei der Darlegung des Gebets des Vaterunser zeigt der hl. Thomas, dass es in sich vollkommen ist, da es alle fünf Merk­male hat, die ein gutes Gebet besitzen sollte: vertrauensvolle und ruhige Hingabe, angemessenen Inhalt – denn der hl. Thomas sagt, dass ‚es sehr schwierig ist, genau zu wissen, worum man bitten soll und worum nicht, da wir Schwierigkeiten haben, zwischen unseren Wünschen zu unterscheiden’ (ebd., S. 120); und dann die rechte Ordnung der Bitten, die eifrige Nächstenliebe und die aufrichtige Demut.

Wie alle Heiligen brachte der hl. Thomas der GOTTESmut­ter große Verehrung entgegen. Er gab ihr den wunderschö­nen Namen ‚Triclinium totius Trinitatis’: Triclinium, also Ort, an dem die DREIFALTIGKEIT ruhen kann. Denn aufgrund der Menschwerdung wohnen die drei GÖTTlichen Personen in ihr wie in keinem anderen Geschöpf und verspüren Wonne und Freude, in ihrer gnadenerfüllten Seele zu leben. Durch ihre Fürsprache können wir jede Hilfe erhalten. Durch ein Gebet, das die Überlieferung dem hl. Thomas zuschreibt und das in jedem Fall die Elemente seiner tiefen Marienverehrung wi­derspiegelt, sagen auch wir: ‚O allerseligste und liebreiche Jungfrau Maria, Mutter GOTTES…, deinem erbarmungsvollen Herzen vertraue ich mein ganzes Leben an… Erwirke mir, o meine liebreiche Herrin, wahre Liebe, mit der ich aus ganzem Herzen deinen heiligsten Sohn und nach Ihm dich über alles lieben kann, und den Nächsten in GOTT und durch GOTT.’“

Generalaudienz, 23.6.2010

Hl. Giuseppe Cafasso

„Vor kurzem haben wir das Priester-Jahr abgeschlossen: eine Zeit der Gnade, die für die Kirche wertvolle Früchte getragen hat und tragen wird, und eine Gelegenheit, im Gebet an all jene zu denken, die auf diese besondere Berufung geantwortet haben. Auf diesem Weg haben uns als Vorbilder und Fürspre­cher der hl. Pfarrer von Ars und andere heilige Priester beglei­tet, wahre Lichtgestalten der Kirchengeschichte… (Ich) möchte heute eine weitere Gestalt vorstellen, die in der Gruppe der ‚Sozialheiligen’ im Turin des 19. Jahrhunderts eine herausra­gende Stellung einnimmt: den hl. Giuseppe Cafasso…

Giuseppe Cafasso wurde in Castelnuovo d’Asti, im selben Ort wie der hl. Johannes Bosco, am 15. Januar 1811 geboren. Er ist das dritte von vier Kindern. Das jüngste von ihnen, seine Schwester Marianna, wurde später die Mutter des sel. Giu­seppe Allamano, des Gründers der Consolata-Missionare… Giuseppe Cafasso… war eingetreten [in das kirchliche Kon­vikt ‚San Francesco d’Assisi’ in Turin], um sich in der Seel­sorge weiterzubilden, und brachte hier seine Gaben als geist­licher Leiter und seinen großen Geist der Nächstenliebe nutz­bringend ein. Das Konvikt war nämlich nicht nur eine Schule für Moraltheologie, in der die jungen Priester, die vor allem vom Land kamen, die Beichte abzunehmen und zu predigen lernten, sondern es war eine wahre Schule des priesterlichen Le­bens, in der die Priester in der Spiritualität des hl. Ignatius von Loyola sowie in der Moral- und Pastoraltheologie des großen heiligen Bischofs Alfons Maria de Liguori unterwiesen wurden. Giuseppe Cafasso begegnete im Konvikt Priestern, die eine Wesensart besaßen, zu deren stärkerer Ausformung er selbst – vor allem als Rektor – beitrug: wahre Hirten mit reichem inne­ren Leben und großem Eifer in der Seelsorge, dem Gebet treu, tatkräftig in der Verkündigung und in der Katechese, hinge­bungsvoll in der Feier der Eucharistie und im Dienst der Beichte, nach dem Vorbild, das vom hl. Karl Borromäus und vom hl. Franz von Sales verkörpert und durch das Konzil von Trient gefördert wurde. Ein schönes Wort des hl. Johannes Bosco fasst den Sinn der Erziehungs- und Bildungsarbeit in dieser Gemeinschaft zusammen. ‚Im Konvikt lernte man, Priester zu sein’

Als Lehrer besaß Giuseppe Cafasso vor allem drei Tugen­den…: Ruhe, Sorgfalt und Besonnenheit. Prüfstein der über­mittelten Lehre war für ihn der Dienst der Beichte, der er selbst viele Stunden am Tag widmete… Für viele spätere Heilige und Gründer von Ordensinstituten war er ein weiser geist­licher Ratgeber… Sein Geheimnis war ganz einfach: ein Mann GOTTES zu sein und in den kleinen Dingen des täglichen Le­bens das zu tun, ‚was zur größeren Ehre GOTTES dient und den Seelen nützt’… Unser Heiliger sagte mit einfachen und tiefen Worten: ‚Alle Heiligkeit, alle Vollkommenheit und aller Nutzen einer Person liegt darin, den Willen GOTTES voll­kommen zu erfüllen… Wie glücklich sind wir, wenn es uns gelingt, unser Herz so in das Herz GOTTES auszugießen, unser Wünschen und Wollen so sehr mit dem Seinen zu vereinen, dass wir ein Herz und ein Wille sind – das zu wollen, was GOTT will, es auf die Weise, zu der Zeit, unter den Umständen zu wollen, die Seinem Willen entsprechen, und all das nur deshalb zu wollen, weil GOTT es will.’

Noch ein weiteres Element zeichnet jedoch den Dienst unseres Heiligen aus: die Fürsorge für die Geringsten, insbesondere für die Gefangenen… Schon die Anwesenheit von Giuseppe Cafasso war eine Wohltat: Er heiterte sie auf und berührte die Herzen, die von den Wechselfällen des Lebens verhärtet wa­ren; vor allem aber erleuchtete er das gleichgültig gewordene Gewissen und rüttelte es auf… Er begleitete 57 zum Tode Ver­urteilte zur Hinrichtung, nachdem er ihnen die Beichte abge­nommen und die Eucharistie gespendet hatte. Er begleitete sie mit tiefer Liebe bis zum letzten Atemzug ihres irdischen Le­bens. Er starb am 23. Juni 1860… Papst Pius XII. … gab ihn durch das Apostolische Schreiben Menti nostrae allen Priestern zum Vorbild, die in der Beichte und in der geistlichen Leitung tätig sind…“

Generalaudienz, 30.6.2010

Hl. Papst Coelestin V.

„Die Heiligkeit verliert nie ihre Anziehungskraft, sie gerät nie in Vergessenheit, sie kommt nie aus der Mode, im Gegenteil: Mit der Zeit glänzt sie in immer hellerem Licht und bringt so das immerwährende Streben des Menschen nach GOTT zum Aus­druck. Dem Leben des hl. Pietro Coelestin [Papst Coelestin V.] möchte ich nunmehr einige Lehren entnehmen, die auch für unsere Tage Geltung besitzen. Pietro Angeleri ist von Jugend an ein ‚Sucher GOTTES’ gewesen, ein Mann, der den Wunsch hegte, Antworten auf die großen Fragen unseres Da­seins zu finden: Wer bin ich? Woher komme ich? Warum lebe ich? Für wen lebe ich? Er machte sich auf den Weg der Suche nach der Wahrheit und der Glückseligkeit, er macht sich auf die Suche nach GOTT, und um dessen Stimme zu hören, trifft er den Entschluss, sich von der Welt zu trennen und als Einsied­ler zu leben. Die Stille wird so zu einem Element, das sein tägliches Leben prägt. Und gerade in der äußeren Stille, und vor allem aber in der inneren, gelingt es ihm, der Stimme GOTTES gewahr zu werden, die fähig ist, seinem Leben eine Ausrichtung zu geben. Hier liegt ein erster für uns wichtiger Aspekt: Wir leben in einer Gesellschaft, in der es den Anschein hat, dass jeder Raum, jeder Augenblick mit ‚Initiativen’, Aktivi­täten, Geräuschen erfüllt werden muss; oft bleibt nicht einmal die Zeit, einander zuzuhören und miteinander zu sprechen. Liebe Brüder und Schwestern, fürchten wir uns nicht, es um uns und in uns still werden zu lassen, wenn wir fähig sein wollen, nicht nur die Stimme GOTTES wahrzunehmen, sondern auch die Stimme dessen, der uns nahesteht, die Stimme der anderen.

Doch es ist wichtig, auch ein zweites Element zu unterstrei­chen: Die Entdeckung des HERRN, die Pietro Angeleri macht, ist nicht Ergebnis eigener Anstrengung, sondern sie wird durch die Gnade GOTTES ermöglicht, der ihm zuvorkommt. Was er hatte, was er war, kam nicht aus ihm selbst: Es war ihm geschenkt worden, es war Gnade und es war deshalb auch Verantwortung vor GOTT und vor den ande­ren. Obwohl unser Leben ganz anders ist, gilt auch für uns dasselbe: Alles Wesentliche unseres Daseins ist uns ohne unser Zutun geschenkt worden. Die Tatsache, dass ich lebe, hängt nicht von mir ab; die Tatsache, dass es Menschen gege­ben hat, die mich in das Leben eingeführt haben, die mich gelehrt haben, was es heißt, zu lieben und geliebt zu werden, die mir den Glauben vermittelt und für den Blick auf GOTT geöffnet haben: all das ist Gnade und nicht ‚von mir gemacht’. Allein von uns aus hätten wir nichts tun können, wenn es nicht geschenkt  worden wäre: GOTT nimmt uns immer vorweg, und in jedem einzelnen Leben gibt es Schönes und Gutes, was wir leicht als Seine Gnade, als Lichtstrahl Seiner Güter erkennen können. Daher müssen wir aufmerksam sein, immer die ‚inneren Augen’ offenhalten, jene unseres Herzens. Und wenn wir es lernen, GOTT in Seiner unendlichen Güte zu erkennen, so werden wir auch fähig sein, wie die Heiligen voll Staunen in unserem Leben die Zeichen jenes GOTTES zu sehen, der immer nahe ist, der immer gut zu uns ist, der uns sagt. ‚Glaube an mich!’…“

Predigt bei der hl. Messe in Sulmona aus Anlass des
800. Geburtstags von Papst Coelestin V., 4.7.2010

Hl. Josef

„Dieser Brunnen ist nach dem hl. Josef benannt, einer Gestalt, die dem Herzen des GOTTESvolkes und meinem Herzen nahe ist… Josef stammte aus dem königlichen Geschlecht Da­vids, und kraft seiner Vermählung mit Maria überträgt er dem Sohn der Jungfrau – dem SOHN GOTTES – den rechtmäßigen Titel ‚Sohn Davids’ und erfüllt so die Prophezeiungen. Die Ver­mählung von Josef und Maria ist daher ein menschliches Ereignis, das jedoch für die Heilsgeschichte der Mensch­heit, für die Umsetzung von GOTTES Verheißungen ent­scheidend ist. Daher hat es auch übernatürlichen Charakter… Schon bald kommt für Josef der Augenblick der Prüfung… Der GÖTTliche Eingriff in sein Leben musste natürlich sein Herz beunruhigen. GOTT zu vertrauen bedeutet nicht, alles klar und deutlich nach unseren Begriffen zu sehen: es bedeutet nicht, das umzusetzen, was wir geplant haben; GOTT zu ver­trauen bedeutet, sich seiner selbst zu entäußern, auf sich selbst zu verzichten, denn nur, wer sich für GOTT verliert, kann ‚gerecht’ sein wie der hl. Josef, kann den eigenen Willen dem Willen GOTTES gleichgestalten und sich so verwirklichen…“

Ansprache bei der Einweihung eines neuen Brunnens
in den Vatikanischen Gärten, 5.7.2010

Hl. Pius X.

„Heute möchte ich bei der Gestalt meines Vorgängers verwei­len, des hl. Pius X. …, und dabei einige seiner Charakterzüge hervorheben, die auch für die Hirten und die Gläubigen unserer Zeit nützlich sein können… Das Pontifikat des hl. Pius X. hat in der Kirchengeschichte bleibende Spuren hinterlassen und war von einem beachtlichen Reformstreben gekennzeichnet, das zusammengefasst ist in dem Motto ‚Instaurare omnia in CHRISTO – alles in CHRISTUS erneuern’… Gleich zu Anfang widmete er sich der Neuordnung der Römischen Kurie; dann leitete er die Arbeiten zur Abfassung des Codes des Kanoni­schen Rechtes in die Wege… Ein weiteres wichtiges Feld war die Unterweisung des GOTTESvolkes in der kirchlichen Lehre… Als Papst veröffentlichte er eine Schrift über die christ­liche Lehre für die Diözese Rom, die dann in ganz Italien und in der ganzen Welt Verbreitung fand. Dieser Katechismus, der den Namen Pius’ X. trägt, war aufgrund seiner einfachen, klaren und genauen Sprache und seinem gut durchdachten Aufbau für viele eine sichere Leitlinie zum Verständnis der Glaubenswahrheiten. Beachtliche Aufmerksamkeit widmete er der Reform der Liturgie, insbesondere der Kirchenmusik, um die Gläubigen zu einem tieferen Gebetsleben und einer volleren Teilnahme an den Sakramenten zu führen. Im Motu Proprio Tra le sollecitudini – es erschien 1903, im ersten Jahr seines Pontifikats – sagt er, dass der wahre christliche Geist seine erste und unentbehrliche Quelle in der aktiven Teilnahme an den hochheiligen Mysterien und dem öffentlichen, feierli­chen Gebet der Kirche hat… Daher empfahl er, die Sakra­mente häufig zu empfangen, förderte den täglichen, gut vorbereiteten Empfang der heiligen Kommunion und senkte das Alter für die Erstkommunion der Kinder zu Recht auf etwa sieben Jahre, ‚wenn das Kind beginnt, die Vernunft zu gebrauchen’ (vgl. S. Congr. De Sacramentis, Decretum Quam singulari). Treu seiner Aufgabe, die Brüder im Glauben zu stärken, griff der hl. Pius X. angesichts einiger Tendenzen, die am Ende des 19. und zu Beginn des 20. Jahr­hunderts in der Theologie deutlich wurden, entschieden ein und verurteilte den ‚Modernismus’, um die Gläubigen vor Irrtü­mern zu schützen und eine wissenschaftliche Vertiefung der Offenbarung in Übereinstimmung mit der Überlieferung der Kirche zu fördern… 1909 gründete er … das Päpstliche Bibelinstitut… Der hl. Pius X. lehrt uns alle, dass die Grundlage unseres apostolischen Wirkens in den verschiedenen Berei­chen, in denen wir tätig sind, stets die innige persönliche Vereinigung mit CHRISTUS sein muss, die Tag für Tag ge­pflegt und vertieft werden muss… Nur wenn wir in den HERRN verliebt sind, sind wir in der Lage, die Menschen zu GOTT zu bringen, sie für Seine barmherzige Liebe zu öffnen…“

Generalaudienz in Castel Gandolfo, 18.8.2010

Der hl. Augustinus als „Weggefährte“ des Papstes

„Im Leben eines jeden von uns gibt es sehr liebe Menschen, denen wir uns besonders nahe fühlen. Einige sind schon bei GOTT, andere teilen noch den Lebensweg mit uns: Es sind unsere Eltern, Verwandten, Lehrer; es sind Menschen, denen wir Gutes getan haben oder die uns Gutes getan haben; es sind Menschen, von denen wir wissen, dass wir auf sie zählen können. Jedoch ist es wichtig, auch ‚Weggefährten’ auf dem Weg unseres christlichen Lebens zu haben: Ich denke an den geistlichen Begleiter, den Beichtvater, an Menschen, mit denen man seine Glaubenserfahrungen teilen kann, ich denke aber auch an die Jungfrau Maria und die Heiligen. Jeder sollte seinen Heiligen haben, der ihm vertraut ist, um in Gebet und Fürbitte seine Nähe zu spüren, aber auch, um ihn nachzuahmen. Daher möchte ich euch einladen, die Heili­gen besser kennenzulernen, angefangen bei dem, dessen Namen ihr tragt, seine Lebensbeschreibung und seine Schrif­ten zu lesen. Seid gewiss, dass sie gute Führer werden, um den HERRN noch mehr zu lieben, und wertvolle Hilfen für euer menschliches und christliches Leben.

Wie ihr wisst, fühle auch ich mich einigen Heiligen auf beson­dere Weise verbunden: Außer dem hl. Josef und dem hl. Be­nedikt, deren Namen ich trage, gehört zu ihnen unter anderen auch der hl. Augustinus. Mir wurde das große Geschenk zuteil, ihn durch das Studium und das Gebet sozusagen aus der Nähe kennenzulernen, und er ist in meinem Leben und in mei­nem Dienst zu einem guten ‚Weggefährten’ geworden. Ich möchte noch einmal einen wichtigen Aspekt seiner mensch­lichen und christlichen Erfahrung hervorheben, der aktuell ist auch in unserer Zeit, in der der Relativismus paradoxerweise zur ‚Wahrheit’ geworden zu sein scheint, die das Denken, die Entscheidungen, das Verhalten leiten soll.

Der hl. Augustinus ist ein Mensch, der nie oberflächlich gelebt hat. Eines der grundlegenden Merkmale seines Lebens ist der Durst, die unruhige und ständige Suche nach der Wahrheit, aber nicht nach jenen ‚Scheinwahrheiten’, die dem Herzen keinen dauerhaften Frieden schenken können, sondern nach jener Wahrheit, die dem Leben Sinn gibt und die die ‚Ruhstatt’ ist, in der das Herz Frieden und Freude findet. Wir wissen, dass sein Weg nicht einfach war: Er meinte die Wahr­heit im Ansehen, in der Karriere, im materiellen Besitz zu fin­den, in den Stimmen, die ihm unmittelbares Glück versprachen. Er hat Fehler gemacht, er hat Zeiten der Trauer erlebt, er hat Misserfolge erlitten, aber er ist nie stehengeblieben, hat sich nie zufrieden gegeben mit dem, was ihm nur einen schwachen Lichtschimmer vermittelte; er war fähig, in sein eigenes Inneres hineinzuschauen, und er hat gemerkt – so schreibt er in seinen Bekenntnissen –, dass jene Wahrheit, jener GOTT, den er mit eigenen Kräften suchte, ihm innerlicher war als er sich selbst, ihm immer nahe gewesen war, ihn niemals verlassen hatte, darauf wartete, endgültig in sein Leben einzutreten (vgl. III,6,11; X,27,38). Wie ich in Bezug auf den jüngst erschiene­nen Film über sein Leben gesagt habe, hat der hl. Augustinus in seiner unruhigen Suche verstanden, dass nicht er die Wahrheit gefunden hat, sondern dass die Wahrheit selbst, also GOTT, ihm gefolgt ist und ihn gefunden hat… Romano Guardini sagt zu einem Abschnitt aus dem 3. Kapitel der Bekenntnisse: Der hl. Augustinus verstand, dass GOTT die Herrlichkeit ist, die uns in die Knie zwingt, der Trank, der den Durst stillt, der Schatz, der glücklich macht…

Ebenfalls in den Bekenntnissen, im 9. Buch, gibt unser Heiliger ein Gespräch mit seiner Mutter wieder, der hl. Monika… Er und seine Mutter sind in Ostia in einer Herberge, und vom Fenster aus sehen sie den Himmel und das Meer. Und sie werden über Himmel und Meer hinaus erhoben und berühren einen Au­genblick lang GOTTES Herz im Schweigen der Geschöpfe. Hier tritt ein grundlegender Gedanke auf dem Weg zur Wahr­heit zutage: Die Geschöpfe müssen schweigen, wenn die Stille eintreten soll, in der GOTT sprechen kann. Das ist im­mer wahr, auch in unserer Zeit: Manchmal hat man eine gewis­se Furcht vor der Stille, vor der Sammlung, vor dem Nach­denken über das eigene Handeln, über den tieferen Sinn des eigenen Lebens. Oft zieht man es vor, nur den flüchtigen Augenblick zu leben und bildet sich ein, dass er dauerhaftes Glück bringt, oft zieht man es vor, oberflächlich zu leben, ohne nachzudenken, weil es einfacher zu sein scheint; oft hat man Angst, die Wahr­heit zu suchen. Oder vielleicht hat man Angst, dass die Wahr­heit uns findet, uns ergreift und unser Leben ändert, wie beim hl. Augustinus. Liebe Brüder und Schwestern, ich möchte euch allen nahelegen – auch jenen, die sich an einem schwierigen Punkt auf ihrem Glaubensweg befinden, die am Leben der Kirche kaum teilnehmen oder die so leben, ‚als ob es GOTT nicht gäbe’ –, keine Angst vor der Wahrheit zu haben, den Weg zu ihr niemals zu unterbrechen, nie aufzuhören, mit den inneren Augen des Herzens die tiefste Wahrheit über sich selbst und über die Dinge zu suchen. GOTT wird es nicht versäumen, Licht zu schenken, damit wir sehen können, und Wärme, damit das Herz spürt, dass Er uns liebt und dass Er geliebt werden möchte…“

Generalaudienz in Castel Gandolfo, 25.8.2010

Hl. Hildegard von Bingen

„Mit der geistlichen Autorität, die ihr zu eigen war, machte sich Hildegard in ihren letzten Lebensjahren auf, um trotz ihres vorgerückten Alters und der Mühsal, die das Reisen bedeutete, zu den Menschen von GOTT zu sprechen. Alle hörten ihr gerne zu, auch wenn sie einen strengen Ton anschlug: Sie wurde als eine von GOTT gesandte Botin betrachtet… Ins­besondere trat Hildegard der Bewegung der deutschen Katharer entgegen. Diese… traten für eine radikale Reform der Kirche ein, vor allem, um Missbräuche durch den Klerus zu bekämpfen. Sie warf ihnen mit harten Worten vor, das We­sen der Kirche verändern zu wollen, und erinnerte sie daran, dass eine wahre Erneuerung der kirchlichen Gemeinschaft nicht so sehr durch die Veränderung von Strukturen erlangt wird; sondern vielmehr durch einen aufrichtigen Geist der Buße und einen tätigen Weg der Umkehr. Dies ist eine Bot­schaft, die wir nie vergessen sollten…“

Generalaudienz, 8.9.2010

Hl. Klara von Assisi

„Im Konvent von San Damiano lebte Klara in heroischer Weise die Tugenden, die jeden Christen auszeichnen sollten: die Demut, den Geist der Frömmigkeit und der Buße, die Nächs­tenliebe… Ihr Glaube an die Realpräsenz in der Eucharistie war so groß, dass zweimal wunderbare Dinge geschahen. Allein durch die Aussetzung des Allerheiligsten Sakraments vertrieb sie die sarazenischen Söldnertruppen, die im Begriff waren, das Kloster von San Damiano anzugreifen und die Stadt Assisi zu verwüsten. Diese Geschehnisse sowie andere Wun­der, an die die Erinnerung bewahrt wurde, veranlassten Papst Alexander IV., sie 1255, nur zwei Jahre nach ihrem Tod, heilig­zusprechen. Er verkündete ihr Lob in der Heiligsprechungs­bulle, in der es heißt: ‚Welch eine Leuchtkraft besitzt dieses Licht, und wie hell ist der Glanz dieser leuchtenden Quelle! Wahrlich, dieses Licht war in der Verborgenheit des klöster­lichen Lebens verschlossen und strahlte draußen mit hellem Schein; es sammelte sich in engen Klostermauern und ver­breitete sich draußen in der ganzen Welt. Es wurde drinnen bewahrt und verbreitete sich draußen. Klara nämlich hielt sich verborgen; aber ihr Leben wurde allen offenbar. Klara schwieg, aber ihr Ruhm wurde laut’ (FF, 3284). Und genauso ist es, liebe Freunde: Die Heiligen sind es, die die Welt zum Besse­ren wandeln, sie dauerhaft verändern, indem sie ihr Kräfte zuführen, die nur die vom Evangelium inspirierte Liebe hervorbringen kann. Die Heiligen sind die großen Wohltä­ter der Menschheit!

Wir wollen GOTT danken, der uns die Heiligen schenkt, die unser Herz ansprechen und uns ein Vorbild christlichen Lebens zur Nachahmung geben…“

Generalaudienz, 15.9.2010

Sel. John Henry Newman

„Das ist ein Abend der Freude, einer ungemein geistlichen Freude für uns alle. Wir sind hier zu einer Gebetsvigil zusam­mengekommen, um uns auf die morgige hl. Messe einzustim­men, in der ein großer Sohn dieses Landes, Kardinal John Henry Newman, seliggesprochen wird. Wie viele Menschen in England und in der ganzen Welt haben diesen Moment herbei­gesehnt! Es ist auch für mich persönlich eine große Freude, dieses Ereignis mit euch gemeinsam zu feiern. Schon lange hat Newman, wie ihr wisst, mein eigenes Leben und Denken in besonderer Weise beeinflusst…

Am Ende seines Lebens beschreibt Newman sein Lebens­werk als einen Kampf gegen die wachsende Tendenz, die Religion als bloß private und subjektive Angelegenheit, als Frage von persönlicher Meinung zu betrachten. Das ist die erste Lehre, die wir von seinem Leben lernen können: Wenn heutzutage ein intellektueller und moralischer Relativis­mus die wahren Fundamente unserer Gesellschaft zu un­tergraben droht, erinnert uns Newman daran, dass wir Men­schen, die wir Abbild GOTTES und Ihm ähnlich sind, erschaf­fen wurden, um die Wahrheit zu erkennen und in dieser Wahrheit unsere höchste Freiheit und die Erfüllung unse­rer tiefsten menschlichen Sehnsucht zu finden. Kurz ge­sagt, wird sind dazu bestimmt, CHRISTUS zu erkennen, der selbst ‚der Weg und die Wahrheit und das Leben’ ist (Joh 14,6).

Das Leben von Newman weist uns darauf hin, dass Leiden­schaft für Wahrheit, intellektuelle Aufrichtigkeit und echte Um­kehr sehr anspruchsvoll sind. Wir können die Wahrheit, die uns frei macht, nicht für uns selbst behalten; sie ruft zum Zeugnis auf, sie will gehört werden und letztlich kommt ihre überzeugende Kraft aus ihr selbst und nicht von mensch­licher Beredsamkeit oder von Argumenten, in denen sie möglicherweise verborgen ist. In Tyburn, nicht weit von hier entfernt, sind viele Brüder und Schwestern für den Glauben gestorben; das Zeugnis ihrer Treue bis zum Ende war wirksamer als die mitreißenden Worte, die so viele von ihnen gebrauchten, bevor sie alles dem HERRN hingaben. In der heutigen Zeit wird man als Preis für die Treue zum Evan­gelium nicht mehr gehängt, gestreckt und gevierteilt, son­dern man wird häufig abgelehnt, lächerlich gemacht oder verspottet. Und dennoch kann die Kirche sich nicht von der Aufgabe zurückziehen, CHRISTUS und Sein Evangelium als Heilswahrheit, als Quelle größten Glücks für jeden persönlich und als Fundament für eine gerechte und menschliche Gesell­schaft zu verkünden. Schließlich lehrt uns Newman, dass es keine Trennung geben kann zwischen dem, was wir glau­ben, und der Art, wie wir unser Leben gestalten, wenn wir die Wahrheit CHRISTI angenommen und Ihm unser Leben übergeben haben. Jeder Gedanke, jedes Wort und jede Handlung soll auf GOTT und auf die Ausbreitung Seines Rei­ches gerichtet sein. Newman verstand das und war der große Verfechter des prophetischen Amtes der christlichen Laien. Er erkannte klar, dass wir die Wahrheit nicht so sehr auf rein intellektuelle Weise annehmen, sondern sie vielmehr mit einer geistigen Dynamik erfassen sollen, die bis ins Innerste unseres Wesens dringt. Die Wahrheit wird nicht nur durch formales Wissen – so wichtig dies ist – übermittelt, sondern auch durch das Zeugnis des in Lauterkeit, Treue und Heiligkeit gelebten Lebens

…Keiner, der unsere Welt von heute realistisch betrachtet, sollte meinen, dass Christen so weiterleben könnten wie bisher, indem sie die ernste Krise ignorieren oder einfach hoffen, dass das im Laufe der christlichen Jahrhunderte übermittelte Erbe christlicher Werte weiterhin die Zukunft unserer Gesellschaft beeinflussen und formen wird. Wir wissen, dass in Zeiten der Krise und des Umbruchs GOTT große Heilige und Propheten für die Erneuerung der Kirche und der christlichen Gesellschaft berufen hat; wir vertrauen auf Seine Vorsehung und bitten um Seine beständige Führung. Doch jeder und jede von uns ist gemäß seinem und ihrem Lebensstand angesprochen, sich um die Ausbreitung des Reiches GOTTES zu bemühen und das irdische Leben mit den Werten des Evangeliums zu durchdringen. Jeder von uns hat eine Sendung, jeder von uns ist aufgerufen, die Welt zu verändern und sich für eine Kultur des Lebens einzusetzen, eine Kultur, die durch Liebe und Respekt für die Würde eines jeden menschlichen Wesens geprägt ist…“

Gebetsvigil im Hyde Park, London, 18.9.2010

Beziehung zwischen Eltern und Kindern
sel. Chiara Badano

„Ich denke, dass ihr alle wisst, dass am vergangenen Samstag, dem 25. September, in Rom ein italienisches Mädchen mit dem Namen Chiara seliggesprochen wurde: Chiara Badano. Ich lade euch ein, sie kennenzulernen. Ihr Leben war kurz, aber es enthält eine wunderbare Botschaft. Chiara wurde 1971 geboren und ist 1990 an einer unheilbaren Krankheit gestorben. Neun­zehn Jahre voller Leben, Liebe und Glauben. Die beiden letz­ten Jahre waren auch voller Schmerzen, aber immer erfüllt von Liebe und Licht, von einem Licht, das sie um sich verbreitete und das von innen kam: aus ihrem ganz von GOTT erfüllten Herzen! Wie ist das möglich? Wie kann ein Mädchen von 17, 18 Jahren ein Leiden so leben, menschlich gesehen ohne Hoffnung, aber dabei Liebe, Zuversicht, Freude, Frieden und Glauben ausstrahlen? Offensichtlich handelt es sich um eine Gnade GOTTES, aber diese Gnade wurde auch von der Mitwirkung der Menschen vorbereitet und begleitet: sicherlich durch das Mitwirken Chiaras selbst, aber auch ihrer Eltern und ihrer Freunde. Vor allem die Eltern, die Familie. Heute möchte ich dies besonders unterstreichen. Die Eltern der sel. Chiara Badano leben noch, sie sind zur Seligsprechung nach Rom gekommen – ich habe sie persönlich getroffen –, und sie sind Zeugen der grundlegenden Tatsache, die alles erklärt: ihre Tochter war erfüllt vom Licht GOTTES! Und dieses Licht, das aus dem Glauben und der Liebe kommt, haben sie selbst als erste entzündet: Vater und Mutter haben in der Seele ihrer Tochter die kleine Flamme des Glaubens entfacht und Chiara geholfen, sie immer brennen zu lassen, auch in den schwierigen Momenten des Reifens und vor allem in der großen und langen Prüfung des Leidens, wie es auch bei der ehrwürdigen Dienerin GOTTES Maria Carmelina Leone der Fall war, die mit 17 Jahren gestorben ist [Maria Carmelina Leone, Palermo, 11.7.1923-1.10.1940, Dekret über den heroi­schen Tugendgrad 1997]. Das, liebe Freunde, ist die erste Botschaft, die ich euch mitgeben möchte: Die Beziehung zwischen Eltern und Kindern ist, wie ihr wisst, von grundlegender Bedeutung; aber nicht nur aufgrund einer richtigen Tradition… Sie ist noch mehr, etwas, das JESUS selbst uns gelehrt hat: Es ist die Fackel des Glaubens, die von Generation zu Generation weitergegeben wird; jene Flamme, die auch im Taufritus vor­kommt, wenn der Priester sagt: ‚Empfangt das Licht CHRISTI… österliches Zeichen… Flamme, die ihr immer näh­ren sollt’. Die Familie ist von grundlegender Bedeutung, weil dort in der menschlichen Seele die erste Wahrnehmung des Lebenssinnes keimt. Sie entwickelt sich in der Beziehung zur Mutter und zum Vater, die nicht Eigentümer des Lebens ihrer Kinder sind, sondern die ersten Mitarbeiter GOTTES in der Weitergabe des Lebens und des Glaubens. So geschah es in vorbildlicher und außergewöhnlicher Weise in der Familie der sel. Chiara Badano; aber das geschieht in sehr vielen Familien. Auch in Sizilien gibt es leuchtende Zeugnisse junger Men­schen, die wie schöne, blühende Pflanzen gewachsen sind, nachdem der Keim in der Familie gelegt worden war, mit der Gnade des HERRN und der Mitwirkung der Menschen. Ich denke an die sel. Pina Suriano [=Josepha Suriano, 1915-1950, Seligsprechung 2004], die ehrwürdigen Dienerinnen GOTTES Carmelina Leone und Maria Magro, eine große Erzieherin [1923-1969]; an die Diener GOTTES Rosario Livatino [1952-1990, Richter, von der Mafia ermordet], Mario Giuseppe Restivo [1963-1982, Pfadfinder] und an so viele Jugendliche, die ihr kennt! Oft redet niemand über das Gute, das sie tun, weil das Böse größeren Lärm macht, aber sie sind die Kraft, die Zukunft Siziliens!… Liebe Jugendliche Siziliens, seid Bäu­me, die ihre Wurzeln in den ‚Strom’ des Guten einsenken! Habt keine Angst, dem Bösen entgegenzutreten! Gemeinsam werdet ihr wie ein Wald sein, der wächst, vielleicht in der Stille, aber fähig, Frucht zu tragen, Leben zu geben und euer Land in der Tiefe zu erneuern! Beugt euch nicht den Suggestionen der Mafia, die ein Weg des Todes ist, unvereinbar mit dem Evan­gelium…

Die GÖTTliche Liebe, die Mann und Frau vereint und zu Eltern gemacht hat, hat die Macht, im Herzen der Kinder den Keim des Glaubens wachsen zu lassen, das heißt das Licht des tiefen Sinnes des Lebens…“

Begegnung mit Jugendlichen, Pastoralbesuch in Palermo, 3.10.2010

Lassen wir uns von den leuchtenden Beispielen anziehen

„Heute feiern wir auf dem Petersplatz wieder ein Fest der Heiligkeit… Der Schluss des Abschnittes aus dem Evangelium spricht vom Glauben: ‚Wird jedoch der Menschensohn, wenn Er kommt, auf der Erde (noch) Glauben vorfinden?’ (Lk 18,8). Das ist eine Frage, die einen größeren Glauben in uns erwe­cken will. Denn es ist offensichtlich, dass das Gebet Ausdruck des Glaubens sein muss, andernfalls ist es kein wahres Gebet… Der Glaube ist als Grundlage des Betens von wesent­licher Bedeutung. Dies ist es, was die sechs neuen Heiligen getan haben, die heute der Verehrung der universalen Kirche vorgestellt werden: Stanislaw Soltys, André Bessette, Cándida María de Jesús Cipitria y Barriola, Mary of the Cross MacKillop, Giulia Salzano und Battista Camilla da Varano…

Der aus Québec in Kanada stammende Br. André Bessette… machte sehr bald die Erfahrung von Leid und Armut… Trotz seiner geringen Bildung erkannte er, wo das Wesentliche seines Glaubens lag. Glauben bedeutete für ihn, sich frei und aus Liebe dem GÖTTlichen Willen zu unterwerfen… ‚Versucht nicht, den Prüfungen aus dem Weg zu gehen’, sagte er, ‚bittet vielmehr um die Gnade, sie gut zu ertragen’…

In der 2. Hälfte des 19. Jh. berief der HERR in Kampanien, Süditalien, eine junge Grundschullehrerin, Giulia Salzano, und machte sie zu einer Apostelin der christlichen Erziehung… Ihren Mitschwestern sagte sie oft, dass sie bis zur letzten Stunde ihres Lebens Katechismusunterricht halten wollte, womit sie mit ihrem ganzen Sein zeigte, dass – ‚weil GOTT uns geschaffen hat, um Ihn in diesem Leben zu kennen, zu lieben und Ihm zu dienen’ – nichts dieser Aufgabe vorangestellt werden durfte…

Die hl. Battista Camilla Varano, eine Klarissin aus dem 15. Jh., bezeugte zutiefst den im Evangelium gründenden Sinn des Lebens, und sie tat dies insbesondere durch ihr beharrliches Gebet. Im Alter von 23 Jahren trat sie in das Kloster von Urbino ein und reihte sich als Protagonistin in jene breite Reform­bewegung der weiblichen franziskanischen Spiritualität ein, die das Charisma der hl. Klara von Assisi in Fülle neu zu beleben suchte… In einer Zeit, in der die Kirche von einem Verfall der Sitten gezeichnet war, schlug sie entschlossen den Weg der Buße und des Gebets ein, beseelt von dem glü­henden Wunsch nach der Erneuerung des mystischen Leibes CHRISTI…“

Predigt bei der Heiligsprechung, 17.10.2010

 

 

 

 

6. Leiden und Sterben

 

 

Achtung des Lebens unabhängig vom Alter…

„… Das Leben ist ein einzigartiges Geschenk, und zwar in jedem Stadium von der Empfängnis bis zum natürlichen Tod; und es steht GOTT allein zu, es zu geben oder zu nehmen. Mancher mag sich noch im Alter einer guten Ge­sundheit erfreuen; aber wir Christen sollten uns ebenso nicht davor fürchten, am Leiden CHRISTI Anteil zu haben, wenn GOTT verlangt, dass wir mit einem Gebrechen ringen. Mein Vorgänger Papst Johannes Paul II. litt in den letzten Jahren seines Lebens vor aller Öffentlichkeit. Es war uns allen bewusst, dass er dies in Vereinigung mit dem Leiden unseres Erlösers tat. Seine Gelassenheit und Geduld im Angesicht seiner letzten Tage waren ein außerordentliches und bewe­gendes Beispiel für uns alle, die wir die Last des fortgeschrittenen Alters zu tragen haben. In diesem Sinne komme ich zu euch nicht nur als Vater, sondern auch als Bruder, der die Freuden und die Mühen gut kennt, die mit dem Alter verbunden sind. Unsere hohen Lebensjahre bieten uns die Möglichkeit, beides zu schätzen: die Schönheit des größten Geschenks, das GOTT uns gegeben hat, das Geschenk des Lebens, genauso wie die Gebrechlichkeit des menschlichen Seins. Diejenigen unter uns, die bereits viele Lebensjahre zählen, haben die wunderbare Chance, das Bewusstsein des Geheim­nisses CHRISTI zu vertiefen, der sich selbst erniedrigte, um an unserer Menschennatur Anteil zu nehmen. Während die gewöhnliche Lebensspanne heute zunimmt, verringern sich oft die physischen Kräfte, und doch könnten diese Zeiten wohl die geistlich fruchtbarsten Jahre unseres Lebens werden. Diese Jahre sind eine Möglichkeit, im innigen Gebet all derer zu gedenken, die wir in diesem Leben geliebt haben, und all das, was wir persönlich gewesen sind und getan haben, der Barm­herzigkeit und Güte GOTTES anzuempfehlen. Dies wird für uns gewiss ein großer geistlicher Trost sein und uns befähigen, immer wieder neu Seine Liebe und Sein Erbarmen durch alle Tage unseres Lebens zu erkennen…“

Ansprache in einem Altenheim in London, 18.9.2010

 

 

 

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