Das Porträt

 

Schon in der „FMG-INFORMATION 45 (Dezember 1991) veröffentlichten wir in dieser Rubrik eine kurze Schilderung des Lebens und Sterbens der „fünf Märtyrinnen von der Drina“. Nun wurden sie seliggesprochen: Am 24. September 2011 nahmen mehr als 20.000 Katholiken in der bosnisch-herzegowinischen Hauptstadt Sarajevo an dieser Feier in der Olympischen Halle „Zetra“ teil, darunter drei Kardinäle und 30 Bischöfe aus acht Ländern. Kardinal Angelo Amato, Präfekt der Kongregation für die Selig- und Heiligsprechungen, hatte zu Beginn der Feier verkündet, dass Papst Benedikt XVI. auf Bitte des Erzbischofs von Sarajevo, Kardinal Vinko Puljic, „mit seiner apostolischen Autorität erlaubt hat, dass die fünf Märtyrinnen von der Drina künftig Selige genannt wer­den dürfen“. In den Agenturberichten über die neuen Seligen wird allerdings der Aspekt der Verteidigung ihrer jungfräulichen Reinheit (mindestens durch die ersten vier Schwestern) kaum erwähnt.

Es sind die ersten Seligen des Ordens der „Töchter der GÖTTlichen Liebe“, der heute etwa 1.300 Schwestern in neunzehn Ländern angehören. Auch für die Gründerin der Kongregation, Sr. Franziska Lechner (1833-1894), wurde 2005 in Wien das Selig­sprechungsverfahren eröffnet. Schwester Franziska Lechner wurde 1833 in Eding/Bayern (nahe Wasserburg am Inn) geboren, trat in die Kongregation der Armen Schulschwestern in München ein und gründete 1868 in Wien die „Töchter der GÖTTlichen Liebe“ (FDC – Filiae Divinae Caritatis), um schutzlosen, armen nach Wien zugewanderten Mädchen beizustehen. Sie starb am 14.4.1894 in Breitenfurt bei Wien; bei ihrem Tod gehörten der Gemeinschaft ca. 600 Schwestern an, die sich besonders in der Bildungsarbeit, in Kindergärten und Schulen engagierten (heute auch als Pastoralassistentinnen und in der Pflege Alter und Kranker).

Quellen: FMG-INFORMATION 45 (nach einer Darstellung von Sr. M. Ljiljana Abianac FDC, Sarajevo); Anton Bakovic, Drinske mucenice, Zagreb 1991; www. kblj.hr/drinskemucenice/files/deutsch.htm;  kath.net 27.9.2011; Zenit 18.1.2011 und 24.9.2011. Bildnachweis: Archiv Freundeskreis Maria Goretti e. V., wohl Sr. Ljiljana Abianac.]

 

 

 

MÄRTYRINNEN DER REINHEIT

 

Selige fünf Märtyrinnen von der Drina

 

Sr. M. Jula (Kata) Ivanišević , Oberin, 48 Jahre, aus Kroatien

Sr. M. Krizina (Josepha) Bojanc, 56 Jahre, aus Slowenien

Sr. M. Antonija (Josepha) Fabjan, 34 Jahre, aus Slowenien

Sr. M. Bernadeta (Teresia) Banja, 29 Jahre, aus Kroatien

+ am 15. Dezember 1941 in Goražde /Bosnien

 

Sr. M. Berchmana (Carolina Anna) Leidenix, 76 Jahre, aus Niederösterreich

+ am 23. Dezember 1941 zwischen Sjetlina und Goražde

 

 

Die „Töchter der GÖTTlichen Liebe“

In der kleinen Stadt Pale in Bosnien, etwa achtzehn Kilometer von Sarajevo entfernt, in den Bergen in etwa 900 m Höhe, errichtete die Schwesternkongregation „Töchter der GÖTT­lichen Liebe“ angesichts der grassierenden Tuberkulose im Jahr 1911 ein Erholungsheim für die Schwestern und ihre Zöglinge, „Marienheim“ genannt. Während des Ersten Weltkriegs unter­hielten die Schwestern dort eine Grundschule – die einzige in dem Gebiet –, die allen Kindern aus katholischen, orthodoxen, muslimischen und jüdischen Familien offen stand. Sie halfen Armen und Kranken. So wurde das „Marienheim“ oft „Gast­haus der Armen“ genannt. Der Priester Anto Baković schrieb: „Das Marienheim wurde bald berühmt für die Freundlichkeit, Gutherzigkeit und die guten Werke der Schwestern. Sie öffne­ten ihre Herzen und halfen den Bedürftigen, den Kranken und den Unglücklichen, ohne nach ihrer Religion zu fragen.“ Ge­rade dieses gute Verhältnis zu den überwiegend orthodoxen Bewohnern von Pale ließ hoffen, auch in den Kriegswirren des Zweiten Weltkrieges verhältnismäßig sicher zu sein.

Im Herbst 1941 lebten fünf Schwestern dort: Sr. Maria Jula als Oberin, Sr. Maria Krizina, Sr. Maria Antonija, Sr. Maria Ber­nadeta sowie die 76jährige Österreicherin Sr. Maria Berchmana. Für die schweren Arbeiten gab es einen Hausknecht; zudem hielt sich damals ein slowenischer Priester im Haus auf.

Sr. M. Berchmana Leidenix, 1865 in Enzersdorf an der Fi­scha, östlich von Wien, in einer armen Familie geboren, war als Kind Zögling im Kinderheim des von Sr. Franziska Lechner kurz zuvor gegründeten Ordens. Sie trat der Kongregation bei, wurde in Kinderpflege ausgebildet und unterrichtete auch kurze Zeit an der Schule der Marienanstalt. Ende 1883 wurde sie nach Sarajevo versetzt, erlernte rasch die kroatische Sprache und unterrichtete, mit mehreren Diplomen, in deutschsprachi­gen Schulen an verschiedenen Orten; auch in der Kinderkran­kenpflege war sie tätig. Als Novizenmeisterin half sie, die jun­gen Ordensmitglieder zu bilden. In Breške bei Tuzla betreute sie kranke türkische Kinder, ließ aber auch keine Gelegenheit aus, sie Lesen und Schreiben zu lehren, und wurde daher „Tür­kenschwester“ genannt. Unter den serbisch-orthodoxen Be­wohnern von Pale war sie in den letzten Jahren ihres Lebens als die „Mutter der Serben“ bekannt, weil sie ihnen viel Gutes tat und sie nie anders behandelte als die Katholiken. Sie war als große, tugendhafte Ordensfrau in Erinnerung.

 

Sr. M. Jula Ivanišević war die Oberin der kleinen Schwes­terngemeinschaft. Sie war 1893 in einer Bauernfamilie geboren, eine Kroatin aus Slawonien, und 1914 in den Orden eingetreten. Sie arbeitete in der Landwirtschaft der Schwestern und pflegte viele Jahre lang kranke Kinder in einem staatlichen Kinderheim in Zagreb, ehe sie mit dem Amt der Oberin in Pale betraut wurde. Sie galt als gerecht, liebevoll und einsatzfreudig und nahm sich der Armen mütterlich an.

 

Sr. M. Krizina Bojanc, 1885 in Slowenien geboren, trug mit ihrer Arbeit in Stall und Garten zur Versorgung der Hausbe­wohner bei; sie scheute keine Arbeit; die Erfahrung des Leidens und der Schutzlosigkeit in ihrer Kindheit nach dem frühen Tod der Eltern hatte sie besonders fürsorglich, opferbereit und sanftmütig gemacht; sie war eine große Marienverehrerin.

 

Sr. Antonija Fabjan wurde 1907 in Slowenien geboren; auch sie hatte früh den Vater und dann die Mutter verloren und war bei einer Tante aufgewachsen. 1937 legte sie ihre ewigen Ge­lübde ab; sie war eine dem Willen GOTTES ganz ergebene Ordensfrau, sehr gewissenhaft in der Arbeit auf dem Feld, im Garten und im Haus. Schon von der Jugend an war ihr Lebens­motto: „Wenn jemand dir etwas Böses tut, vergilt ihm mit Gu­tem.“

 

Sr. M. Bernadeta Banya, aus einer ungarisch stämmigen Familie in Kroatien, lebte von ihren ersten Gelübden 1932 an in Pale. Beim Abschied von ihrer Familie hatte sie gesagt: „Ich wollte lieber sterben als meine Berufung nicht verwirklichen.“ Als junge Ordensfrau arbeitete sie in der Klosterküche – unter den damaligen Umständen eine sehr anstrengende Tätigkeit. Sie liebte die Musik, sang bei ihrer Arbeit religiöse Lieder, war fleißig, liebevoll, geduldig und GOTTergeben.

 

Der Bürgerkrieg in Ostbosnien

Im April 1941, nach der Kapitulation des Königreichs Jugosla­wien, wurde der Unabhängige Staat Kroatien ausgerufen, der auch Bosnien und Herzegowina umfasste. Dagegen rebellierte die aufgehetzte serbische Bevölkerung der Region. Es brach ein Bürgerkrieg aus, wo die Volksgruppen bis in die kleinen Dörfer herab gegeneinander standen. Die „Tschetniki“, eine paramili­tärische nationalistische serbische Miliz, rohe, verwilderte Kämpfer, überzogen das Land mit Feuer, Raub und Mord. Muslime und Katholiken wurden Opfer der angestrebten „eth­nischen Säuberung“ mit dem Ziel einer großserbischen Monar­chie. Im Herbst hatte die Welle der Unruhe auch die Gegend von Pale erreicht. Trotz besorgter Aufforderungen der Provinz­oberin zögerten die Schwestern, den exponierten Außenposten Pale zu verlassen; sie konnten sich – gut integriert, allseits beliebt – nicht vorstellen, dass ihre Nachbarn zulassen würden, dass ihnen irgendjemand Böses zufüge, und wollten gerade in diesen Notzeiten mit ihrer menschlichen Nähe, ihren Vorräten und Kenntnissen weiterhin zur Verfügung stehen.

 

Der Überfall

Am 11. Dezember 1941 (eine Quelle nennt den 10. Dezember) war viel Schnee gefallen; „Tschetniki“ überfielen das Schwes­ternheim. Vier Schwestern waren im Haus, drei baten den slo­wenischen Hausgeistlichen um die Absolution; dann wurden sie zusammengetrieben, die 76jährige Sr. Berchmana aus ihrem Zimmer gezerrt. Sr. Jula, die Oberin, war mit dem Knecht im Dorf gewesen, um Mehl zu kaufen. Bei der Rückkehr hörte sie Lärm und Schreie: „Serbische Brüder! Fangt sie lebendig! Was sollen wir mit toten…!“ Die Oberin befahl dem Hausknecht, sich im Wald zu verbergen (er konnte sich retten), während sie nicht fliehen, sondern ihren Mitschwestern beistehen wollte. Die Gefangenen wurden in der bitteren Kälte in Hauskleidung abgeführt. Sogleich setzte die Plünderung ein, die 12 Stunden dauerte. Nichts, was auch nur den geringsten Wert hatte, blieb zurück. Um vier Uhr früh wurde Feuer gelegt; der Brand, der drei Tage anhielt, vernichtete alle Gebäude bis auf die Grund­mauern. (Sobald möglich, kamen Schwestern aus dem Provinz­haus, um nach den Mitschwestern zu sehen, doch keiner wusste, wohin sie gebracht worden waren. Unter den Trüm­mern der verbrannten Kapelle fand man im verschlossenen Speisekelch fünf deutlich erkennbare verkohlte hl. Hostien.)

 

Das Martyrium

Die Schwestern mussten – zusammen mit anderen Gefangenen – zu Fuß bei minus 20, 25 Grad die tief verschneiten Bergpfade zurücklegen – 65 km bis Goražde.

Die 76jährige Sr. Berchmana, in Hausschuhen, wurde von den Mitschwestern gestützt, fast getragen. Am dritten Tag des Weges blieb sie, unfähig weiterzugehen, in dem Dorf Sjetlina zurück. Einige Tage später transportierten zwei Tschetniki sie mit einem Schlitten weiter, angeblich um sie „zu den anderen“ zu bringen, die da aber schon tot waren. Der Schlittenlenker er­zählte nach seiner Rückkehr, sie sei wohlbehalten bei ihren Mitschwestern angekommen, doch einer der beiden hatte ihren Rosenkranz um den Hals. Sr. Berchmana war im Wald unweit von Sjetlina getötet worden, wohl am 23. Dezember. Ihr Grab wurde nicht gefunden; man nahm an, dass ihr Leichnam in den Fluss Prača geworfen wurde. Eine Frau wurde gezwungen, aus dem blutgetränkten Stoff des Ordenskleides eine Tschetnikfahne zu nähen.

Die vier anderen Schwestern wurden, von Hass begleitet, mehr­fach Schein-Verhören unterworfen. In Sjetlina bildeten die örtlichen Tschetniki-Führer ein Tribunal; man beschuldigte die Schwestern, über ein verborgenes Telefon Nachrichten über die Bewegungen der Tschetniks an den „Feind“ weitergegeben zu haben, obgleich im geplünderten Haus keinerlei Telefon gefun­den worden war. Die zweite Anklage war, die Schwestern hät­ten sich den feindlichen Ustascha-Soldaten prostituiert; das würde man ihnen vergeben, wenn sie sich zu gleichen Diensten für die Tschetniks bereitfänden. Dann wurden die Schwestern und andere Gefangene wieder zu Fuß weitergetrieben zur Stadt Goražde, wo sie am späten Nachmittag des 15. Dezember an­kamen. Die Schwestern waren, so ein Augenzeuge, ein gefan­gener Militärtechniker, „sehr müde und erschöpft. Die ganze Zeit waren sie schweigsam; wenn sie etwas sprachen, dann immer wieder: ‚Was ist wohl mit unserer lieben Schwester Berchmana?’“. Sie wurden in der dortigen Kaserne am Ufer des Flusses Drina interniert.

Über das weitere Geschehen geben die Beobachtungen des erwähnten gefangenen Militärtechnikers sowie eines damals zehnjährigen katholischen Buben, der mit Mutter und Schwes­ter in der Nähe der Kaserne wohnte (der später Priester wurde; der Autor des ausführlichen Buches über die Märtyrinnen, Anto Baković) Aufschluss. Letzterer erfuhr auch aus dem Mund eines Tschetnik-Soldaten selber noch Einzelheiten.

Die Schwestern waren im 3. Stockwerk der Kaserne in einem Raum eingeschlossen. Die Soldaten drangen mitten in der Nacht, von einem üppigen Mahl und Gelage teilweise schon betrunken, in das Zimmer der vier Ordensfrauen ein in der Absicht, sie zu vergewaltigen, wie sich aus den akustischen Bruchstücken klar erkennen ließ. Der Zeuge erinnert sich an gellende Schmerzens- und Verzweiflungsschrei aus der Ka­serne. Während die Schwestern immer wieder GOTT und die Heiligen anriefen, antworteten die Tschetniks mit Flüchen und wüsten Beschimpfungen. Als man begann, den Schwestern die Kleidung vom Leib zu reißen, öffnete eine von ihnen in äu­ßerster Not ein Fenster – der einzigmögliche Fluchtweg –, rief JESUS an und forderte die anderen auf: „Schwestern, mir nach!“ Sie sprang hinaus in die Finsternis, die anderen entris­sen sich ebenfalls den Händen der Männer und sprangen nach. Wütend liefen die Soldaten hinaus und fanden die Nonnen ganz zerschlagen, aber lebendig vor; infolge der Verletzungen durch den Sprung ins Ungewisse hatten sie nicht weiter fliehen kön­nen. Voll Wut töteten die Tschetniki die erschöpften, verletzten vier Klosterfrauen mit Dolchen und Messern; danach schleppten sie die Leichen zum Ufer der Drina, wo sie bis zum nächsten Tag in Eis und gefrorenem Schlamm lagen. Die vier Märty­rinnen waren nur teilweise bekleidet und trugen eine Vielzahl blutiger Stichwunden. Manche Schaulustige verhöhnten die Toten. Da die Bemühungen von Katholiken, sie begraben zu dürfen, scheiterten, wurden die Leichen in den Fluss gestoßen, der sie mit zahlreichen anderen Toten in die Save und in Rich­tung Donau / Schwarzes Meer trieb.

Die vier GOTTgeweihten Frauen konnten sich also durch ihren Sprung der Vergewaltigung entziehen. Selbstmord wäre auch in einer solchen Bedrängnis niemals erlaubt, eine solche Art der Flucht aber ist wohl gerechtfertigt, da ja die Chance bestand, mit dem Leben davonzukommen. Wohl aber haben die Schwestern sich der Gefahr ausgesetzt, um ihre Jungfräulichkeit zu bewahren.

Die jugoslawische Kirchenzeitung „Glas Koncila“ dokumentierte 1971 das Martyrium der „jungfräulichen Märtyrinnen von der Drina“ einschließlich der verschiedenen Zeugenberichte und schrieb dazu – noch mit Vorsicht, um nicht eine bestimmte Seite anzuklagen –: „In jenen fürchterlichen Tagen des Jahres 1941 gab es viele vergewaltigte und ermordete Mädchen und Frauen. Und zwar in verschiedenen Gegenden unserer Heimat und auf den verschiedenen sich bekämpfenden Seiten. Viele von ihnen sind tapfer gestorben, von den meisten wurde nichts geschrieben, viele sind vergessen. Im Feuer der Leidenschaften, die die Kriegsfurie anstachelte, wurden oft Menschen zu Bestien… Die Ordensfrauen haben protestiert und sind gestorben im Namen aller erniedrigten Frauen und Mädchen jener Zeit…“

1999 eröffnete der Erzbischof von Sarajevo das Seligsprechungsverfahren, das am 14.1.2011 mit der Bestätigung von Papst Benedikt XVI. für das Dekret über das Martyrium endete, dem die Seligsprechung am 24. September 2011 folgt.  

 

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